Ich wollte nach meiner Waffe greifen, welche ich wie sonst immer unter meinem Kissen oder direkt neben mir aufbewahrte. Natürlich war sie nicht da. Ich erinnerte mich schwach, sie im alten Haus verloren zu haben.
Elender Bastard, dachte ich hasserfüllt und hatte sofort Sams Gesicht vor mir, mit seinem breiten Grinsen, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht schlagen würde. Sam war einer von Tyrons Stiefelleckern, er würde alles für ihn tun. Genauso wie Vassago, er war wortwörtlich das kleine Helferchen von Tyron. Ich hasste sie alle abgrundtief.
Die Tür ging langsam immer weiter auf. Ich konnte nichts anderes tun, als abzuwarten und meinem Schicksal in die Augen zu sehen. Es war zu dunkel, um auszumachen, wer oder was da in der Tür stand. Besonders groß schien diese Person nicht zu sein.
Sie bewegte sich weiter in den Raum.
„Sie sollten liegen bleiben!“ hörte ich eine zarte Frauenstimme. Innerlich beruhigte ich mich und ich fühlte mich, als wäre mir eine riesen Last von meinen Schultern gefallen. Diese Frau stellte ein Tablett auf den Nachtschrank ab, legte ihre Hände auf meine Schulter und drückte mich sanft und vorsichtig zurück ins Kissen. Miese Idee! Diese Schwärze versuchte, mich wieder zu übermannen und in die Bewusstlosigkeit zu ziehen. So gut ich konnte, kämpfte ich dagegen an. Ich konnte endlich Informationen über meinen Aufenthalt herausbekommen, diese Gelegenheit würde ich mir nicht so schnell entgehen lassen.
„Wer sind sie?“ fragte ich fast stimmenlos. Die Frau setzte sich auf meine Bettkante, langsam und vorsichtig. „Mein Name ist Callie Smith, mein Mann und ich haben sie auf dem Dach gefunden!“ Callie kicherte. „Sie fragen sich sicher, was wir auf einem Dach eines alten Hauses machen, nicht wahr?“ Kurz stockte sie und sah mich an. „Das ist einfach so, dass wir da gern hingehen, um den Sonnenuntergang zu sehen. Leider ließen uns die Wolken nicht viel sehen!“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Wie ist denn ihr Name, Liebes?“ fragte sie schließlich. Liebes? Sie musste älter sein, als sie sich anhörte. Aber sie konnte aus Callies Stimme schließen, dass sie wirklich freundlich war. Außerdem merkte ich nichts, das war gut. Denn das bedeutete, dass Callie kein Dämon war, sie war ein Mensch. Ich konnte spüren, wenn Dämonen in der Nähe waren. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich antwortete, einfach um sicher zu sein, dass meine Stimme nicht plötzlich versagte.
„Mia Shepard!“
„Es freut mich!“ ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme.
„Wieso bin ich hier?“
„Mein Mann ist Arzt. Er weiß, was er tut, aber er meinte, dass der Weg ins Krankenhaus zu weit wäre. Ihr Zustand war wirklich sehr kritisch!“ erklärte Callie freundlich.
„Ihr Mann ist Arzt?“ wollte ich noch einmal bestätigt haben. Ich glaubte, Callie nickte, aber ich erkannte es nicht. Ich war zu müde, um darauf zu achten.
„Es kommt oft vor, dass mein Mann Leute hier behandelt. Sie sind hier gut versorgt und wenn der Meister da ist, wird sich alles klären!“
Der Meister? Ich wollte fragen, was und vor allem wen sie meinte, aber das schaffte ich nicht mehr. Mein ganzer Körper wurde schwerer, meine Augen schlossen sich von selbst und die Schwärze überrollte mich.
Wir saßen in unserem PKW, Andrew schnallte sich an und meinte: „Du wirst dich zu Hause ausruhen und das machst du, ohne mit mir zu streiten oder zu diskutieren!“ Ich erkannte Andrews Anwaltsstimme. So redete er immer mit mir, wenn er nicht mit sich verhandeln ließ.
„Na schön, aber vorher muss ich nochmal zu Tyron!“ Andrew wandte mir seinen Blick zu.
„Nein, das kannst du vergessen. Wir fahren heim und da wirst du dich ausruhen. Du kannst ihn von zu Hause aus anrufen!“ Ich schüttelte den Kopf.
„Andrew, ich weiß, dass du willst, dass ich mich ausruhe. Das werde ich auch machen, aber erst werde ich mit Tyron sprechen!“
Ich legte meine Hand an seine Wange.
„Fünf Minuten!“ Andrew atmete genervt aus und ich wusste, dass ich gewonnen hatte.
„Nicht länger!“ sagte er und sah mir direkt in die Augen. Ich nickte ihm zu, beugte mich zu ihm und küsste ihn kurz auf die Lippen.
„Ich liebe dich Andrew!“ Er nickte.
„Das ist ja das Problem, ich dich auch!“ Ich lächelte ihm zu, setzte mich wieder hin und schnallte mich an, während Andrew den Motor anließ.
Andrew kämpfte mit sich, das wusste ich. Er konnte Tyron und meine Arbeit nicht leiden und würde beides hassen, wenn er wüsste, was ich da wirklich tat. Es fiel mir schwer, Andrew anzulügen, was meine Arbeit betraf, aber es war besser für uns beide. Oft hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihm zu sagen, was ich wirklich tat. Aber mal ehrlich, wer würde schon glauben, dass der Partner, den man bald heiraten wollte, in Wahrheit keine Sekretärin war, sondern die Helferin, eine Assistentin eines Dämons. Meine Aufgaben befanden sich nicht darin, Kaffee zu kochen, Akten zu sortieren und Anrufe entgegenzunehmen. Oh nein, meine Aufgaben bestanden darin, verschiedene Wesen, hauptsächlich andere Dämonen, zu jagen und je nach Anweisung zu töten. Ich musste zugeben, dass ich anfangs große Probleme hatte, überhaupt erst einmal so nah an einen Dämon ranzukommen, bevor er mich ins Krankenhaus befördern konnte. Ich war froh, dass ich in meiner Anfängerzeit Andrew noch nicht kannte. Wer weiß, was er sonst gedacht hätte.
Oft hatte ich mich gefragt, warum ich eigentlich diese Arbeit machte. Warum ich da jedes Mal aufs Neue auftauchte, um mich dann wieder halb totprügeln zu lassen. Er tat dasselbe, wie jeder andere Dämon, er erpresste mich die ersten sieben Jahre mit meiner Seele. Er wollte mir meine Seele nehmen, um mich dann zu einem willenlosen Sklaven zu machen. Natürlich, ich war auch jetzt schon eine, aber noch nicht willen- oder seelenlos. Aber mit der Zeit und den Jahren, die verstrichen, interessierte es mich schon gar nicht mehr, ob ich seelenlos war oder nicht. Dann nahm mein Leben wieder eine Wendung und ich lernte Andrew kennen. Im selben Moment hatte Tyron schon eine neue Methode, mich zu erpressen, entweder ich tat, was er wollte oder Andrew musste darunter leiden.
Ich seufzte. Ich wusste, dass ich meine beiden Seiten weiterspielen musste. Zum einen die kleine liebe Mia, wie Andrew sie schon immer kannte und zum anderen die Mia, die sogar töten konnte. Der Tag dieser Mia verlief immer gleich ab. Ins Büro fahren, die Aufträge abholen und diese ordnungsgemäß ausführen.
„Mia? Nun antworte mir schon!“ verlange Andrew und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah zu ihm.
„Was?“
„Wo bist du schon wieder mit deinem Kopf?“ fragte er ernst, aber ich glaubte sogar, Erheiterung zu hören. Ich lächelte ihn nur an.
„Wir sind da, vergiss nicht, fünf Minuten, nicht länger!“ erinnerte er mich noch einmal und blickte mir dabei direkt in die Augen. Mein Blick wanderte durch das Beifahrerfenster, wir waren bereits am Büro angekommen, stellte ich überrascht fest. Ich atmete tief durch. Schließlich nickte ich und drehte mich wieder zu ihm.
„Wie versprochen!“ Kurz küsste ich ihn, nahm meine Gehhilfen, die ich von dem Arzt erhalten hatte, um mein Fuß zu entlasten und stieg aus.
Ich blickte zu dem Bürogebäude. Es bestand vollkommen aus Fenstern. Noch einmal atmete ich tief durch und lief dann auf das Gebäude zu. Die Doppeltür glitt auf und ich betrat die Lobby. Wie immer war diese vollkommen überfüllt. Einige warteten auf den Fahrstuhl, andere unterhielten sich und wieder andere verließen das Gebäude. Ich lief zu einem Aufzug, der nur selten benutzt wurde. Er war persönlich für Tyron und dessen, wie er uns zumindest nannte, Mitarbeiter. Ich drückte den Knopf des Aufzugs und wartete. Mit einem „Ding“, das man kaum verstehen konnte, öffnete sich die Tür und ich konnte den Aufzug betreten. Ich drückte den Knopf mit der Nummer sechzehn und wartete bis sich die Tür geschlossen hatte, um mich dann zu dem Spiegel umzudrehen, damit ich mich noch einmal betrachten konnte.
Ich schüttelte meine Haare noch einmal auf und richtete mein Kleid. Mein Blick fiel auf die Krücken. Ob ich sie hier einfach liegenlassen konnte? Es hatte seine Vorteile, für einen Dämonen zu arbeiten, meine Wunden und Verletzungen heilten schneller. Schon als wir im Krankenhaus ankamen, war mein Fuß wieder in Ordnung, aber das konnte ich ja unmöglich Andrew erzählen. Ich beschloss, die Teile lieber mitzunehmen. Bei meinem Glück würden sie plötzlich verschwinden. Ich spürte, wie der Fahrstuhl langsamer wurde, bis er stehen blieb. Das „Ding“ ertönte wieder und die Türen öffneten sich. Vor mir erstreckte sich ein Korridor, den ich auch gleich betrat. Die Wände waren in Weiß gehalten und vollkommen kahl, nicht einmal Pflanzen standen irgendwo. Ich näherte mich einer Tür, die genauso schwarz war, wie der Teppich unter meinen Füßen.
Eine Weile starrte ich auf die in goldgefasste Türklinke. Ich zuckte zusammen, als die Tür plötzlich aufflog. Noch einmal atmete ich tief durch und betrat dann schließlich den Raum. Auch dieser war in Schwarz gehalten, die Wand direkt vor mir und die rechte bestanden aus Fenstern. Links im Raum standen drei schwarze Sofas um einen Glastisch. Drei ebenfalls schwarze Bücherregale trennten den Teil des Büros mit dem anderen Teil, der sich rechts befand. Das beinhaltete den Schreibtisch mit zwei Stühlen davor und einem dahinter. Erst jetzt bemerkte ich die drei Männer, die am Schreibtisch saßen und zu mir sahen. Mein Blick viel auf den Mann hinter dem Schreibtisch. Da saß er, mein persönlicher Albtraum, Tyron.