Nach einer Weile der sanften Liebkosungen, sprach Aellia jedoch:„Nun wird es aber Zeit, dass wir uns wieder um die ernsten Dinge kümmern!“ Sie erhob sich geschäftig und Trojanas wurde in die brutale Realität zurück geholt. Ein Krieg stand seinem Volk bevor und auch noch andere Probleme, die dringend nach einer Lösung verlangten. So erhob auch er sich und fragte: „Wie also sollen wir weiter vorgehen, um den Krieg zu vermeiden und mein Volk vor der Ausrottung zu bewahren?“ Aellia runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Dann meinte sie: „Zuerst müsst ihr die Lunarierinnen freilassen, nur so kann ein Krieg vermieden werden.“
„Dieser Gedanke ist mir auch gekommen, aber das würde einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Mein Volk würde dadurch die Chance aufgeben, neue Kinder zeugen zu können.“
„Es ist nicht eure einzige Chance, es gibt noch andere Möglichkeiten.“ „Woran denkst du?“ „Wie ich dir bereits sagte, hat mein Volk genau dasselbe Problem wie ihr. Nur, uns fehlen Männer. Ihr habt viele Männer hier, wir haben viele Frauen bei uns. Es müsste sich doch arrangieren lassen, dass unsere beiden Völker sich gegenseitig helfen. Vielleicht kann man dann die Lunarier sogar ganz aus dem Spiel lassen, ausser natürlich…es gäbe noch immer einige unter ihnen, die gerne mit euch oder uns, Kinder zeugen würden. Ihr steht da jedoch vor grösseren Problemen als wir. Die Lunarier werden nach dieser gewaltsame Entführung ihrer Frauen durch euch, wohl eher nicht mehr geneigt sein, euch auf diese Weise zu helfen. Allerdings stehen die Chancen etwas besser, wenn ihr euren guten Willen beweist und die Lunarierinnen freilasst. Dann könnte es vielleicht ein Art Bündnis zwischen unseren drei Völkern geben.“ „Mein Vater würde dieser Sache vermutlich nicht zustimmen. Er hat traumatische Erlebnisse mit den Harpyas gehabt und wird es deshalb kaum zulassen, dass unser Volk sich mit eurem Volk paart, auch wenn es sicher die beste Lösung wäre.“ „Ja, es könnte Probleme mit deinem Vater geben, sein Hass hat ihn bereits zerfressen. Ich…habe das gespürt.“ Wieder tauchten vor ihren inneren Augen die schrecklichen Erinnerungen an die Misshandlungen durch den König auf und sie merkte, dass es sie wohl doch mehr erschüttert hatte, als sie sich selbst zugestand. Einen Moment lang blickte sie nachdenklich ins Leere, doch dann fasste sie sich wieder. „Der Geist deines Vaters ist bereits umnachtet. Ich weiss nicht, ob du ihn noch erreichen kannst.“ „Dennoch muss ich es versuchen. Er muss doch auch einsehen, dass deine Lösung die beste ist und wir könnten dadurch unsere Schuld, der Göttin gegenüber tilgen, die wir durch die Entführung der lunarischen Frauen auf uns geladen haben.“ „Ja, es würde sie besänftigen, davon bin ich überzeugt.“ „Aber denkst du denn, dein Volk sei überhaupt einverstanden mit dieser Paarung?“ „Es kann sein, dass sie auch gewisse Vorbehalte haben, gerade weil ihr ja so ein männlich dominiertes Volk seid und sie das genaue Gegenteil von euch. Auch die weite Reise, die sie hierher unternehmen müssten, um sich mit euch zu paaren, wird der einen oder andren nicht gefallen. Aber immerhin hängt viel davon ab, dass sie neue Kinder auf die Welt bringen.“ „Warum meinst du müssten sie so weit reisen, wir könnten auch zu ihnen gehen.“ „Nein, das Problem ist, dass ihr in unserer Welt nicht existieren könntet, weil sie zu lebensfeindlich ist. Wir können uns hier unten besser anpassen, darum müsste man das so machen.“ „Ach so…“ Trojanas nickte nachdenklich. „Aber wie können wir sicher sein, dass es klappt, auch unsere Existenz hängt davon ab und wenn wir dann die lunarischen Frauen freilassen sowieso.“
„Du musst dich schlussendlich für einen Weg entscheiden Trojanas!“ meinte Aellia ernst. Trojanas blickte sinnierend auf seine, mit Krallen bewehrten, Zehen. Ja Aellia hatte Recht, er musste sich entscheiden! Es gab keine halben Sachen mehr! Es stand einfach zu viel auf dem Spiel und er musste das Vertrauen darin haben, dass seine Bemühungen belohnt wurden… irgendwie, irgendwann. Er wusste tief im Herzen, dass es der Richtige, ja vermutlich der einzige Weg war, die Lunarierinnen frei zu lassen. Alles andere würde sich geben. Es schaute aus dem Fenster und sah seinen Gott Heliosus, der nun wieder wie eh und je am Himmel stand, und langsam sein abendliches Gewand über sich warf. „Grosser Gott, hilf mir! Leite meine Schritte, damit ich sie zu deinem Wohlgefallen tun kann!“ betete er leise. Und auf einmal zog eine wunderbare Sicherheit in sein Herz ein. Ja, er würde Aellias Vorschlag befolgen und alles daran setzen, dass ihre Pläne von Erfolg gekrönt wurden. „Nun gut!“ sprach er dann. Aellia sah das Feuer der Entschlossenheit, das wieder in seinen dunklen Augen aufflammte. „Ich werde mich für die Freilassung der Lunarierinnen einsetzen!“
10. Kapitel
Nannios schwebte ruhelos hin und her. Er hatte sich, nachdem er und die andern Heiler, sich um die Verletzten gekümmert hatten, in sein Quartier zurückgezogen. Obwohl er die Müdigkeit in allen Knochen spürte, fand er keinen Schlaf. Er konnte es beinahe nicht ertragen so untätig zu sein und er wusste, dass es sehr vielen anderen auch so ging.
Sie hätten handeln müssen, baldmöglichst, aber die Drachenschiffe, würden erst am folgenden Tag hier ankommen. Wenn er selbst bereits losgeflogen wäre, wäre er auch nicht schneller am Ziel gewesen, ausserdem konnte er allein nichts ausrichten. Immer und immer wieder, verfluchte er die Tatsache, dass seinem Volke keine geflügelten Reittiere zur Verfügung standen. Denn dann hätten sie bereits etwa unternehmen können, aber jetzt…waren sie auf die Drachenschiffe angewiesen und diese würden nur halb so schnell sein, wie die geflügelten Löwen der Solianer, von denen man ihm erzählt hatte. Der Schrecken und die Angst, welche allein der Anblick dieser mächtigen Tiere erzeugt hatte, sprach noch aus den Stimmen der Erzähler. In dieser Beziehung waren die Lunarier den Solianern unterlegen und… ja vermutlich auch in militärischer Hinsicht. Das Volk des Sonnengottes war kampferprobt, mehr als Nannios Volk. Die Lunarier hatten bisher kaum kämpfen müssen. Nun jedoch…würden sie ihre ganzen Kräfte zusammennehmen, denn sie mussten ihre Frauen unbedingt zurückholen! Wenigstens würden dann auch einige Harpyas an ihrer Seite kämpfen. Irisa und ihre drei Begleiterinnen, würden sogleich aus dem Reich der roten Drachen zurückkehren, wenn sie von der Entführung ihrer Mitschwester erfuhren. Das verschaffte den Lunariern sicher ein Vorteil. Wieder spürte er einen schmerzhaften Stich, wenn er an seine Liebste dachte. Er konnte den Gedanken kaum ertragen, dass sie in den Händen dieser Mistkerle war! Was würden sie ihr antun? Was würden sie den anderen Frauen antun? Er wagte nicht daran zu denken und schlug voller Verzweiflung gegen die steinerne Wand in seinem Gemach. Den Schmerz der seine Hand dabei durchzuckte, ignorierte er.
Schliesslich hielt er es nicht mehr aus und schwebte hinaus ins Freie. Der Halbmond leuchtete am Himmel und Nannios flehte, während er durch die noch immer, erstaunlich belebte Stadt schwebte, zu seiner Göttin. „Oh grosse Mutter! Warum nur hast du uns so ein schweres Los auferlegt? Wir haben immer in Frieden gelebt, uns immer darum bemüh,t den Ausgleich in allem zu bewahren. Warum nur hast du es zugelassen, dass dieses schreckliche Sonnenvolk uns unsere Frauen raubt? Wie nur kannst du zusehen, wie unsere Frauen gedemütigt und zur Paarung gezwungen werdem, du solltest sie doch beschützen!“
Er verliess die Stadt und flog über den grossen Fluss hinüber zu dem Grat, den er und Aellia sich nach ihrer ersten, wundervollen Nacht, als Lieblingsplatz auserkoren hatten. Er setzte sich an den Rand des Abgrundes und starrte in die Tiefe. Das Wasser unter ihm brodelte, während es gegen die Steilwände schlug, so wie es in seinem Inneren brodelte. Auf einmal glänzten Tränen in seinen Augen und er fing an heftig zu weinen. Er und Aellia, sie waren so glücklich gewesen, sie hatte ihm ihr Herz geöffnet, ihn zu ihrem Gefährten erwählt. Alles schien sich so wunderbar zu entwickeln und nun…war alles zerstört worden! Sie würde nie mehr dieselbe sein, wenn…diese Scheusale sie auf so schreckliche Weise demütigten. Keine der Frauen würde wieder die Selbe sein, auch wenn es ihnen gelang, sie zu befreien. Einige seelische Wunden verheilten nie. Verzweifelte Wut erfasste ihn. Er hob seinen Stab, dessen Stein im Mondlicht aufleuchtete und er schleuderte der Göttin all seinen Zorn entgegen. Blitze zuckten durch den Stab und entluden sich an seinem Ende, als gewaltige, weisse Funkengarben. Diese schossen hinauf in den Himmel, der Göttin entgegen. Doch dann verglühten sie in der Weite des Firmaments. Wie hätte es auch anders sein können? Resignation erfüllte Nannios, welche er noch nie zuvor verspürt hatte. Er fühlte sich zurzeit vollkommen verlassen von seiner Göttin. „Du hättest uns beistehen müssen!“ flüsterte er. „Sowas hätte nicht passieren dürfen! Wenn du uns wenigstens ein Zeichen der Hoffnung geben könntest…“ Sein Zorn war auf einmal verflogen und er beruhigte sich wieder etwas. Er durfte den Glauben deswegen nicht verlieren, denn er war in dieser schwierigen Zeit, der einzige Funken der Hoffnung. Er wusste nicht warum es so geschehen war, aber er musste vertrauen, auch wenn es ihm gerade sehr schwer fiel.
Gerade wollte er sich wieder in die Lüfte erheben, um irgendwo anders hinzufliegen, als seine Aufmerksamkeit auf einmal von etwas Seltsamem, in Anspruch genommen wurde! Plötzlich erschien dort, wo seine Magie verglüht war, ein helles Etwas! Erst glaubte er es sei ein Stern, der sich sehr schnell auf ihn zu bewegte. Doch dann erkannte er, dass es etwas anderes sein musste. Der Stern wurde immer heller und heller und schliesslich nahm er eine Gestalt an. Es war die Gestalt eines weissen, geflügelten Pferdes…!
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Aellia und Trojanas besprachen ihren Plan bis ins kleinste Detail. Es durfte nichts schiefgehen. Sie hatten beschlossen, dass Aellia mit Trojanas Hilfe fliehen sollte, um die Lunarier abzufangen und sie darum zu bitten, nicht sogleich anzugreifen. Trojanas würde vorerst im Palast bleiben und versuchen, mit seinem Vater zu reden. Sollte dieser ihm nicht zuhören, würde Trojanas einige seiner Getreuen um sich versammeln und die Lunarierinnen befreien. Wenn nötig würde er seinen Vater auch zum Zweikampf herausfordern, um die Macht über das Reich des Sonnengottes an sich zu bringen.
Die Lunarier sollten zuerst auf jeden Fall eine Verhandlung mit dem König verlangen. Durch Trojanas wusste Aellia, dass dies ein festgeschriebenes Gesetz war, an das sich die Solianer immer halten mussten. Wenn der König für Verhandlungen die Stadt verliess, würden einige der Lunarier, angeführt von Irisa und den anderen Harpyas versuchen, unbemerkt in die Stadt zu gelangen, um Trojanas, wenn nötig, zu unterstützen. Ein anderer Teil der lunarischen Armee würde, falls etwas schief lief, die Stadt von vorne angreifen und die Solianer ablenken, damit ihre Verbündeten in der Stadt die Lunarierinnen befreien konnten. Das jedoch trat nur in Kraft, wenn Trojanas wider erwarten, etwas zustiess. Wenn alles Stricke rissen, würde Aellia indes den König selbst zum Zweikampf herausfordern und ihn…hoffentlich besiegen. Wenn es ihr nicht gelang, dann war ein Krieg unausweichlich und allein die Götter entschieden dann noch über ihr Schicksal.