Er stöhnt auf und fällt mit blutender Nase, ohnmächtig zu Boden. Die Männer im Zimmer lassen erschrocken von dem verängstigten Mädchen ab und wenden sich mir zu. «Was zum Teufel?!» rufen sie. Mehr bringen sie nicht mehr heraus. Ich trete mit meinem Fuss gegen jenen, der mir am nächsten steht und dieser fällt gegen einen seiner Kameraden und geht zu zusammen mit ihm zu Boden. Der andere starrt mich voller Angst an: «Wer… sind sie?» «Ich bin die Rache!» spreche ich mit dröhnender Stimme. «Ihr Mistkerle habt es zu weit getrieben. Lasst das Mädchen sofort in Ruhe!» «Ist ja schon gut!» Die beiden Männer, welche durch meinen Tritt zu Boden gegangen waren, rappeln sich stöhnend und mit angst-geweiteten Augen auf. Jener der noch steht tritt ebenfalls vom Bett zurück. Ich packe das junge Mädchen am Arm, drücke ihr ihre Jacke in die Hand und spreche: «Bring dich in Sicherheit und ruf die Polizei an. Ich werde deine Zeugenaussage nachher brauchen.» Die Syrierin nickt mit einer Mischung aus Erleichterung und Ehrfurcht und verlässt den Raum.
«Soso… ihr wolltet euch also zu dritt an diesem armen Kind vergehen?» wende ich mich wieder an die Männer. «Schämt ihr euch nicht!» Das ist die höchste Stufe des Missbrauchs, einer Minderjährigen. Dafür werdet ihr lange hinter Gitter kommen.» «Aber… wie wussten nicht dass das Mädchen noch minderjährig ist!» versucht sich einer rauszureden. Ich lache bitter auf. «So ein Blödsinn! Ihr wusstet es ganz genau, doch ihr habt es trotzdem getan.» «Aber sie war einverstanden.» sagte ein anderer. «Ach kommt! Ich habe genau gehört, welch schreckliche Angst sie vor euch hatte. Es ist einfach nur widerlich! Ihr seid abartige Schweine, mehr kann ich dazu nicht sagen.» «Aber Amir… hat sie uns vermittelt. Er ist der Hauptschuldige!» widerspricht jener dem der Mercedes gehört. Ich gehe zu ihm und packe ihn zornig an der Gurgel. «Ihr seid genauso schuldig, ihr alle seid schuldig und die Strafe wird euch finden, auf die eine oder die andere Weise.» Dann kommt mir eine Idee und ich lasse den Mistkerl wieder los, der mich voll schrecklicher Angst mustert. «Vielleicht… wenn ihr gegen Amir aussagt, könntet ihr womöglich mildernde Umstände bekommen. Aber denkt bloss nicht, ihr könnt dann einfach so weitermachen mit dem Missbrauch junger, unschuldiger Mädchen. Jetzt bin ich hier und ich werde euch im Auge behalten…» Ein schmerzerfülltes Stöhnen erklingt auf einmal hinter mir. Amir ist wieder zu sich gekommen und hält sich seinen schmerzenden Kopf. Seine Nase scheint gebrochen zu sein, denn sie blutet ziemlich stark. Blitzschnell packe ich ihn, zerre ihn zu einem der alten Heizkörper in den Haus und binde ihn dort mit Kabelbindern fest. Ich ziehe sie straff an, dass er noch mehr stöhnt. In mir spüre ich den unglaublichen Hass, den ich auf diesen Mann habe. Er hat alles Mitleid verdrängt, doch ich muss bei klarem Verstand bleiben. Ich muss es diesmal klüger anstellen. Ich muss dafür sorgen, dass all diese Schweine in den Knast kommen. Ich binde auch die anderen drei nun mit Kabelbindern fest. Beinahe zur selben Zeit, erklingen draussen vor dem Haus die Polizeisirenen…
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Claudias Augen strahlen, als sie zu mir läuft, die Zeitung des Tages in der Hand schwenkend. «Sie haben ihn eingesperrt! Tatsächlich haben sie ihn eingesperrt!» freut sie sich «und auch die anderen drei. Sie sind alle in U- Haft. Das syrische Mädchen hat seine Versprechen gehalten und gegen sie ausgesagt! Und es haben sich noch mehr Frauen gemeldet. Es kam heraus, dass Amir tatsächlich Teil eines Zuhälterringes ist. Die Polizei versucht nun an die Hintermänner zu kommen. Doch Amir scheint ziemlich geständig zu sein. Eigentlich ist er schlicht ein ehrloser Haufen Sch… Sie haben auch über dich geschrieben. Dein Rachegöttinnen- Ich ist in aller Munde, man spricht schon von einer Superheldin, einem Schutzengel der vielen notleidenden Frauen. Das muss dir sehr viel geben.» Ich schaue die Zeitung an und bin erstaunt, dass ich mich noch immer nicht richtig zu freuen vermag. «Was ist denn Liebling?» fragt Claudia und legt die Arme um mich. «Ich weiss auch nicht… ich bin unendlich froh, dass Amir endlich hinter Gitter ist, aber… ich kann mich trotzdem nicht richtig freuen. Es ist… als habe er einen Teil meiner Seele gestohlen… ich weiss auch nicht. All dieser Schmerz, all diese schrecklichen Ängste, ich fühle sie immer noch, es ist beinahe körperlich. Amir hat ein Teil meines Lebens gestohlen und diesen Teil werde ich niemals zurückbekommen. Ausserdem…, wenn er sich doch wieder irgendwie aus allem herauswinden kann? Vielleicht hätte ich ihn besser getötet.» «Aber nein Milena! Das hätte deine Seele doch noch viel mehr belastet!» ruft Claudia erschrocken.
«Aber vielleicht wäre ich dann eher ganz zur Ruhe gekommen.» «Das glaubst du doch selbst nicht. Du hast das Richtige getan.» «Das steht noch etwas anderes über mich. Gesucht wird noch immer die einstige Lebenspartnerin des Haupt- Angeklagten. Sie ist spurlos verschwunden, seit sie selbigen beinahe mit einem Stuhlbein totgeschlagen hätte. Hatte es sich damals um Notwehr ihrerseits gehandelt? Hat sie selbst womöglich etwas mit den begangenen Verbrechen zu tun? So oder so wäre sie eine wichtige Zeugin, sie könnte den Angeklagten noch mehr belasten, jedoch würde auch sie nicht ohne Strafe für schwerer Körperverletzung davonkommen. Die Suche nach ihr ist bereits in vollem Gange. Der Angeklagte behauptet, dass sie gefährlich und gewalttätig sei. «Was!» empört sich Claudia «das habe ich noch gar nicht gelesen! Das ist doch völliger Schwachsinn!» Dieser Dreckskerl versucht alles, um von seiner Schuld abzulenken!»
Ich fühle mich auf einmal unendlich schwach und lasse mich auf das Sofa fallen. Das Atmen fällt mir schwer und in mir fühle ich wieder diesen unerträglichen Schmerz, der mich auch immer wieder dazu gebracht hat, mich zu ritzen. Automatisch suche ich nach einem Gegenstand, den ich dazu benutzen kann. Gleich vor mir, liegt eine Schere auf dem kleinen Beistelltisch des Sofas. Ich packe sie und will beginnen mich damit zu schneiden. Mir ist schlecht, alles in mir bäumt sich auf. Ich halte es nicht mehr aus, ich halte es einfach nicht mehr aus! Am liebsten würde ich alles aus mir herauswürgen, all dieser Schmerz, all diese Angst, diese Schwere, die mein Leben immer noch in ihren Fängen hält.
«Nein!» ruft Claudia entsetzt und entreisst mir die Schere. «Tu das nicht Milena! Das bringt doch nichts!» «Doch, gib mir die Schere ich muss etwas tun, ich halte es nicht mehr aus!» Ich erhebe mich, dem Wahnsinn nahe und laufe in die Küche, um einen anderen scharfen Gegenstand zu holen. Ich reisse die Schublade mit den Messern auf. «Ich will sterben, ich kann nicht mehr, ich habe genug. Es wird sich niemals etwas ändern. Amir hat meine Seele zerstört!» Ein tiefer Schluchzer entringt sich meiner Kehle. «Nein!» Claudias Stimme klingt nun verzweifelt. Sie packt meine Hand mit dem Messer und will mir auch dieses entreissen. «Wir stehen das zusammen durch, bitte Milena! Tu das nicht! Ich bin da für dich, ich werde dir beistehen und wir werden das gemeinsam schaffen, weil ich dich liebe! Ich liebe dich mehr als mein Leben! Bitte, besinn dich auf deine Kräfte! Besinne dich auf die Kräfte der grossen Göttin! Sie steht dir bei, genauso wie ich. Auch du selbst bist diese Göttin, sie ist Teil von dir. Sie hilft dir das alles zu überstehen!» Ich weine nun ungehemmt, das Messer entgleitet meinen Händen und ich sinke, gestützt von meiner Liebsten, auf die Kniee. Dort weine ich, weine ich einfach nur immer weiter, umfangen von Claudias Armen.
Und tatsächlich, ich spüre, wie mir nach und nach leichter ums Herz wird. Ich spüre Claudias aufrichtige Liebe, ihre Wärme. Ich will ihr nicht wehtun, indem ich mir selbst weh tue. «Du hast doch so wunderbare Gaben erhalten,» spricht Claudia eindringlich. «Du hast so grosse Kraft, eine Kraft, die dir ermöglicht anderen, die Ähnliches wie du durchmachen, zu helfen, sie vor noch Schlimmerem zu bewahren. Das ist deine besondere Gabe. Wirf sie nicht auf diese Weise weg! Durch sie wirst du auch immer wieder zu deiner eigenen Kraft finden können.» Ich nicke. Langsam baut sich der Druck in meinem Inneren wieder etwas ab und ich vergegenwärtige mir die Kraft der Göttin. Das hilft mir sehr. «Komm leg dich etwas hin,» spricht Claudia sanft. «Alles wird gut werden. Schlaf ein wenig und bald sieht alles wieder anders aus. Amir ist im Gefängnis und bestimmt werden sie ihn auch dabehalten, wenn sich noch mehr Frauen melden, die schlimme Erfahrungen mit ihm gemacht haben. Er gehört zu einem Zuhälterring, der mit Minderjährigen handelt. Das wird ihn so oder so teuer zu stehen kommen.» Und ich weiss, sie hat recht damit.