»Jona? Mira, Kathrin? Was ist los? Soweit ich mich erinnern kann ...« Der Mann, der mit seinem silberfarbenen Toyota Auris gerade die Einfahrt herabfuhr, hielt neben den Dreien an und sprach sie durch das geöffnete Fenster direkt an. »... ist um diese Uhrzeit Schule. Will ich hören, was ihr ausgefressen habt?«
»Ist Ma' zuhause?«
»Nein, sie ist kurz nach dir los. Was ist passiert?«
»Jona ist zusammengebrochen und wir mussten Herrn Schuster versprechen, dass wir uns um ihn kümmern.«
»Zusammen...«
»Es ist nichts weiter Pa'. Ich glaube, mich hat die Grippe erwischt.«
»Grippe. Na, dann stellt bloß keinen Unsinn an und leg dich hin.« Das fabrikneue Fahrzeug fuhr geräuschlos an, um sogleich nochmals zu stoppen. Erschreckend, wie leise so ein Hybride sein kann. Man hörte nur einen mechanischen Gleitton, wenn der E-Motor seine Tätigkeit aufnahm.
Jonas Vater hob den Kopf aus dem Dachfenster und grinste. »Bevor ich's vergesse. Deine Mutter hat mal wieder dein Durcheinander im Bad beseitigt. Ich konnte sie gerade noch beruhigen.« Er winkte, als sich der Wagen endgültig entfernte.
Anstatt zu antworten, hob Miras Freund den Blick und schaute mit weit geöffneten Augen seinem Vater hinterher. Seine Gesichtszüge waren vollends erschlafft und es war ihm anzusehen, dass ihm jegliche Farbe entwich. Er murmelte etwas, dass keiner der beiden Mädchen verstand.
»Was war das?«
»Jona?« Kathrins Stimme klang besorgt.
»Bbbad.«
»Was ist los verflucht?« Mira nahm seine zittrigen Hände in die ihre und sah hinauf. Ihr Blick wies in jene Richtung, in welcher sich das Fenster zu besagten Raum befand.«
Ihre Stimme klang aufgesetzt. Beinahe so, als stünde sie kurz vor einer Hysterie. »Deine Ma' hat aufgeräumt, ja?«
»Hat sie«, pflichtete er kleinlaut bei. »Die Handtücher liegen alle zusammengelegt und akkurat.«
Kathrin traute sich als Erste, danach folgte Jona, dem sein Unbehagen anzusehen war. Mira blieb vor der Tür stehen, schaute immerzu vom Waschbecken, hinab zum Boden und den drei Handtüchern, die ordentlich gefaltet am Wannenrand lagen.
Kathrin schüttelte den Kopf, als sie mit Zeige- und Mittelfinger über den Rand der Keramik fuhr. »Sie sieht nicht, was wir sehen. Erinnert ihr euch an den Flur vorhin?«
»Du meinst, wir haben Hallos? Wir drei zur selben Zeit?«
Sie sah auf und betrachtete ihre Freundin im Spiegel. Sie schnaufte hörbar beim Atmen und ihre Brust hob und senkte sich sichtlich.
»Ich glaube nicht, dass wir halluzinieren. Irgendetwas geht hier ab und wir ... Mittendrin.«
»Kath', woran denkst du?«
Angesprochene suchte direkten Augenkontakt zu Jona. Ihr Herz pochte. Ihre Mundwinkel zuckten im Takt mit ihren zittrigen Fingern.
»Kath'?« Sorgenfalten gruben sich in Miras Stirn und ihre Brauen verzogen sich zum Nasenansatz. »Wir sehen das hier aber ... wieso haben wir nicht gesehen, was Jona sah?«
Kathrin ging nicht darauf ein. »Wie wollen wir uns wehren, wenn wir nicht wissen, mit wem oder was wir es zu tun haben? Fangen wir mit deinem Laptop an.« Sie wollte raus, aus diesem Raum. So schnell es ging und bloß nicht wieder hinein. Roch es nicht sogar etwas muffig? Und das, obwohl es hier sonst eher nach Zitrone duftete?
»Nicht bevor wir das ...« Mira hob das Kinn. »... da nicht sauber gemacht haben. Ich lese nicht ein einziges Wort, wenn sich hinter meinem Rücken ein Schlachthaus befindet.«
»Übertreib nicht, Maus.«
»Mag sein aber ...«
»Sie hat Recht. Ich würde mich auch wohler fühlen.«
Jona holte tief Luft und nickte zustimmend. »Das Putzzeugs ist in der Anrichte.«
Vereint standen die Drei im Bad, bewaffnet mit Gummihandschuhen, Seifenwasser, Schwamm und Lappen. So galt es nun, das aus ihrer Sicht befleckte Zimmer zu reinigen. Die Handtücher lagen zum Einweichen in der Duschwanne, dessen Wasser sich bereits rötlich färbte.
Mira traute sich nicht, wollte den Kontakt mit dem Waschbecken meiden. Offensichtlich hingegen war ihr mehr der Spiegel suspekt, als das blutverschmierte Becken.
Vereinzelte gräuliche Schlieren und rote Spritzer wies die ansonsten streifenfrei polierte Fläche auf. Das Waschbecken tagtäglich hygienisch rein und glänzend geputzt, war auf der Innen- wie der Außenseite verschmiert. Es waren deutliche Finger und Handabdrücke zu erkennen. Achtete man genau auf derer, würde ein Kripobeamter die feinen Linien der Abdrücke Jonas Hand zuordnen können.
Ebenso die unzähligen, unlängst eingetrockneten Tropen und die Lache auf dem Boden, mussten schleunigst weichen.
Kaum das die mit Lauge durchtränkten Schwämme und Lappen über die bräunlichen Unreinheiten wischten, verschmierten diese zu einem unansehnlichen Rot. Durchdringender kupferner Geruch erschwerte das Atmen und ließ Mira einmal mehr einen Würgereiz unterdrücken. »Das ist mehr als widerwertig«, gab sie zu.
»Denk nicht dran, Maus. Ma' muss gedacht haben, ich sei betrunken.«
»Warst du?«
»Nein Kath«, erbot er sich. »Wie auch. Ich habe gelesen, ging ins Bad, brach zusammen und lag morgens in meinem Bett.«
»Und wie bist du dort hingekommen?«
»Vermutlich hat Pa' mich getragen.«
»Aber ...«
»Mira bitte. Lass uns zusehen, dass wir das hier erledigt bekommen, ja? Ich kotze gleich.«