Vorwort
Zuerst einmal wünsche ich Dir alles Gute zu deinem Geburtstag, Xoana. Geniess den Tag und ich hoffe dein neues Lebensjahr wird so wie du es dir erhoffst.
Ich hoffe der Text macht dir zumindest ein wenig Freude. Es war ein neues Terrain, in das ich mich mit dieser Kurzgeschichte gewagt habe, aber ich hoffe, dass das, was rausgekommen ist auch etwas hergibt.
Auf jeden Fall, wünsche ich vor allem Dir, aber natürlich auch allen anderen Lesern, ganz viel Spass mit dieser kurzen Geschichte.
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Lachend torkelten Ryan und Victoria auf den Friedhof zu. Kalya ging wenige Meter hinter ihnen her, ebenfalls angetrunken, auch wenn nicht so sehr wie ihre Freunde.
Die beiden drückten die Türklinke des eisernen Tores auf, während Kalya zu ihnen aufrückte.
Mit einem lauten Quietschen öffnete sich der Durchgang nach innen und gab den alten Friedhof preis.
Die hohen Nadelbäume warfen lange Schatten auf den Kiesweg. Das Kreischen einer Eule hallte zu ihnen hinüber und Kalya zuckte zusammen.
Ryan und Victoria betraten die Grabstätte grinsend, während sie mit etwas Vorsicht folgte. Es war vollkommen still, abgesehen von dem seltenen Ruf eines Vogels und dem leisen Rascheln des Grases, das zwischen den Gräbern gepflanzt worden war.
Zu dritt wagten sie sich immer tiefer hinein in das Labyrinth aus Wegen und verschlungenen Pfaden, welche sich zwischen den Gräbern und Bäumen hindurch wanden.
Jegliches Zeitgefühl schien verloren, ebenso wie jeglicher Orientierungssinn.
Ehrlich gesagt hatte Kalya keine Ahnung weshalb sie überhaupt auf dem Friedhof umherirrten. Jedoch bezweifelte sie, dass sie den Weg nach draussen wieder finden würden, deshalb hielt sie die Klappe.
Ryan blieb etwas zurück um ein Grab näher zu betrachten, während die beiden Mädchen langsam weiterliefen.
Victoria drehte sich um, um nach ihrem Freund zu schauen, doch der war wie vom Erdboden verschluckt - keine Spur von ihm.
»Ryan? Komm raus. Das ist nicht witzig!«, knurrte die Blonde.
Doch das Einzige, was als Antwort kam, war das Rascheln der Sträucher.
»Gut du hast dich versteckt, wir haben einen Schrecken bekommen. Ziel erreicht, also komm wieder raus, Ryan«, rief nun auch Kalya in die Dunkelheit hinaus.
Aber immer noch kein Hinweis von dem Kerl.
Fröstelnd schlang die Dunkelhaarige die Arme um ihren Oberkörper und schaute ihre Freundin fragend an.
»Wo ist er?« Die Stimme von Victoria glich einem Flüstern.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte sie achselzuckend. »Aber langsam ist es echt nicht mehr lustig.«
Die beiden versuchten in der Schwärze der Nacht irgendetwas zu erkennen – jedoch ohne Erfolg.
»Komm wir gehen mal weiter. Vielleicht hat er einen anderen Weg genommen und ist bereits vor uns«, schlug Kalya vor.
Eng aneinander gedrängt gingen sie weiter. Das Knirschen des Kieses unter ihren Schuhen übertönte das Rascheln der Blätter.
Doch auch nach einer halben Stunde Suche fanden sie ihren Freund nicht.
Kalya spürte wie sich langsam, wie das äusserst grausame und quälende Gift Thallium, Angst in ihr breitmachte.
Mit zitternden Fingern zog sie Handschuhe aus den Jackentaschen und streifte sich diese über.
»Er ist hier nirgends. Verdammt.« Die Angst breitete sich immer schneller aus.
»Vicky, was sollen wir tun?«, fragte sie ihre Freundin, während sie sich zu ihr umdrehte.
Aber da war niemand.
Sie wusste, dass, als sie ihre Handschuhe hervorgenommen hatte, dort noch Victoria gestanden hatte, zitternd vor Kälte. Nur noch Dunkelheit war zu sehen. Keine Spur von ihrer Freundin.
Mittlerweile war die Panik bis zu ihrem Herz vorgedrungen und sorgte dafür, dass es etwa 200 Mal pro Minute schlug.
Was war hier los?
Bestimmt bloss ein Scherz von Vicky und Ryan, dachte Kalya, vor allem um sich selbst zu beruhigen.
»Vicky, Ry, falls das einer eurer Scherze ist, finde ich ihn überhaupt nicht witzig.« Ihre Stimme war laut, aber zitterte vor Angst.
Aber keiner der beiden antwortete.
Kalya hatte mittlerweile richtig Panik. Sie kniff die Augen zusammen und suchte die Umgebung nach ihren Freunden ab. Alles war leer.
Alleine lief sie den Weg zurück, den sie hergekommen waren.
Leider kam schon nach wenigen Metern eine Abzweigung und sie hatte keine Ahnung mehr aus welcher Richtung sie gekommen waren. Aus einem Bauchgefühl heraus nahm sie den Weg, der nach links führte. Mit leiser Stimme redete sie auf sich selbst ein. »Sie warten bestimmt am Eingangstor auf dich. Grinsend und lebendig.«
Das wirkte jedoch nicht wirklich.
Die Angst sass ihr tief in den Knochen.
Bei jeder Gabelung entschied sie sich einfach spontan, weil sie absolut ahnungslos war wo sie sich befand. Hinter ihr raschelten die zu Boden gefallenen Blätter was ihr einen Schrecken versetzte. Sie atmete tief durch, versuchte ihre Nerven zu beruhigen.
Mittlerweile waren fast zwei Stunden vergangen seit sie zu dritt den Friedhof betreten hatten.
Und jetzt war sie alleine.
Kalya zog sich zitternd die Lederjacke enger um den Körper. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich eher immer mehr auf die Mitte der Grabstätte zubewegte als davon weg Richtung eisernes Tor.
Auf einmal hörte sie ein Kichern aus der Ferne. Erleichtert atmete sie aus und versuchte dem anhaltenden Geräusch zu folgen.
Also war es doch bloss eine Verarschung der beiden gewesen. Die Angst verschwand langsam, zurück blieb bloss ein Gefühl des genervt-sein.
Das Lachen wurde immer lauter, bis Kalya schliesslich vor einer Gruft zu stehen kam. Wildes Efeu rankte sich über den bröckelnden Stein. Über dem Eingang war eine Inschrift in das Gestein gemeisselt worden, jedoch waren nur noch wenige Buchstaben zu erkennen.
»RI-N- SO-A-Y-«, konnte sie gerade noch so entziffern.
Wer da wohl begraben lag, fragte sie sich, während sie unter dem Torbogen hindurchtrat, hinein ins Dunkel der Gruft.
Wer auch immer gelacht hatte, war mittlerweile verstummt. Kalya tastete sich vorsichtig ins Innere vor. Ihre Finger berührten immer wieder die Wand, um nicht die Orientierung zu verlieren und sie spürte etwas feuchtes.
Unscharf erkannte sie die Umrisse verschiedener Särge, als sie den Hauptraum betrat.
Sie ging um die Totenkisten herum, schaute in allen Nischen nach, doch weder Ryan noch Victoria waren da.
Langsam breitete sich die Angst wieder über ihr aus, nahm sie ins Visier.
»Hast du auch noch zu uns gefunden?«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Mit rasendem Herz drehte Kalya sich um, aber da war niemand.
»Hier hinten.«
Welche Überraschung, da war auch niemand.
Sie fragte sich, ob sie langsam durchdrehte. Hatte sie etwa doch mehr getrunken, als sie dachte?
»Schätzchen, hier bin ich«, säuselte die Stimme, die sie einer Frau links von sich zuordnete.
Langsam, ängstlich, drehte sie den Kopf in die Richtung.
Und da stand jemand.
Ihr Herz setzte aus.
Die Frau, die dort verharrte, hatte langes dunkelbraunes Haar, in dem Zweige und Asche steckten. Ihre Augen waren grün, leuchtend grün.
»Wer sind Sie?«, fragte Kalya mit ängstlicher Stimme.
»Ich bin Riana Somany.« Ein breites, unheimliches Grinsend verzerrte ihr Gesicht.
Kalya dachte an die Inschrift am Eingang der Gruft zurück. Das konnte nicht sein. »Das würde bedeuten, dass das Ihr Grab ist.«
»100 Punkte für dich, Schätzchen.« Die Frau trat näher an sie heran. Auf einmal leuchteten überall um sie herum Kerzen.
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte sie die unheimliche Dame zitternd. Diese ging nicht auf die Frage ein, sondern kam einfach weiter unbeirrt näher.
Kalya senkte den Blick auf ihre Hände und stellte fest, dass diese Feuchtigkeit nicht bloss von den modernden Wänden gekommen war.
Ihre Hände waren blutrot.
Sie wollte sich umdrehen, aus der Gruft fliehen, aber der Eingang war auf einmal versperrt.
Immer weiter wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken die Wand berührte.
»Was wollen Sie?«, fragte sie die Frau ängstlich.
Die Lippen zu einem grausamen Lächeln verzogen, kam diese näher. »Weißt du wie es ist, Hunderte von Jahren eingesperrt zu sein? Diese Einsamkeit macht einen wahnsinnig.«
Kalyas Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr war schlecht vor Angst.
»Ich wurde hier eingesperrt. Ganz alleine, ohne jegliche Nahrungsquelle, aber nicht in der Lage zu sterben«, erzählte die Frau weiter, während sie immer näher zu der Dunkelhaarigen aufrückte.
Diese Frau war eindeutig geisteskrank. Sie fragte sich, ob sie aus der Psychiatrie entflohen war.
»Wo sind meine Freunde?« Die junge Studentin sah sich suchend nach Ryan und Victoria um, doch sie konnte die beiden nirgends entdecken.
Aber wieder ging die Frau nicht auf ihre Frage ein. »Ich wurde verflucht und hierher verbannt.«
»Was haben Sie mit ihnen gemacht?«
Die Angst lähmte sie. Sie war nicht in der Lage sich zu bewegen.
Mittlerweile war die Frau nur noch wenige Meter von ihr entfernt. »Ich sitze hier meine Strafe ab, weil ich gemordet habe. Ich habe Leute umgebracht.« Sie lächelte selig und rückte weiter auf, bis sie so nahe an Kalya stand, dass sie sich berührten. Sie drückte sich weiter nach hinten gegen die Wand. »Deine Freunde sind die neusten auf meiner langen Liste von Opfern.«
»Und es hat mir Spass gemacht. Sie waren köstlich.« Die Mörderin ihrer besten Freunde leckte sich über die Lippen.
Kalya war schlecht.
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Bitte...bitte tun Sie mir nichts.«
Sie musste ein Würgen unterdrücken, als die unheimliche Frau direkt vor ihr stand und ihr dessen verfaulender Körpergeruch in die Nase stieg.
»Sie haben Leute ge...«, Kalya konnte das Wort nicht aussprechen. Es war so abwegig. Zu abwegig, um die Realität zu sein, schoss es ihr durch den Kopf.
Vielleicht war dies ja auch gar nicht die Realität. Stattdessen könnte es auch bloss ein Traum sein.
Ja, das muss ein Traum sein. Ein Albtraum, dachte sie. Ein ekelerregender Geruch ging von diesem Weib aus. Eine Mischung aus Blut, Verfaultem und Fäkalien.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, kreischte Kalya, als die Frau sie an den Haaren packte. Mit einem grausamen Lächeln, das ihre blutverschmierten Zähne zeigte, sagte das Weib: »Ich hoffe du schmeckst so lecker, wie du riechst.«
Das Letzte, das die junge Frau sah, bevor Riana Somany ihr die Kehle aufschlitzte, waren ihre glühenden grünen Augen, in denen der Hunger flackerte.
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https://belletristica.com/de/text/geburtstagswichteln-links-zu-den-geschenken-33739