»Ich kann gar nicht sagen wie lange ich dort lag. Habe ich geschlafen oder wurde ich schlicht von meinem letzten Gegner bezwungen?« Der Maestro zuckte wie bereits zuvor und ohne es gegenwärtig zu ahnen, die massigen Schultern. »Ich entsinne mich nur daran, dass mir helle, wärmende Sonnenstrahlen auf den Lidern lagen und ein lauer Luftzug die Wange kitzelte.«
Der Schreiber, so Alt er auch sein mochte, spürte mehr als das er es wirklich mitbekam. Kälte kroch, von den Wänden ausgehend, tiefer in den Raum hinein.
Die letzten Worte des Recken behielt er in Gedanken und bemühte sich hinüber zum Kamin. Dort aufgeschichtet lagen etliche Scheite, die brennend für wohlige Wärme sorgen würden.
Selbst als der betagte Mann Holz nachwarf und die Glut schürte, sprach der kampferprobte Recken fortwährend weiter. Dieser ließ sich weder in seinem Redefluss unterbrechen noch stören.
Erst als er zurück an seinem Platz saß, und begann Gesagtes zu notieren, sah er mit krauser Stirn auf.
Wie war das doch gleich?
Was hat er da eben gesagt?
Mit geschülpten Lippen knabberte er sich an der Innenseite seiner Wangen. Ob es da eine Verbindung gibt?
Es vergingen Minuten der Wortlosigkeit. Momente, welche der Schreiber nutzte, seine eigenen Gedanken zu sortieren, ohne auch nur ein einziges, weiteres, Wort geschrieben zu haben.
Es ging ihm ... nein, es wollte ihm nicht aus dem Kopf.
Ausgerechnet an diesem Punkt schwieg der Mann vor ihm. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sein Gesicht beschrieb Gelassenheit. Dennoch oder gerade aus diesem Grunde, schlugen seine Gedanken Purzelbäume.
»Steh endlich auf, Junge«, hatte sein Onkel ihn angeherrscht. Doch war es das Licht der Sonne und der Wind, welche ihn augenscheinlich weckten.
Das Krächzen eines sich wehrenden Tieres habe er vernommen, wenngleich er keines sah. »Ich habe dir etwas mitgebracht, dass dir Aug' und Ohr sein wird«, hallte einem Echo gleich in seinem Kopf.
»Das Land, aus welchem ich es dir mitbrachte, steht im Zwielicht seiner selbst. Deinesgleichen macht jagt auf die seinen und ich habe es gerettet. Es wird dir Aug' und Ohr sein, du wirst schon sehen.«
Was verflucht noch eins ist mit diesem Mann geschehen. Wieso ist er, wie er ist? Was genau ist er? So direkt vor mir, ein Mann in den besten Jahren. Stattlich wie kräftig von Statur. Und dennoch ... er wandelt sein Wesen in einen Falken wogenden Ausmaßes.
»Er ... war weiß«, begann Rongard erneut, ohne jegliche Anzeichen, zu erklären und ließ den Schreiber erschrocken zusammenfahren. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah er zu ihm hinüber. Blickte zum Kamin und nickte. »Das Feuer brennt ja noch.« Das Kinn reckte er vor, als er mit erhobener Braue fortfuhrt. »Und ich dachte schon ich würde abschweifen.«
»Nein, alles in bester Ordnung, Ser. Berichtet ruhig weiter.«
»Hm, nun gut. Wo waren wir?«
Gespielt sah der Schreiber hinab zu seinen Notizen. »Das letzte war ... er war weiß.«
Eine gefühlte Ewigkeit schien Rongard seinem Gegenüber bis auf den Grund dessen Seele blicken zu wollen. Offenbar wollte er sich selbst vergegenwärtigen, was er bereits über sich preisgegeben haben mag; was noch im Dunklen lag und besser dort verborgen bleiben sollte.
»Ja, er war wahrhaftig weiß.« Sein Augenmerk schwenkte von links oben nach rechts oben. Er durchsuchte seine Erinnerungen nach einem Bild, welches als Beschreibung dienen konnte.
»Im Sonnenlicht schimmerte sein Gefieder oftmals silbrig und je nach Tageszeit blendete es sogar etwas. Er war wunderschön anzusehen und erhaben zugleich. Ich verbrachte Stunde um Stunde damit, ihn an- und zuzuschauen.«
»Was war er?«, erkundigte sich der Alte nun zum wiederholten Male und schien sichtlich irritiert.
»Der schönste und klügste Falke, den man auf Erden nur finden kann.«
Aus weiteren Erklärungen wurde erkenntlich, dass der junge Rongard diesem Falken Sympathien entgegenbrachte. Mehr als seinem Oheim Recht hätte sein dürfen. Unerklärlicherweise schienen sich die beiden Ungleichen nicht nur zu vertrauen. Sie freundeten sich an. Auch wenn Monate vergingen und sein Onkel das Tier über Wochen von ihm fernhielt, fanden beide einander stets wieder. Der Junge vermochte dieses sogar zu streicheln und Gleiches, so glaubte der Schreiber mittlerweile, hörte und verstand jedes Wort, das sein menschlicher Freund ihm auftrug.
»Es ist ein verfluchtes Tier!«, hatte sein Oheim geschnauzt. »Ein Greifvogel stolzester Natur und du machst aus ihm ein Schmusekätzchen! Es soll dein Aug' und Ohr sein und kein Spielzeug!«
Er wollte sodann dem Falken Wildheit und Würde zurückgeben, ihn von seinem Bündnis mit dem Jungen befreien. Der Mann begann in einer Sprache zu lamentieren, derer der Recken nicht fähig war nachzuahmen. Kräuter, Tinkturen und Dinge, die er nicht beschreiben konnte, mischten sich mit geheimnisumwobenen Lauten.
Donnergrollen echote und am Horizont zogen düstere Wolken auf. Blitze zuckten abnormal gen Boden und ließen kleine zuckende Lichtspiralen um Jungen wie Falken umhertanzen. Die Luft roch nach Vergorenem. Irgendwie ranzig und schmeckte bitter auf der Zunge.
Ein sichtbares, bläulich schimmerndes Band rang sich um Rongard und seinem gefiederten Freund.
Wild schrie der Zauberer auf. Panisch wedelte er mit Armen wie Händen. Seine Worte wurden zunehmend Lauter und klangen ungezügelt. Jene Verbindung, welche den Recken mit dem Falken band, streifte auf den Körpern umher und erreichte schlussendlich ihre Herzen.
Erst als der Junge und das Tier schmerzleident aufschrien, schien dem vermutlich falschen Onkel das Ausmaß seines Tun bewusst. Er schrie, nein es glich eher einem flehen. »NEEEEIIIIINN........«