Manuel
Die Worte von Benjamin helfen mir sehr, besonders das, was einst Isobia zu ihm und Pia gesagt hatte. Als ich anfange zu meditieren, bin ich aber noch immer sehr nervös. Meine Gedanken kommen einfach nicht zum Stillstand, alles was ich erlebt habe, auch mein Verlust, will über mich hereinbrechen, und mich daran hindern, wirkliche, innere Ruhe zu finden. Doch dann schliesslich schaffe ich es meinen Atem und meine Gedanken zu beruhigen. Ich spüre plötzlich tiefes, inneres Vertrauen, dass alles gut ist, wie es ist. Dass alles seine Richtigkeit hat und ich hadere immer weniger mit meinem Schicksal und meinen Ängsten. Nun bin ich sehr froh, dass ich im Laufe meines Lebens schon etwas Meditationserfahrungen gesammelt habe. So fällt mir alles ein wenig leichter. Schon das erste Mal, als ich mit den Turner Geschwistern meditierte, habe ich mich sehr geborgen gefühlt. Ihre Anwesenheit tat mir sehr gut und ich glaube, dass ich auch durch diese kollektive, spirituelle Ausrichtung, die beiden ersten Schritte der Sphärenwanderung, so schnell geschafft habe. Der erste Schritt war für mich nicht schwer gewesen. Wie schwer musste es wohl damals für Ben und Pia gewesen sein, die noch so jung waren und noch keinerlei Ahnung von diesen Dingen hatten?
Als die Ruhe mich wie ein samtener Mantel einhüllt, beginne ich meinen Geist auf das Schloss der hundert Juwelen zu fokussieren. Dadurch dass es mir so vertraut vorgekommen ist, schaffe ich das ganz gut. Ein ganz klares Bild entsteht vor meinen Augen. Ich fühle mich ganz leicht und kurz darauf, beginnen wirklich seltsame Farben um mich herum zu tanzen. Fetzen von verschiedenen Erinnerungen und Gedanken erscheinen darin. Doch einige Bilder verwirren mich, denn sie zeigen Ereignisse, an welche ich mich gar nicht erinnern kann. Ereignisse bei denen ich ein anderer war. Einer welcher das Kristallreich, ebenso wie das Juwelenreich, wie seine Westentasche gekannt haben muss. Was sind das für Bilder, sind es nur Gedankenbilder, welche aus den Erzählungen von Benjamin und Pia entstanden sind oder… waren sie einstmals gar Teil meiner realen Welt? Eine tiefe Sehnsucht nach dieser anderen Welt, ergreift mich und auf einmal verliere ich die Bilder aus den Augen. Alles beginnt sich in wildem Farbenspiel um mich herum zu drehen und kurz darauf, öffnet sich vor mir ein bunter Strudel und dahinter leuchtet tatsächlich ein herrliches Schloss, besetzt mit Hunderten von Juwelen. Ein mächtiger Sog ergreift mich, ich werde in den Strudel hineingezogen und zu Füssen des einzigartigen Bauwerkes wieder ausgespukt. Etwas unbeholfen lande ich auf meinem Hintern. Pia und Benjamin folgen mir direkt auf den Fuss. Nur ist ihre Landung einiges anmutiger als meine. Nun gut, sie kennen sich damit ja auch schon besser aus als ich. Zumindest… in diesem Leben.
„Manuel du hast es geschafft!“ jubelt Pia und tastet meine Arme ab. „Alles dran!“ freut sie sich. „Du hast tatsächlich, beim ersten Versuch, die Sphärenwanderung geschafft!“ Auch Benjamin klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. „Ganz grossartig gemacht, kleiner Bruder! (er sagt das ganz spontan und es berührt mich sehr) Wer hätte das für möglich gehalten! Und da sind wir nun, nach so vielen Jahren, wieder zurück im Juwelenreich!!“
Wieder zurück im Märchenreich!
Erzähler
Die Sonne war gerade am Aufgehen und tauchte alles in ein rötliches Licht. Die Fassade des Palastes, vor ihnen war, wie in der Beschreibung, aus elfenbeinfarbenem Gestein gefertigt und schimmerte in der Morgensonne, wie Blut und Milch. Die vielen Erker, Bögen und Türme, hatte man allesamt mit verschiedenfarbigen Juwelen geschmückt. Manuel liess seinen Blick ehrfürchtig an dem mächtigen Portal emporwandern. Er konnte kaum fassen, was er da sah. „Es ist wie im Paradies!" flüsterte er.
„Ja wunderschön, nicht wahr?" sprach Pia. "Wir sind tatsächlich wieder zurück! Bald werden wir Malek und unsere anderen Freunde wieder sehen. Oh Benjamin, das wird wunderbar sein!"
Benjamins Augen leuchteten und er nickte. „Das wird ein ganz besonderer Moment. Nicht zu fassen! Wir sind tatsächlich wieder da! So viele Jahre sind vergangen, aber hier sieht alles noch genauso aus, wie damals, als wir weggegangen sind. „Ich kann es noch immer nicht glauben!"
Pia umarmte ihren Bruder. Dieser legte den Arm um sie und Manuel und zusammen, gingen sie zum Portal. Der Innenhof lag noch still da. Nur da und dort schlich eine Katze oder auch mal ein Hund herum. Ein älterer Mann schlurfte an ihnen vorbei. Er trug einen braunen Umhang und einen Hut. Zur Begrüssung fasste er an seine Krempe. Sie erwiderten den Gruss. „Weisst du noch, wo es zu den Königs- Gemächern geht?" fragte Benjamin seine Schwester.
„Ja so ungefähr. Viel hat sich ja nicht verändert. Wir müssen uns nur am größten Turm orientieren, dann finden wir sie." Sie durchschritten mehrere Innenhöfe und langsam erwachte der Palast zum Leben. Immer mehr Leute kreuzten ihren Weg, fast alle begrüssten sie höflich. Der Hofstaat von Nofretes Familie, nahm seine tägliche Arbeit auf.
Bald stand die Sonne hoch am Himmel und ihr bisher rötliches Licht, verwandelte sich in strahlendes Weiss. „Hast du schon jemanden gesehen, den wir kennen?“ fragte Pia.
„Bisher war es noch etwas dunkel, aber Ich glaube, es sind eine Menge Neue dazugekommen.“ „Glaubst es geht allen. die wir kennen, gut?“
„Ich hoffe es. Wenn wir erst mal Malek und die Königsfamilie treffen, werden wir es erfahren.“
„Ich glaube wir müssen jene Treppe hoch!" sprach das Mädchen. „Ach du meine Güte ich bin ja so aufgeregt!"
Als die drei allerdings die besagten Treppenstufen zum Hauptgebäude emporsteigen wollten, versperrten ihnen zwei, mit Schwertern bewaffnete Männer, den Weg.
"Halt! Wohin wollt ihr?" Benjamin bemühte sich um einen förmlichen Ton als er erwiderte: "Wir möchten gerne zur Königsfamlie und Malek." „So einfach ist das nicht,“ antwortete einer der Wächter. „Ausserdem schläft die Herrscherfamilie noch.“
„Dann berichtet ihnen doch bitte, das Pia und Benjamin zurückgekehrt sind! Wenn sie das hören, werden sie bestimmt sofort kommen.“ Der Wächter blickte die drei Freunde etwas misstrauisch an.
„Bitte melden sie uns an!“ bat Benjamin noch einmal. „Wir sprechen die Wahrheit.“
„Na gut, ich tue es! Aber Ich weiss nicht, ob die Königsfamilie euch zu so früher Stunde empfangen möchte. „Sie wird!“ erwiderte Benjamin „glauben sie mir, sie wird!“
Der Wächter wandte sich ab und betrat den Palast. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er zurückkehrte. Schliesslich jedoch war es so weit! Bei ihm war nun eine Frau, die jetzt ungefähr das Alter der Turners hatte. Sie trug einen samtenen Mantel und ihr langes, dunkles Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Nofrete!“ rief Pia "es ist Nofrete!“ Sie wollte die Treppe hinauf hasten. Der Wächter, der zurückgeblieben war jedoch, zückte sein Schwert und gab ihr unmissverständlich zu verstehen, dass sie besser blieb wo sie war. Die Prinzessin stand einen Augenblick lang reglos. Ihre smaragdgrünen Augen hafteten auf den Geschwistern. Einen Moment lang zögerte sie, als würde sie die, nun doch um einiges gealterten Geschwister, nicht erkennen. Doch dann erschien ein strahlendes Lächeln auf ihrem schönen Gesicht.
„Pia! Benjamin! Ihr seid es wirklich! Was seid ihr erwachsen geworden! Ich konnte es zuerst kaum glauben, als man mir erzählte, dass ihr hier seid. Nun seid ihr doch zurückgekehrt, nach all diesen Jahren!“ Sie lief die Treppe hinunter und die beiden Wächter wichen ehrerbietig zurück.
„Es sind die großen Führer, Pia und Benjamin Turner!“ rief die Prinzessin ihnen zu. Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Freude! Halb lachend und halb weinend, fielen sie und die beiden Geschwister sich in die Arme. Es war ein wundervolles Wiedersehen!