12. Kapitel
Eingeholt, von alten Schatten
Einige Tage lebt Monica nun bei mir. Sie will verständlicherweise nicht zu Erik zurück, die beiden lebten ja schon zusammen. Ich helfe ihr sich nach einer kleinen Wohnung für sich allein umzuschauen, gleichzeitig schaue ich, dass ihr Erik nicht zu nahe kommt. Wie vermutet, versuchte er schon die eine oder andere Masche, um sie zurück zu gewinnen. Von weitern Beleidigungen und Wutausbrüchen, bis über romantische Umwerbung und flehendes Bitten, war schon alles vertreten. Doch bisher liess sich Monica zum Glück nicht von ihm einwickeln. Sie und ich haben eine schöne Zeit zusammen. Wir reden viel und haben einiges zu lachen. Sie blüht wieder auf und das ist das schönste Geschenk. Dennoch sieht es so aus, als würden wir nur ganz normale Freundinnen bleiben, ohne dass mehr zwischen uns passiert. Sie hat schon öfters deutlich zu verstehen gegeben, dass sie absolut hetero ist und keinerlei sexuelles Interesse an Frauen hat. Sie weiss zwar, dass ich lesbisch bin, doch sie weiss auch, dass ich ihr nie zu nahe treten werde, solange sie das nicht möchte. Sie ist trotz allem jedoch meine erste, richtige Freundin, seit ich hier in Blossom City bin. Das erste Mal kann ich wieder jemanden voll und ganz vertrauen und das macht mich sehr glücklich. Es scheint endlos lange her, seit dies bei irgendwem der Fall gewesen ist. Ok, da ist noch Devi, aber mit ihr verbindet mich doch nicht ganz dasselbe, wie mit Monica.
Nur eine Angst begleitet mich stets auf meinem Weg: Was wenn die Rachegöttin wieder von mir Besitz ergreift, während Monica hier wohnt? Ich weiss nie, wann das wieder passieren kann. Darum versuche ich mich möglichst mit nichts zu konfrontieren, das meinen Zorn schüren könnte. Ich gehe nur ganz selten noch in Facebook und auch die Nachrichten schaue ich kaum mehr. Konflikten gehe ich bestmöglich aus dem Weg. Monica erklärte ich, dass ich mich nicht zu sehr mit düsteren Nachrichten abgeben will, weil sie mir irgendwie Kraft rauben und ich mich mehr mit positiven Energien befassen möchte. Das stimmt ja eigentlich auch. Dennoch ist es nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit kann ich auch meiner besten Freundin beim besten Willen nicht sagen. Ich möchte nicht, dass sie mich für psychisch krank hält, oder sich am Ende sogar noch vor mir fürchtet. Das könnte ich nicht ertragen. So gebe ich mir die grösste Mühe, alles zu vermeiden, dass die Rachegöttin in mir erwecken könnte.
Heute Abend kann ich einfach nicht recht einschlafen, irgendwie suchen mich die Schatten der Vergangenheit wieder mehr heim und ich spüre eine seltsame Unruhe, eine Nervosität in mir, die ich nicht einordnen kann. Was ist das nur, was macht mich so unruhig? Irgendwie habe ich das Gefühl, als schwebe ein Art Damoklesschwert über mir, dass jederzeit auf mich niederfahren könnte… Dann auf einmal, durchschneidet der Messenger Ton meines Handys die Stille. Er kommt mir besonders laut und grell vor und ich zucke zusammen. Wer schreibt mir wohl eine Nachricht über Facebook und das zu solch späten Stunde? Es ist bereits nach Mitternacht und ich habe mir schon überlegt eine meiner Baldrianpillen zu nehmen, um endlich einschlafen zu können. Doch nun lege ich die Tabletten wieder zur Seite und schaue auf mein Handy. Als ich die Nachricht auf dem Messenger und das Bild des Senders daneben sehe, gefriert mir das Blut in den Adern! Die Nachricht ist von… Amir!!
Mein Puls beginnt zu rasen, kalter Schweiss dringt aus meinen Poren und ich beginne auf einmal unkontrolliert zu zittern, als ich zu lesen beginne. «Hallo Milena hier ist Amir! Ich bin sehr wütend auf dich, wirklich sehr wütend. Du warst ein böses Mädchen und du wirst dafür bezahlen. Wenn du nicht zurückkommst, werde ich dafür sorgen, dass du es bereuen wirst. Als erstes nehme ich mir Claudia vor. Vermutlich weiss sie wo du steckst. Ich habe gesehen, dass ihr seit deinem Weggang zweimal Kontakt hattet. Ich habe ihr Handy hier und ich gebe dir genau eine Woche Zeit dich zu melden, ansonsten weisst du was passieren wird. Claudias Handy habe ich wie gesagt schon. Also beeil dich! Amir»
«Nein!» schreie ich und werfe das Handy verzweifelt von mir. Das kann doch einfach nicht wahr sein! Ich hätte wissen müssen, dass einer wie Amir nicht locker lässt. Er ist bestimmt schon lange auf der Suche nach mir und irgendwie hat er herausgefunden, dass ich Claudia mal geschrieben habe, dass es mir gut geht und sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Zwar habe ich die Standortfunktion in Facebook deaktiviert, doch nun bedrohte er Claudia, Claudia der Mensch der mir einst am allermeisten bedeutet hat. Claudia die ich verlassen musste, weil Amir sie schon damals bedroht hatte. Nein, nein! Das darf einfach nicht wahr sein! Ich will laut schreien, will gegen die Wand trommeln, meine tiefste Verzweiflung herauslassen, doch da ist ja auch noch Monica, die im Wohnzimmer schläft. Ich kann sie da nicht mit reinziehen. Ich gehe zu meinem Wandspiegel und lehne meinen Kopf dagegen. Noch immer schwitze und friere ich zugleich und das Zittern will einfach nicht aufhören. I…ich weiss nicht was ich tun soll. Ich… fühle mich unendlich hilflos! Amir ist auf Rache aus, nachdem was ich ihm vor meinem Verschwinden angetan habe, sowieso. Wenn er Claudia was tut, wenn er… oh mein Gott! Nein das darf einfach nicht sein! Ich muss etwas tun ich muss… ich muss… stark sein! Ich blicke von ganz nahe in den Spiegel und es ist mir auf einmal, als würden in meinen kummergezeichneten, verweinten Augen, plötzlich kleine Flammen auflodern. Und… dann auf einmal spüre ich keine Angst mehr, nur noch rasende Wut. Diesmal versuche ich nicht dagegen anzukämpfen, denn ich fühle mich dadurch viel sicherer und stärker. Das ist genau das was ich gerade brauche. Ein gutes Gefühl. Wie durch einen Nebel hindurch, nehme ich nun erneut meine Aussenwelt wahr. Ein Nebel, der mich unempfindlich macht für jegliche Einflüsse, die mich ablenken könnten. Eine dumpfe, wohltuende Stille breitet sich um mich herum aus und zugleich lodern die Flammen des Zornes, hell in mir. Die Flammen der Rache, welche Amir nun zu spüren kriegen wird. Ich gehe wie in Trance zu meinem Nachttisch und hole meine Maske heraus. Dann ziehe ich meinen schwarzen Mantel, mit dem roten Futter über und schlage die Kapuze hoch.
Mit kühler Besonnenheit, gehe ich zum Fenster und öffne dieses. Meine Wohnung liegt nicht sehr hoch. Der kleine Park, welcher mein Heimathaus umgibt, liegt dunkel in den Schatten der Nacht vor mir. Hier wird mich niemand sehen, wenn ich hinausspringe. Ich steige behände auf die Fensterbank und mache mich entschlossen zum Absprung bereit. Als ich plötzlich, durch die dumpfe Stille, die meinen Geist umgibt, eine Stimme höre: «Milena! Was tust du da? Willst du etwa aus dem Fenster springen?» Ich wende mich um, ohne jedoch eine wirkliche Emotion zu verspüren. In der Zimmertür, umgeben vom hellen Licht des Flurs, steht Monica. Sie mustert mich erschrocken, als ich mich ihr, eher ungehalten, zuwende. Ich will mich von nichts und niemanden bei meinem Vorhaben stören lassen. Monica legt die Hand vor ihren Mund und ihre Augen weiten sich vor Erstaunen und Schreck. «Du bist das! Aber…?» Ich erwidere nichts, denn ich bin ganz auf mein Ziel jenseits des Fensters fokussiert. So springe ich, ohne ein weiteres Wort, in die Finsternis hinaus und lande, mit der federnden Anmut einer Katze, auf der Wiese. «Milena warte!» höre ich meine Freundin noch rufen. Doch ich kümmere mich nicht darum und laufe ohne ein weiteres Wort davon, hinein in die Einsamkeit dieser schicksalhaften Nacht…