Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand eines Hauses. Ihre spitzen Ohren lagen verborgen unter einem Tuch und einem großen Hut, den sie zum Schutz vor der Sonne aufgesetzt hatte. Die Luft flirrte, so heiß war es, obwohl der Zenit längst überschritten war und das Leben nach der Mittagsruhe wieder in die Gassen und Straßen der Stadt einkehrte. Es war eine Oase in der Wüste. Der Name der Stadt war Acolan und sie lag mitten im Land Desolmnia, einem trostloseren und heißeren Land, als man sich erträumen konnte. Die Stadt war ein Schnittpunkt für ein buntes Sammelsurium an Völkern war.
Eigentlich würde sie, das Mädchen mit dem schlichten hellen Gewand und den sonnenverbrannten Armen, kaum auffallen, denn es kreuzten viele andere spitzohrige Wesen ihren Weg. Doch sie behielt ihre Ohren lieber verdeckt.
Amüsiert verfolgte sie das muntere Treiben der Leute, die aus ihren Häusern traten oder von weiter oben kamen, um zum Markt zu gehen.
Darunter auch er, der Elf mit seiner dunklen Haut, den sie schon öfter gesehen hatte. Er trug eine dunkle, matt glänzende Rüstung, deren Anblick sie fragen ließ, wie heiß ihm wohl darunter war.
Da passierte es, dass seine Augen die ihren trafen und er, ohne den Blick von ihr zu nehmen, sich einen Weg durch die Menge auf sie zu bahnte.
Lad war verwirrt, als er vor ihr stehen blieb und sie eingehend musterte.
„Wer bist du?“, fragte er sie ohne einen Gruß. Einfach so. Direkt und mit einem Ausdruck der Neugierde in den Augen.
„Man nennt mich Lys Feu“, antwortete sie und verzog den Mund zu einem Lächeln. Die Sonne blendete sie, als sie in sein Gesicht hochsah und ihre Augen tränten.
Sie beobachtete, wie er den Namen stumm mit den Lippen formte und nickte. Dann wandte er sich ab und verschwand in der Menge aus der er gekommen war.
Niemals hätte sie sagen können, was genau es war, dass ihr Herz ein paar Takte schneller klopfen ließ und ihre Finger feucht werden. Er war so direkt gewesen und dann gegangen, als hätte er sie nur auf einer unsichtbaren Liste vermerkt.
Sie folgte ihm nicht, sondern stand nur dort, sah ihm verblüfft nach. Ihr Herz raste und sie fühlte wie die Röte in ihr Gesicht schoss. Nicht die Röte, die zu viel Sonne verursachte auf ihrer hellen Haut, sondern eine andere, die auch ein Lächeln in ihr Gesicht zauberte, das den restlichen Tag über nicht weggehen wollte.
Auch nicht, als sie am Abend in die Herberge kam, in der sie sich als Kellnerin verdiente.
„Guten Abend!“, Xanthas vergnügte Stimme drang an ihre Ohren, „Du bist spät, Lys. Ich dachte schon, ich müsse alles allein machen.“ Mit diesen Worten warf sie Lad eine Schürze zu und balancierte Krüge und Suppenteller, die bis zum Rand gefüllt waren, durch den vollen Raum, der vom Lärm der Gäste erfüllt war. Sie fing die Schürze auf und band sie um, eilte zu den Tischen, um die leeren Teller einzusammeln. Ihr Blick folgte dabei aus den Augenwinkeln Xantha, ihrer Freundin, die als einzige in dieser Stadt ihren wahren Namen kannte und von ihren spitzen Ohren wusste, denn sie teilten sich auch eine Unterkunft. Nicht einmal ihm hatte sie heute ihren Namen verraten, sondern nur den genannt, unter dem sie bekannt war: Lys Feu.
Sie lächelte noch immer unentwegt und nicht einmal, als ein Gast sie anfuhr, da sie seinen halbvollen Bierkrug mitnehmen wollte, änderte etwas daran.
Xantha bemerkte den verträumten Blick in Lads Gesicht und zog sie, als die letzten Gäste das Haus verließen, freiwillig oder durch gutes Zureden, beiseite. „Sag mir, Lys, warum lächelst du so sehr? Du hast einem Herrn Wein übergeschüttet und der Wirt beschloss dir den Lohn zu kürzen, doch du hast nur genickt und gelächelt. Was ist passiert?“, fragte sie und musterte Lad mit neugierigen Augen.
„Ich weiß es nicht“, Lad lachte und spielte mit ihrem Haar herum, was sie sonst nie tat. Sie ging die Treppe hinauf in ihre gemeinsame Unterkunft und ließ sich auf ihr Lager aus Stroh und Decken fallen. Für mehr reichte es nicht, doch sie waren beide zufrieden, wie es war. Ihr Blick wanderte zur Decke und sie schloss die Augen. Sein Gesicht erschien ihr und sie seufzte tief, sich fragend, ob sie ihn wiedersehen würde.
„Hier so nimmst du es in die Hand“, er lächelte sie an und drückte ihr den Griff des Schwertes in die Hand, schloss ihre Finger sanft darum.
Lad hörte ihm gut zu und umfasste den Griff. Es war nicht das erste Mal, dass sie ein echtes Schwert hielt, doch es war neu nun mit einem echten kämpfen zu lernen. Bisher hatten sie mit Holzschwertern geübt und sie hatte sich als durchaus gelehrige Schülerin herausgestellt.
Er führte ihren Arm und zeigte ihr geduldig, welche Haltung sie einnehmen musste, um zuschlagen zu können. Es fiel ihr schwer, das Gewicht des Stahls auszugleichen.
„Gut. Versuch mich anzugreifen.“, er trat ein paar Schritte zurück und zog sein Schwert, hielt es bereit vor sich und wartete darauf, dass sie zu schlug.
Es waren einige Wochen vergangen, seit sie ihn getroffen hatte und er ihren Namen erfuhr. Seinen kannte sie noch immer nicht und er verriet ihn auch nicht. Er sagte, es wäre besser, wenn sie es nicht wisse und sie vertraute ihm.
Liebe machte doch irgendwo blind, fand sie und lächelte kurz, ehe sie sich auf ihn stürzte und er ihre Schläge geschickt parierte.
Gerade, als sie erneut ausholte, tat er einen Schritt zur Seite und sie stolperte nach vorn. Mit einem Stöhnen landete sie am Boden, das Schwert noch fest von der Hand umschlossen und schüttelte den Kopf. Schweißperlen standen bereits auf ihrer Stirn.
„Komm! Nicht aufgeben. Schlag zu!“, forderte er sie auf und spielte sich mit der Waffe in seiner Hand. Für ihn war alles ein Tanz und er wollte, dass sie tanzen lernte.
Lad rappelte sich auf und legte alles in den nächsten Angriff. Ihre Klingen kreuzten sich und schon bald waren sie in ein Gefecht verwickelt, indem er sie immer wieder schlug, doch auch ihr gelangen einige Treffer.
Erst als der Tag sich dem Ende neigte, beendeten sie ihr Training. Lad lehnte außer Atem und verschwitzt mit dem Rücken an eine Hausmauer des Innenhofes, in dem sie waren. Dort war es schattig genug gewesen. Andernfalls hätten sie es kaum so lange durchgehalten, denn die Sonne strahlte fast jeden Tag unbarmherzig und Regen war selten in der Wüste.
„Wann werde ich es je schaffen, dich zu schlagen?“, fragte sie lachend und ließ das Schwert aus ihrer Hand zu Boden gleiten, strich eine verschwitzte Strähne zurück unter das Tuch, das um ihren Kopf gebunden war.
Er lachte amüsiert auf und seine dunklen Augen funkelten. Heute trug er keine Rüstung. Er trug sie eigentlich nie, wenn sie sich zum Training trafen. Denn dafür wechselte er zu einer dunklen Hose und einem Hemd aus Leinen mit einem ledernen Wams darüber.
Mit einer Drehung aus dem Handgelenk, wirbelte er die Klinge herum und zerschnitt die warme Luft, ehe er es wegsteckte. „Du wirst noch üben müssen, aber du bist auf dem richtigen Weg. Mit den Dolchen hast du es doch auch geschafft“, erwiderte er und kam näher, stemmte eine Hand auf die Wand neben ihr und beugte sich über sie, „Übung macht den Meister, sagt man. Trainier fleißig weiter und du bist bald ein guter Kämpfer.“
Sie spürte ihre Wangen heiß werden. Nicht mehr vom anstrengenden Kampf, sondern vor Scham darüber, dass er so nah war. Innerlich flehte sie, ihr Gesicht wäre noch rot genug, um dies zu verbergen.
Er ging in die Knie, ohne die Augen von ihrem Gesicht zu lassen und hob das Schwert vom Boden auf. Sanft fasste er ihre Hand und schloss die Finger wieder um den Griff. „Behalte es. Ich will, dass du damit sooft übst, wie du kannst. Du musst lernen, dich zu verteidigen“, raunte er an ihr Ohr und trat dann einen Schritt zurück, „Ich werde morgen aufbrechen. Warte nicht hier auf mich.“
„Wohin wirst du reisen?“, ein dumpfes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.
Er wandte sich ab und blickte die Hausmauer hinauf, „Richtung Westen. Dahin, wo es mehr grün gibt als in dieser Hölle hier.“
Sie sah ihm noch lange nach, als er seine Sachen packte und ging. Ihre Finger umschlossen den Griff des Schwertes noch, als sie im Gasthaus ankam, wo Xantha sie bereits erwartete.
Ihre Miene verhieß nichts Gutes. Die dunklen Augen funkelten missmutig.
„Gefeuert“, lautete ihre knappe Begrüßung und ein eisiger Ton schwang in ihrer Stimme mit. Erst jetzt fielen Lad die beiden Reisetaschen auf, die zu Xanthas Füßen standen. Augenblicklich verlor sich das selige Lächeln in ihrem Gesicht.
„Gefeuert?“, echote sie und schickte sich an, ihre Tasche hochzunehmen, die Xantha offenbar fürsorglich gepackt hatte.
„Ja, weil sie angeblich jemand besseren angestellt haben. Jemand, der nicht so viel verlangt wie wir, dem es reicht im Stall beim Vieh zu schlafen.“, sie packte den Riemen ihrer Tasche und hievte sie über ihre Schulter, „Was sollen wir jetzt machen?“
Lad schulterte ebenfalls ihre Sachen, befestigte das Schwert an der Seite dieser. Nachdenklich legte sie einen Finger an die Lippen. „Mh. Ich wüsste da was. Lass uns aus dieser Wüste ziehen. Weit weg und in die grüne Welt! Ich war schon lange nicht mehr unter Bäumen und da draußen gibt es sicher viele Länder, die wir entdecken können. Viele Orte, die uns mit ihrer Schönheit verzaubern. Lass uns der Sonne folgen!“
„Ich kenne nur die wenigen Bäume hier.“, Xantha wies mit der Hand zu einem der Bäume, die in der Stadt gepflanzt und bewässert wurden, „Warum also nicht? Ich möchte zu gern die Welt sehen, von der du mir erzählt hast. Ich möchte auch Schnee sehen. Ich stelle ihn mir wunderschön vor.“ Mit ihrem braunen Haar, dem dunkleren Teint und den vielen Sommersprossen im Gesicht entstammte sie selbst einer Stadt aus der Wüste. Genauer gesagt, einem kleineren Dorf, das einige Fußstunden von hier entfernt lag.
Sie war in die größere Stadt gereist, um Arbeit zu finden und hatte so auch Lad getroffen. Xantha war etwa Anfang zwanzig zu diesem Zeitpunkt und hatte, wie viele in ihrem Alter, den Traum, es besser zu machen als ihre Eltern, die neben ihr noch zwei Söhne hatten.
Nun spürte sie die Hand, die ihre nahm und sie mit sich zog. Ein Lächeln stahl sich in ihre Züge. Es war an der Zeit, mehr von der Welt kennenzulernen und so ließ sie sich von Lad bereit willig mitnehmen.