Ich sah, wie Tyron mich mit seinen braun-goldenen Augen musterte. Auch die anderen Beiden sahen mich an. Die beiden Männer, die vor dem Schreibtisch saßen, waren niemand anderes als Sam und Vassago. Alle drei sahen in ihren Designeranzügen wie immer aus. Sam hatte seine kurzen blonden Haare nach hinten gekämmt und mit Gel in Form gebracht. Vassago dagegen hielt seine rechte Gesichtshälfte unter den Haaren verborgen. Ich wusste nicht, was genau da passiert war, nur dass diese Hälfte von Narben geziert war. Bei Tyron hingen sie wirr in der Stirn, aber dennoch wirkte es nicht unordentlich.
„Na Süße, was machst du denn schon so früh hier?“ fragte Sam und hatte ein widerliches Grinsen auf den Lippen.
„Das geht dich nicht das Geringste an! Tyron, ich muss mit dir sprechen!“ sagte ich zu ihm gewandt und wartete. Was ich hier gelernt hatte, warten bis Tyron befahl. Ich musste länger warten, als gedacht, Tyron musterte mich noch immer. Schließlich wanderten seine Augen zu meinen und er nickte.
Langsam erhob er sich.
„Lass uns darüber gehen!“ Ich nickte leicht und folgte ihm zu den Sofas. Er ließ sich geschmeidig auf die Couch nieder und sah mich an, ich stand neben seiner. Ich musste warten, bis er mir einen Platz anbot, ansonsten hieß es stehen bleiben.
„Setz dich doch!“ Er zeigte neben sich auf den Platz, am liebsten hätte ich mich auf eine andere Couch gesetzt. Aber wenn ich das getan hätte, wäre er wieder sauer geworden und hätte mich bestimmt auch bestraft, aber dafür fehlte mir heute die Zeit.
„Was kann ich für dich tun?“ Mia blickte auf die Krücken, die an der Couch lehnten.
„Ich brauche mindestens zwei Wochen frei, Tyron!“ Ich hatte etwas Angst, wieder zu ihm zusehen, noch nie hatte ich um Urlaub oder ähnlichen Dingen gebeten. Als er nichts sagte, ließ ich meinen Blick langsam zu ihm wandern. Er sah nicht wütend aus, im Gegenteil, er kicherte sogar.
„Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ Ich nickte.
„Doch ist es. Ich hatte heute früh einen kleinen Unfall und muss eigentlich an Krücken gehen, aber ich kann Andrew ja nicht sagen, dass es in wenigen Minuten wieder in Ordnung ist!“ Tyron sah mich skeptisch an.
„Das klingt wie ein Vorwurf, dass deine Wunden, dank mir, schneller und besser verheilen!“ Hastig schüttelte ich den Kopf.
„Aber nein, so meinte ich das nicht. Aber ich kann das schlecht Andrew auf die Nase binden. Ich habe dir gesagt, dass ich ihn da nicht mit hineinziehen werde. Und genau deshalb brauche ich die freien Tage, damit er keinen Verdacht schöpft, dass irgendetwas faul ist!“
Ich sah Tyron an, dass er nachdachte. „Ich weiß nicht Mia, deine Arbeitsqualität lässt in letzter Zeit wirklich zu wünschen übrig!“ Ich biss die Zähne zusammen.
„Ich habe immer alles gemacht, was du wolltest. Ich habe seit Jahren jeden Dämonen hergebracht oder getötet. Ich kann doch mittlerweile eine kleine Gegenleistung erwarten!“ als ich den letzten Teil sagte, hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte ich nur meine Stimme gegen ihn erheben? Ich überlegte, wie ich alles wieder entschärfen konnte.
„Setz Soi für mich ein!“ schlug ich schließlich vor. Sie schuldete mir den ein oder anderen Gefallen. Soi war in derselben Situation, wie ich, sie musste gezwungenermaßen hier arbeiten. In dem Fall könnte man denken, wir würden zusammenhalten, aber das Gegenteil war der Fall, wir konnten uns nicht ausstehen. Dennoch übernahm ich manchmal Aufträge von ihr.
„Das wird nicht gehen, Soi arbeitet nicht mehr länger hier!“ sagte er fast lachend. Meine Augen weiteten sich und ich war mich sicher, dass aus meinem Gesicht alles an Farbe verschwunden war.
„Du hast…“ ich konnte die Frage nicht beenden, meine Stimme brach. Zu meiner Überraschung schüttelte er den Kopf.
„Nicht ich. Sam hatte das für mich erledigt. Du weißt doch, wie gern er so etwas macht!“ sagte er und lächelte. „Warum?“ fragte ich mit erstickter Stimme.
„Sie hat nachgelassen und mir ist zu Ohren gekommen, dass sie versuchen wollte, abzuhauen!“ Ich konnte Soi nie leiden, aber das hatte selbst sie nicht verdient.
„Weißt du Mia, du hast Recht. Ich gebe dir zwei Wochen frei, erhole dich schön!“ er lächelte mich an. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
„Danke Tyron, ich werde pünktlich zurück sein!“ Er umfasste mein Kinn und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.
„Ich weiß, dass du das wirst!“ sagte er und küsste mich kurz auf die Wange. „Du darfst jetzt gehen Mia!“
Schwach nickte ich, nahm mir meine Krücken und verließ schnell das Büro. Im Aufzug atmete ich tief durch, ich wischte mir immer wieder mit der Hand über meine Wange, aber dieses Gefühl, was er da hinterlassen hatte, wollte nicht verschwinden. Das „Ding“ des Aufzuges ertönte wieder, ich stützte mich auf meine Krücken, durchquerte die Lobby und lief nach draußen zu unserem PKW. Vorsichtig ließ ich mich auf dem Sitz nieder. Nachdem ich dann die Tür geschlossen und die Krücken zur Seite gelegt hatte, sah ich langsam zu Andrew. Er sah nicht direkt sauer aus, aber auch nicht wirklich zufrieden.
„Es war von fünf Minuten die Rede gewesen!“ Ich nickte.
„Ja, ich weiß. Aber er wollte alles wissen und dadurch hat sich alles verzögert!“ log ich und sah auf meine Hände, die ineinander verschränkt auf meinen Schoß lagen.
Ich hörte, wie er schwer aus atmete. „Wie lange hat er dir denn frei gegeben?“
„Zwei Wochen!“ flüsterte ich. Er legte seine Finger an mein Kinn und zog meinen Kopf grob in seine Richtung, dass ich ihn ansehen musste, genau wie Tyron zuvor.
„Er gibt dir nur zwei Wochen? Soweit ich weiß, hattest du noch nie frei, du warst noch nie krank oder hast sonst irgendwie gefehlt. Und jetzt, nachdem du dich verletzte hast und ein paar Tage frei brauchst, gibt er dir nur zwei Wochen?“ fuhr er mich an. Ich habe ihn noch nie so sauer erlebt, selbst seine Augen wurden vor Wut dunkler. Plötzlich zuckte er zurück und sah mich erschrocken an, mein Kinn hielt er weiterhin fest. Er lockerte den Griff etwas und ich spürte, wie sein Daumen über meine Wange fuhr. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir Tränen über die Wangen liefen.
„Bitte, weine nicht mein Liebling. Ich wollte dich nicht so anfahren, entschuldige!“ bat er und näherte sich mir.
Andrew war eigentlich die Ruhe in Person, noch nie hatte er so mit mir geredet. Aber ich weinte nicht deswegen, er hatte mit weniger als sieben Sätzen mein Leben zusammengefasst. Ich arbeitete seit Jahren, jeden Tag. Nie hatte ich um ein paar Tage frei, Urlaub oder sonst etwas gebeten. Mein Leben war wirklich erbärmlich.
„Mia?“ riss mich Andrews Stimme aus den Gedanken. „Bitte verzeih mir!“ bat er noch einmal. Ich nickte nur schwach.
„Natürlich!“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen.
„Ich liebe dich!“ flüsterte er an meinen Lippen. Bevor ich etwas erwidern konnte, küsste er mich schon.
Ein Licht blendete mich trotz meiner geschlossenen Augen. Langsam öffnete ich sie und blickte direkt in die Sonnenstrahlen.
„Schön, dass Sie sind wach!“ hörte ich Callie sagen. „Und Ihre Wunden sind fast verheilt!“ fügte sie dazu.
„Ich bin immer noch hier!“ stellte ich leicht genervt fest. Callie zog die Vorhänge zu.
„Sie haben gehofft, dass es nur ein Traum war!“ es war eine direkte Feststellung. „Machen Sie sich keine Sorgen, denn der Meister ist bald da!“ Ich sah sie an. Es war doch keine Einbildung, aber wen meinte sie denn? Etwa doch Tyron?
„Wer ist ihr Meister?“ fragte ich fast flüsternd. Langsam setzte ich mich auf, meine Schmerzen waren fast verschwunden. Ich lehnte mich gegen das Kopfende und bemerkte, dass ich ein für mich zu großes, schwarzes Hemd trug.
„Der Meister wird bald da sein. Er wird alles erklären und auch die Entscheidungen treffen, die notwendig sind!“ erklärte sie. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
„Wie heißt denn Ihr Meister?“ fragte ich schließlich, ein Angstgefühl machte sich in mir breit, das mir so gar nicht behagte. Sie schüttelte den Kopf.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen!“ sagte sie ruhig, aber lächelte. Schließlich fügte sie noch hinzu: „Ruhen Sie sich weiterhin aus, ich werde Ihnen etwas zu Essen besorgen!“
Ich dachte an meinen Traum, war es ein Traum? Nein, eher eine Erinnerung. Andrew fehlte mir plötzlich so, ich wollte ihn nie mit hineinziehen, aber ich hätte ihn sehr gern jetzt bei mir.
„Kann ich telefonieren?“ fragte ich schnell, bevor Callie aus dem Raum trat.
„Nein, der Meister wird kommen und dann wird er entscheiden!“ sagte sie noch und verließ den Raum.
Ich legte meine Arme um meinen Oberkörper, zog meine Beine an und atmete tief durch. Mein Blick fiel auf die andere Seite des Bettes. Ein Lächeln überkam meine Lippen. Ich dachte an den ersten freien Tag, den ich mit Andrew verbracht hatte. Ich wusste noch, dass er mich durch meinen verletzen Fuß nichts machen ließ. Er brachte mir das Frühstück ans Bett, die Sachen, die ich anziehen wollte und trug mich sogar ins Wohnzimmer auf die Couch. Nachdem er alles in Ordnung gebracht hatte, setzte er sich zu mir. Ich kuschelte mich an ihn und genoss seine Nähe.
Ich konnte nicht fassen, dass nur ein Dämon es geschafft hatte, mich von ihm zu trennen. Und eines wusste ich, würde er mir noch einmal unter die Augen treten, würde ich ihm mit einem kalten Lächeln sein widerliches Grinsen aus dem Gesicht schießen. Ich wusste, Sam war so gut wie tot.