Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufhorchen.
„Lad? Bist du da?“, Xanthas Stimme drang durch das Holz der Tür und sie ging hinüber, um es sie hereinzulassen.
„Wo sollte ich sonst sein?“, erwiderte sie und hob eine Braue, angesichts von dem Strahlen, das in Xanthas sommersprossigen Gesicht lag, „Hab ich was verpasst?“
„Er hat mich gefragt“, das Grinsen wurde noch breiter, „Edwin hat mich gefragt, ob ich ihn heirate und mit ihm in seine Heimat zurückkehre. Ich habe Ja gesagt.“
Lad klappte der Mund auf und sie schnappte nach Luft wie ein Karpfen an Land. Nun fiel ihr auch der Ring auf, der, da er viel zu klein war, an Xanthas kleinem rechten Finger steckte.
Xantha ging an Lad vorbei und ließ sich auf deren Bett nieder. Ohne Aufforderung begann sie zu erzählen: „Ich bin mit ihm in die Küche gegangen, um ihn zu fragen, was er möchte. Er sagte, er hätte gern etwas Süßes und da hab ich ihn gebeten Feuerholz für den Ofen zu holen und als er weg war, habe ich den Teig vorbereitet. Ich wartete dann eine Weile und er kam schließlich wieder. Mein Kuchen brannte leider ein wenig an und ich habe Zucker und Salz verwechselt. Ich dachte mir nur: 'Oh nein, er wird enttäuscht sein!', aber dann ging er plötzlich vor mir auf die Knie und hat mich gefragt.“ Ihre Wangen glühten vor Aufregung und ihre funkelnden Augen lagen auf Lad, die sich neben ihr niedergelassen hatte.
„Das ist...“, Lad fehlten die passenden Worte. Erneut war sie hin- und hergerissen zwischen Freude und Neid.
„Wundervoll? Fantastisch? Atemraubend?“, schlug Xantha vor.
Lad nickte langsam: „Alle drei und noch viel mehr. Das ist die beste Neuigkeit des Tages! Ich freue mich sehr für dich.“ Sie schlang die Arme um Xantha, die lachend die Umarmung erwiderte.
Sie war froh, dass Xantha ihre Augen nicht bemerkte, die den Blick zum Tisch schweifen ließen. Zum Schwert, das dort seit Jahren ruhte und Wehmut lag in ihrem Herz.
So begann es also und das Fest, das Merenwen und Lad für ihre gemeinsame Freundin ausrichteten war ein prächtiges. Sie luden die nettesten Leute aus dem nahen Dorf ein und schmückten den Bereich um den See, wo die Feier stattfand, mit Rosen aus Merenwens Garten. Alles verlief wunderbar und niemand bemerkte das Wölfische an Merenwen oder Lads spitze Ohren, die jene unter einem großen Hut verbarg.
Selbst Lad hatte sich für diesen Anlass in ein Kleid gezwängt und die Braut bewundert, die für viele schon viel zu alt zum Heiraten gewesen sein mochte, denn sie war beinahe dreißig. Dennoch sah Xantha bezaubernd aus in ihrem beigen Kleid mit den langen Ärmeln und den Rosenblüten im geflochtenen Haar.
„Ich bin nervös“, kicherte Xantha mit geröteten Wangen und tänzelte auf der Stelle. Lad fasste sie an der Schulter, „Du liebst ihn doch und du hast Ja gesagt. Da musst du jetzt durch.“ Sie ergriff Xanthas Hand und schloss diese um den Strauß aus roten und gelben Rosen.
„Ich wage es kaum zu sagen, aber der Priester ist hier“, ertönte Merenwens Stimme, in dem Moment, in dem sie durch die Tür trat und sich schüttelte. Sie trug ihr bestes Kleid aus dunkelgrünem Samt und hackte sich an Xanthas anderer Seite unter. Da es keinen Brautvater gab, der sie zum Altar führen konnte, hatte Edwin die Idee gehabt, ihre Brautjungfern könnten diese Aufgabe ebenso gut erledigen.
„Priester“, Lad lachte auf, „Wir müssen dich wirklich sehr lieben, Xantha, dass wir uns die Kirche ins Haus holen.“
„Und ich bin euch auf ewig dankbar dafür. Es bedeutet ihm sehr viel“, die Braut lächelte den beiden zu und gemeinsam traten sie vor die Tür in den Sonnenschein des Tages. Eine lange Bahn bestreut mit Rosenblüten lag vor ihnen und endete unter einer Laube im Rosengarten. Viele Blicke, neugierige und argwöhnische, ruhten auf den drei Frauen, die dort entlang schritten. Lad hörte Getuschel der Dorffrauen, die sich fragten, ob es hier mit rechten Dingen zu ginge. Das Schloss galt einst als verflucht und vielleicht waren es Hexen, die hier lebten. Doch nicht alle beobachteten sie auf diese Weise. Merenwen entdeckte junge Mädchen, die jubelten und Blütenblätter auf die Braut warfen, die nur Augen für ihren Zukünftigen hatte, der darauf bestanden hatte, sich in seine Rüstung zu zwängen und stolz das Wappen Astilas auf der Brust trug. Ebenso stolz lächelte er, als Xantha von ihren Freundinnen entlassen wurde, die sich zu beiden Seiten des Paares positionierten. Sowohl Lad, als auch Merenwen trugen einen Ring bei sich, den sie im Lauf der Zeremonie aushändigten.
Sie tauschten einander kurze Blicke aus und Lad wandte sich schmunzelnd ab, ein Kichern unterdrückend.
Der Priester stand vor dem Brautpaar. Er war ein alter Mann mit Falten, so tief wie Schluchten im Gesicht. Ein nahezu seliges Lächeln lag in diesem und er trug eine Litanei vor, die so lang dauerte, dass Xantha nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Seine Stimme ging schleppend und die Tatsache, dass er bereits ein wenig taub war, kam an dem Part zum Vorschein, als er Edwin fragte, ob er mit Xantha den Bund beschließen wollte. Der Priester legte bereits eine Hand hinter sein Ohr und beugte sich weit vor, doch schien er ihn nicht zu verstehen. Edwins Stimme erreichte eine Lautstärke, die gerade noch angemessen war, als er, jedes Wort betonend, zum vierten Mal sagte: „Ja, ich will sie zur Frau nehmen!“
Daraufhin nickte der Priester endlich mit einem schalkhaften Lächeln und winkte die Brautjungfern heran, die die Ringe aushändigten. Mit einer fließenden Bewegung, in der jahrelange Übung steckte, verband er die Arme des Paares noch mit einem Band, bevor er sie entließ und sie sich den versammelten Gästen zuwandten, die in Jubel und Glückwunschrufe ausbrachen. Blumenblüten und Getreidekorn wurde über sie geworfen, als die beiden lachend den Weg zum See bestritten, wo eine lange Tafel aufgebaut war.
Lad und Merenwen hatten sich größte Mühe gegeben, so viel Essen, wie nur irgendwie möglich, für die hungrigen Gäste zu besorgen. Der Metzger des Dorfes und der Bäcker waren schließlich so zuvorkommend gewesen, dass sie mit anpackten und als das Paar die Tafel erreichte, strömte ihnen der Duft von frischem Brot, gebratenem Fleisch und süßem Gebäck entgegen. Alles angerichtet zwischen Obst und Gemüse, das die Natur gerade hergab. Das Spanferkel drehte sich noch über dem offenen Feuer, das unweit vom See aufgeschichtet war. Der Metzger stand mit hochrotem verschwitztem Gesicht daneben und bestrich es mit Honig.
„Vielen Dank, dass Ihr Euch die Mühe machtet“, Xantha strahlte den beleibten Mann an und drückte auch die Hand des Bäckers, der von der Bank aufsprang und dazu eilte. Beide hatten während der Zeremonie dem Festmahl seinen letzten Schliff gegeben.
„Hoch lebe das Brautpaar!“, Merenwen erhob ihren weingefüllten Kelch und nahm an Edwins Seite am Tisch Platz, während Lad sich mit den Röcken neben Xantha abmühte. Kichernd half die Frischvermählte ihr die Unordnung zu richten, damit auch sie anstoßen konnte und die restlichen Gäste stimmten mit ein.
„Ich danke im Namen meiner Familie für eure Einladung zu diesem erfreulichen Anlass. Vielleicht schweigen nun die bösen Zungen, die das Schloss als verflucht abtun wollen“, erklang die baritone Stimme eines grobschlächtigen Mannes, der drei Plätze weiter saß. Eine Frau in schlichtem braunen Kleid mit einem langen Zopf, warf ihm einen strengen Blick zu: „Sowas sagt man doch nicht auf einer Hochzeit!“
„Aber Liebes, ich will doch alle zum Schweigen bringen. So nette Mädchen und ein so stolzer Ritter können doch keine bösen Monster und Geister sein. Unsre Väter sollten sich schämen, dass wir das Schloss immer mieden“, er leerte seinen Becher in einem Zug und ignorierte, dass seine Frau vor Scham, die Hand vors Gesicht schlug. Sie zuckte leicht zusammen, als sie eine Berührung am Arm spürte und in Lads aufmunterndes Gesicht sah. „Keine Bange. Wir nehmen es niemandem übel. Als wir hierher kamen war dieser Ort wirklich seltsam, aber das lag wohl daran, dass es eine halbe Ruine war“, erklärte sie mit ruhiger Stimme und warf bedeutsame Blicke Xantha und Merenwen zu, die eifrig nickten.
„Auch ich glaubte, es würde spuken, dabei waren es nur Spinnweben“, ergänzte Xantha, „Merry hier hat uns auch mal einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Sie stolperte und kam mit Federn und Staub bedeckt zurück und sie schlich so leise, dass wir sie erst gar nicht bemerkten. Ich hab noch nie so laut geschrien in meinem Leben.“
„Es tut mir leid!“, Merenwen verschluckte sich fast an ihrem Wein und beeilte sich den Kelch abzustellen, „Ich hab euch sicher nicht Angst einjagen wollen.“
Die Frau lächelte milde und bemerkte dankbar, dass ihr Mann das Gesprächsthema gewechselt hatte und mit dem Bäcker ins Schwarzen gekommen war. „Ich bin übrigens Elena. Woher kommt ihr eigentlich? Aus welchem Teil des Landes?“, fragte sie neugierig geworden.
„Das ist eine lange Geschichte“, Lad spießte Fleisch mit einer Gabel auf und verteilte es auf den umliegenden Tellern, „Xantha und ich lebten früher in Acolan, einer Stadt in Desolmnia. Das ist sehr weit weg und wir wissen, dass es nicht so gern gesehen ist, wenn Frauen alleine reisen.“
„Allein? Ganz allein? Was ist mit euren Familien?“, Elenas Augen weiteten sich erstaunt und sie stocherte mehr in ihrem Teller als dass sie etwas zu sich nahm.
Xantha nickte knapp: „Wir hatten ja uns. Meine Familie hat mich schon Jahre davor verlassen und Lads Familie ist gestorben. Sie hat mir versprochen, dass ich Bäume sehen werde. Acolan ist eine Wüstenstadt. Dort gibt es nur Sand, Hitze und Staub. Nun hier bin ich und überall sind Bäume. Ich habe die tollsten zwei Freundinnen, die ich mir wünschen kann und ich hab den besten Mann an meiner Seite.“ Sie fasste Edwin, der an einem größeren Brocken kaute, am Arm und schmiegte sich lächelnd an. Dieser schluckte schnell und fasste sie sanft am Kinn, um ihr einen Kuss zu geben: „Und ich habe die schönste Frau an meiner.“
„Komm, lass uns auch tanzen“, Lad ergriff Merenwens Hände und zog die überraschte Gestaltwandlerin auf die Beine. Das Mahl war längst beendet und ein paar der Dorfbewohner hatten ihre Musikinstrumente mitgebracht. Eine fröhliche Melodie erfüllte den Garten des Schlosses.
Edwin hatte sich nach dem Essen verzogen, um die Rüstung gegen ein Leinenhemd und Hosen zu tauschen. Ausgelassen führte er Xantha über die freie Fläche. Nicht wenige der Gäste taten es ihnen gleich und diejenigen, die nicht tanzen, stampften und klatschten im Takt zur Musik.
Merenwen warf ihr langes Haar über die Schulter und folgte Lad. Es mutete ihr eigentümlich an, dass sie gemeinsam tanzen würden, doch wen kümmerte es im Endeffekt? Ein Reigen Dorffrauen tanzte um das Brautpaar und Elena reichte ihnen die Hände, um sie mit einzufügen. Sie zögerte und stolperte ein paar Mal. Bemüht die Bewegungen der anderen nachzuahmen. Xantha lachte ihnen freudig zu und Merenwen lächelte zurück.
Gemeinsam drehten sie sich im Kreis, klatschten, stampften und jubelten immer wieder. Sie stimmte in den Gesang der Frauen ein und willigte fast schüchtern ein, als einer der Burschen sie zum Paartanz aufforderte.
Lad hatte ebenfalls einen Tanzpartner gefunden. Ihr Lachen und ihre Begeisterung waren ansteckend. Die Braut ließ sich mit hochroten Wangen auf einer Bank nieder und klatschte, kurz verschnaufend, in die Hände. Ein Becher Wasser und Wein und Edwin holte sie zurück auf die Tanzfläche.
Es wurden aus einem neuen noch viele mehr und am Ende tanzten die drei Freundinnen, einander an den Händen haltend, um Edwin herum bis der Tag sich dem Ende zuneigte und es für das Paar Zeit wurde, aufzubrechen.
Fast zehn Jahre, so lange waren sie bereits Freunde und seit mindestens acht Sommern davon lebten sie in Merenwens Schloss. Eine Träne stahl sich in Lads graue Augen, als sie Xantha und Edwin zum Abschied umarmte. Sie wollten in Edwins Heimatstadt ziehen.
„Passt auf euch auf“, flüsterte sie mit gebrochener Stimme. Xantha lächelte ihr so warm zu, wie sie es all die Jahre kannte. Das sommersprossige Gesicht, die Stupsnase und die dunklen Augen, bereits von Lachfalten umzeichnet.
„Mach dir keine Sorgen, Lys, wir werden uns wiedersehen“, sie nutzte mit Absicht Lads alten Namen und strich sanft über deren Wange, bevor Edwin sie aufs Pferd hob und sich hinter sie setzte. Unter dem Jubel der Leute ritten die beiden davon. Nach und nach löste sich auch die Feier auf. Die Gäste strömten die breite Straße hinunter ins Dorf und Merenwen hatte sich zurückgezogen, um in Ruhe den Tag ausklingen zu lassen.
Am Ende fand sich die junge Elfe allein am Ufer des Sees wieder. Sie streifte die feinen Schuhe von den Füßen, raffte die Röcke des Kleides und tauchte die Füße ins erfrischende Nass. Die Sonne ging unter und es wurde kühler.
Ihre Gedanken waren noch bei Xantha und Edwin. Sie wünschte ihnen alles Glück der Welt.
Ein Rascheln im Schilf hinter sich ließ sie aufhorchen und sich daran erinnern, dass sie bereits bis zu den Knien im Wasser stand und der Stoff des Kleides sich langsam vollgesogen hatte.
„Wer ist da?“, fragte sie laut und blickte sich nach dem Urheber des Geräusches um. Zu ihrem Erstaunen trat eine hochgewachsene Frau mit wildem roten Haar aus dem Schilf. Sie war gekleidet wie ein Waldläufer in Hosen aus verschiedenen Tierledern und einem weiten Hemd, das von einem ledernen Wams zusammengehalten wurde. Um die Brust lag der Riemen, der einen Köcher am Rücken vermuten ließ, passend zu dem langen Bogen, den sie in einer Hand trug.
„Seid mir gegrüßt, Lad í Sathil“, erhob die Fremde ihre melodische Stimme und deutete eine Verneigung an.
„Woher wisst Ihr, wer ich bin?“, Lads Stimme klang verwirrt. Sie musterte die Frau genauer, erblickte Elfenohren, die aus den roten Wellen hervorlugten, doch konnte sie schwören, sie hatte sie noch nie gesehen.
„Ich weiß viel über Euch“, erwiderte die Fremde und ein Lächeln kräuselte ihre Lippen, als Lad ihren Weg zurück zum Ufer ging. Der Stoff des Gewandes schwer von Wasser. Amüsiert musterte sie ein Paar tiefblauer Augen, die aus einem ebenen Gesicht mit markanten Wangenknochen stachen.
Argwöhnisch erwiderte Lad diesen Blick und rückte mit der Hand den großen Hut gerade. „Was wollt Ihr von mir?“
Sie wünschte, sie hätte das Schwert dabeigehabt, doch auf einer Feier wie heute, trug man keine Waffen. Es sei denn natürlich, es sei eine ungeladene Elfe, die nach Ende aller Dinge auftrat.
„Ich wurde geschickt, um Euch zu sagen, dass Ihr zurückkehren müsst. Zurück nach Aurenien, woher Ihr stammt. Eure Familie braucht Euch in dieser Stunde“, die Elfe lächelte unentwegt und folgte ihr übers Gras bis zu der Stelle, an der sie ihre Schuhe gelassen hatte.
Als das Wort 'Familie' fiel, wirbelte Lad herum und funkelte die Fremde an. „Meine Familie ist hier! Die anderen starben im Feuer.“, ihre Stimme war rauer als sie es selbst gewohnt war. Sie räusperte sich, ehe sie fortfuhr: „Und was die anderen angeht, so gaben sie mich her und suchten nie nach mir, warum sollte ich sie also aufsuchen wollen?“
„Weil sie dachten, Ihr seid tot, doch Ihr steht hier vor mir in aller Größe“, die Ruhe in ihrer Stimme ließ Lad die Fäuste ballen. Wie konnte sich diese Elfe anmaßen so mit ihr zu reden? Zu behaupten, dass irgendjemand noch da draußen war und nach ihr Ausschau halten würde? Für sie war das Thema Aurenien ein für alle Mal abgehackt.
Wütend wandte sie sich ab, ergriff ihre Schuhe und raffte den schweren Rock, um zum Schloss zu gehen. Die Schritte hinter ihr verrieten, dass ihr die Elfe folgte.
„Ihr habt gesagt, was Ihr wolltet. Was nun?“
„Ihr seht Eurer Schwester sehr ähnlich, nur habt Ihr das Haar Eures Vaters.“, die Elfe blieb hinter ihr stehen und sie spürte den musternden Blick in ihrem Rücken.
Eine Schwester? Lad riskierte einen Blick über die Schulter. Diese Tatsache war ihr fremd. Sie wusste nur, dass ihre leiblichen Eltern sie als Baby weggeben hatten.
Warum sollte nun nach all den Jahren, den vielen Jahren, die sie von Aurenien weggegangen war, auf einmal jemand kommen und sie bitten zurückzukehren?
Die Rothaarige verzog keine Miene, doch las sie in Lads verblüfften grauen Augen. „Ihr wusstet es nicht? Eure Schwester ist Liadan, Kommandantin der Reiter-Turma und glaubt man dem, was erzählt wird, so hat sie die Hoffnung, dass Ihr noch lebt, nie aufgegeben.“, die Stimme klang nun eindringlicher, „Sie bedarf Eurer Hilfe, Lad. Nur Ihr allein könnt Ihr beiseite stehen.“ Sie trat einen Schritt näher heran und fixierte Lad, die einen guten Kopf kleiner war, mit ihrem Blick. „Erinnert Euch, wo Ihr hingehört. Dies hier mag Euer Zuhause gewesen sein für ein paar Jahre, doch Ihr gehört nach Aurenien zu Eurem Volk, unserem Volk, den Fai.“
Lad blinzelte und schüttelte energisch den Kopf: „Ich habe kein Volk.“
„Doch, das habt Ihr“, die Elfe streckte die Hand aus, um sie ihr auf die Schulter zu legen, doch sie wich ihr aus. Ihre Miene war kalt geworden und ebenso kühl war ihre Stimme: „Dann kennt Ihr mich wohl doch nicht so gut, wie Ihr meintet.“
Etwas in ihrem Blick ließ die Elfe zurückschrecken und die Hand senken. Zum ersten Mal zeichnete sich eine Regung in ihrem Gesicht ab und fror das Lächeln auf ihren Lippen ein.
„Ich verstehe“, entgegnete sie leiser, „Verzeiht, dass ich Euch zu nah getreten bin. Ich dachte nur, vielleicht sehnt Ihr Euch auch danach, Eure wahre Familie kennenzulernen.“ Sie trat einen Schritt zurück, ließ ihr Gegenüber dabei keine Sekunde aus den Augen.
„Da habt Ihr falsch gedacht. Sie bedeuten mir nichts“, in Lads Stimme schwang Bitterkeit mit, „Ich wünsche Euch eine gute Reise, wo auch immer sie hingehen mag.“
Die Elfe nickte knapp und verneigte sich, entfernte sich, ein paar Schritte rückwärtsgehend, ohne den Blick abzuwenden, ehe sie sich umdrehte und vom nahen Wald verschluckt wurde.
Lad blickte ihr hinterher und seufzte tief. Damit hatte diese Fremde eine Wunde aufgerissen, die nie ganz verheilt war. Natürlich wollte sie ihre Familie kennenlernen, wollte herausfinden, warum man nicht nach ihr gesucht hatte und warum man sie hergegeben hatte. In Gedanken versunken öffnete sie die schwere Tür. So bekam sie nicht mit, dass sie von der Ferne noch beobachtet wurde.
Das Paar tiefblauer Augen folgte ihrer Bewegung, versteckt aus dem Wald heraus. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen und sie folgte dem Pfad bis zu der Stelle, an der ihr Begleiter mit ihren Pferden wartete.
„Sie wird nach Aurenien reisen“, jubilierte sie, als sie ankam und die Gestalt betrachtete, die vor ihr stand. In einen weiten Umhang gehüllt, das Haupt von einer Kapuze verborgen, die einen Großteil des Gesichtes in Schatten tauchte. Von Bewegung und Stimme war es ein Mann, der mit ihr gereist war und ihr den Auftrag gegeben hatte, abzuwarten, bis sie Lad allein antraf, um sie nach Aurenien zu locken. Der Vorwand und die Methode waren ihm gleich, die Hauptsache war, dass es geschah. Seine behandschuhte Hand strich über den Hals des Rappen, auf dem sie geritten war. Das zweite Pferd stand daneben mit dem Zaumzeug an einen breiten Ast gebunden.
„Seid Ihr sicher?“, seine Stimme war tief, rau und er würdigte sie keines Blickes, „Habt Ihr eine wörtliche Zustimmung erhalten?“
„Nein“, ihre Stimme war leiser geworden und sie ließ den Blick über den Boden schweifen, ehe sie rasch aufsah, „Aber ich habe sie beobachtet und ihre Miene verriet mir, dass sie es tun wird.“
„Dann hoffe ich, dass dem so ist“, er erhob die zweite Hand und vollführte eine winkende Geste.
Ihre Brauen wanderten nach oben, als sich ein Mann aus dem Schatten löste. Ein Mann gekleidet mit einer schwarzen Rüstung, dunkler Haut und weißem Haar. Sie erkannte ihn augenblicklich als Skalaner. Ihre Hand fuhr hoch und erfasste einen Pfeil im Köcher.
„Na, na. Begrüßt man so seinen neuen Reisegefährten?“, erklang die Stimme des ersten Mannes spöttisch, „Allerdings, haben wir ein kleines Problem, wie ich feststellen muss.“
Sie fuhr herum und blickte zur vermummten Gestalt.
„Wir haben nur zwei Pferde, aber sind zu dritt“, die Stimme war unheimlich ruhig und jagte ihr einen Schauer über die Haut.
„Das könnt Ihr doch nicht“, hauchte sie und sah wie gelähmt zu, als der Skalaner näherkam und sie mit einem Arm packte. Flink verdrehte er ihr diesen auf dem Rücken und zwang sie in die Knie. Panisch funkelten ihre Augen hoch zu ihrem Auftraggeber, der ihr einen kurzen Blick auf sein Gesicht gewährte, da er in die Hocke ging und ihr Gesicht mit zwei Fingern unter ihrem Kinn, anhob.
„Ich kann und ich werde. Tu hast deine Pflicht erfüllt, zu mehr bist du nicht von Nutzen.“, ein süffisantes Lächeln und er erhob sich in fließender Bewegung, wandte sich an den Skalaner, „Entledige dich ihrer. Sie ist nur unnützer Ballast.“
„Wie Ihr wünscht“, der Skalaner zog, ohne die Miene zu verziehen, einen Dolch und setzte diesen in ihrem Nacken an.
„Nein! Das dürft Ihr nicht! Ich war Euch doch immer treu ergeben!“, ihre Stimme war verzweifelt. Kein richtiges Schreien brachte sie zustande, mehr ein weinerliches Kreischen und Tränen liefen über ihre Wangen.
Der Mann raffte den Umhang zusammen und wandte noch ein letztes Mal das Wort an sie: „Aber ich habe es bereits getan.“
In diesem Moment durchbohrte die Klinge ihren Stamm und sie brach, des Lebens beraubt, zu Boden.