EMILY
»Ich hab’ mit ihm rumgemacht ...« Ich flüsterte so leise wie nur möglich und blickte beschämt zu Boden.
»Du hast was???« Ava sah mich schockiert an.
»Sprich noch lauter, dann weiß es wirklich jeder.«
Aus Avas kleinem Essen war eine ausgewachsene Party im Keller von Masons Haus geworden. Gekocht hatte der Cateringservice und an der Spiegelwand war ein riesiges Buffet aufgebaut. Kulinarische Köstlichkeiten wurden ansehnlich auf silbernen Platten drapiert und ein Kellner, ausgestattet mit einem Tablett voller bunter Cocktails, brachte den Alkohol unter die Leute.
Ava blickte sich um und zuckte mit den Schultern. »Naja, es waren zufällig alle in der Stadt und irgendwie hat sich das hier verselbständigt. Ich hab’ nur ein oder zwei Leuten Bescheid gesagt ...«
»Ein oder zwei? Hier sind mindestens vierzig Leute, Ava.«
»Ist doch auch egal. Du lenkst vom Thema ab. Was heißt rumgemacht, Em? Hattet ihr Sex?«
»Was? Nein …« Ich beugte mich zu Ava rüber, um ihr den Rest meines Satzes ins Ohr zu flüstern. »Er hat an mir rumgemacht. Du verstehst?«
Sie runzelte die Stirn und ich presste meine Lippen aufeinander und machte mit meinem Kopf eine Bewegung, die nach unten deutete. Ava folgte meinem Blick und prustete dann los.
»Em, du hast es dir von ihm besorgen lassen? Oh Mann, warte ... eigentlich will ich mir das nicht vorstellen.«
Mit dem Ellebogen stieß ich ihr leicht gegen die Rippen. »Ich hab’ dir das auch nicht erzählt, um dein persönliches Kopfkino anzuregen. Was soll ich denn jetzt machen?«
»Willst du denn, dass er dir weiterhin dein Schmuckkästchen aufpoliert?«
»Das er was macht?«
»Ich glaube, Jamie nennt es Orgasmusspender. Willst du, Emily Scott, James Donovan zu deinem Orgasmusspender machen?« Ava hob verführerisch die Augenbrauen und ich konnte mir das Lachen nicht länger verkneifen.
»Du solltest mal auf Wasser umsteigen, die Cocktails bekommen dir scheinbar nicht. Ich kann nicht einfach mit ihm in die Kiste springen, denn ich muss an Mia denken. Das war glaub’ ich ein riesiger Fehler. Er hat sich verändert, weißt du.«
Ava sah mich mitleidig an. »Ich weiß, was du meinst. Im Herzen ist er noch der Selbe, aber sobald es um Frauen geht, ist er ...«
»... eine Schlampe?«, ergänzte ich ihren Satz.
Ava nickte. »Aber vielleicht ändert sich jetzt alles. Jetzt, wo ihr euch wiederhabt ...«
»Stellst du dir das ernsthaft so einfach vor? Nach all den Jahren komme ich wieder, stelle ihm unsere Tochter vor und wir leben glücklich bis zu unserem Ende?«
In meiner Stimme lag mehr Verärgerung, als ich eigentlich beabsichtigt hatte.
»Vielleicht ist es nicht so einfach, aber es ist auch keine Lösung mit ihm rumzumachen und noch länger zu verheimlichen, was Sache ist. Du machst es dadurch nur noch schlimmer.«
Sie hatte Recht und ich wusste es. »Ich hab’ Angst, Ava. Als ich ihn am Flughafen wiedergesehen habe, kam alles wieder hoch. Es hört sich so dämlich an, aber ich empfinde noch immer etwas für ihn.«
»Ich weiß, Süße ... « Sie nahm mich in den Arm. »Ich bin immer für dich da, egal wie das ausgeht. Aber du musst es versuchen. Er hat schon so viel von Mias Leben verpasst, er sollte das Recht haben selbst zu entscheiden, ob er ein Dad sein will oder nicht.« Ava löste die Umarmung und sah mich aufmunternd an.
»Ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe. Behandelt mein Bruder dich eigentlich gut?«
Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ja, das tut er. Em, ich liebe ihn so sehr.«
Sie hatten ein paar harte Monate hinter sich und haben sich lange genug gegenseitig das Leben schwer gemacht, bevor sie endlich erkannten, dass sie zusammengehörten. »Ich freue mich so sehr für euch. Ich kann mir keine bessere Schwägerin vorstellen als meine beste Freundin.«
»Woohoo, immer langsam. Von Hochzeit ist noch keine Rede. Und jetzt Brust raus und Kinn hoch, denn Mason und Jamie steuern geradewegs auf uns zu.«
Sie blickte hinter mich und ihre Augen leuchteten. Musste Liebe schön sein!
Ich atmete tief durch und drehte mich um.
Als ich am Morgen aus der Dusche kam, war er bereits weg. Ich wusste nicht, wie er nach meiner kleinen Abfuhr auf mich zu sprechen war und merkte, wie mein Puls sich bei jedem Schritt, den er näher auf uns zukam, mehr und mehr beschleunigte. Er sah unverschämt gut aus und gäbe es die Möglichkeit das Leben auf Zeitlupe zu stellen, so wäre dies der perfekte Augenblick dafür. Sein dunkelblondes Haar war ein wenig durcheinander und zwei Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Seine Augen waren fest auf mich gerichtet und sein markanter Kiefer zuckte verdächtig, bevor er mir sein einzigartiges Lächeln schenkte. Sofort wurde mir warm ums Herz und ich war wieder das verknallte siebzehnjährige Mädchen.
»Hey Schwesterherz.« Mason gab mir einen Kuss auf die Wange und zerstörte den Moment. Brüder halt.
»Hi, Mase.« Ich küsste auch ihn und betrachtete aus dem Augenwinkel Jamie, der Ava in den Arm nahm und kurz hochhob. Früher störte mich die Freundschaft der beiden nie. Sie waren wie Geschwister und ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass jemals etwas zwischen ihnen laufen könnte. Seit Ava mir jedoch damals in Masons Wohnzimmer ihr Herz ausgeschüttet hatte, war ich unsicher, was ich von Jamies Absichten ihr gegenüber halten sollte. Ava liebte Mason und ich war sicher, dass der Vorfall mit Jamie für sie wirklich nichts zu bedeuten hatte. Doch Jamie konnte ich kein bisschen einschätzen. Nicht mehr. Einen Spruch wie den heute Morgen hätte er damals nie und nimmer von sich gegeben. Wir hatten uns beide verändert, waren erwachsen geworden. Was auch immer das gestern Abend und heute Morgen war, es durfte sich nicht wiederholen, denn es stand zu viel auf dem Spiel. Mia sollte ihren leiblichen Vater kennenlernen.
Sie wusste schon immer, dass Dan nicht ihr richtiger Vater ist. Sie wuchs damit auf, dass ihr Daddy mir geholfen hat, dass sie in meinem Bauch wachsen konnte, aber dass er viele wichtige Dinge zu tun hatte und deswegen Dan geschickt hat, um für sie da zu sein. Mir war klar, dass, je älter sie würde, diese Story mehr und mehr ins Wanken geriet. Eines Tages fand ich sie in meinem Schlafzimmer vor, als sie Bilder aus einem Schuhkarton in meinem Kleiderschrank ansah und dann mit einem davon zu mir kam und fragte: »Mommy, ist das mein Daddy?« Das Foto, welches meine Eltern, Jamie und mich an einem Lagerfeuer zeigte, entstand bei einem Ausflug zum Lake Michigan. Meine Eltern machten dort jedes Jahr Urlaub. Es war der Zweite ohne Mason, da die Hauptrolle in einer Serie seine komplette Zeit beanspruchte. Ich war damals bereits ein halbes Jahr mit Jamie zusammen und nie ergab sich die Gelegenheit, dass Mason und er sich kennenlernten. Kurz darauf starben Mom und Dad bei einem Autounfall.
Von dem Tag an, an dem ich ihn verließ, sperrte ich jede Erinnerung an ihn weg, Bilder oder Briefe bewahrte ich in dem Schuhkarton auf und Mia öffnete damit unbewusst die Büchse der Pandora. Jeden Tag stahl sich die Vergangenheit weiter in mein gegenwärtiges Leben und machte es mir unmöglich so weiterzumachen wie bisher. Es war der Anfang vom Ende meiner Ehe. Mia wollte das Bild unbedingt behalten, nachdem ich ihr ihre Frage bestätigte und oft fand ich es beim Aufräumen unter ihrem Kopfkissen.
Mit diesem Gedanken vor Augen trat ich nun einen Schritt auf Jamie zu. »Hey. Hast du kurz Zeit? Ich muss mit dir reden.«