Es konnte nur noch Minuten dauern, bis sie die Lichtung erreichten. Nicht mehr als fünfzehn. Oder zehn. Das Meiste des Weges hatten sie doch schon hinter sich gebracht, also mussten sie bald auf Tarn stoßen.
Valion wiederholte diese Gedanken immer wieder in seinem Kopf, während er verbissen vorran ging, aber seine Unsicherheit wuchs. Warum hatte er Marceus zurückgelassen? Warum hatte er nicht gebettelt, dass er ihnen den Weg zeigte? Er versuchte, seine Zuversicht aufrecht zu erhalten, einfach weiter zu gehen, aber es fiel ihm mit jedem Schritt schwerer.
Bisher hatte er immer eine vage Ahnung gehabt, wo er sich befand, aber seit sie vom Fluss aus den Waldrand abgegangen waren, verwandelte sich das ständige Rauschen in seinem Rücken zu einer Ablenkung statt einer Hilfe. Er wagte nicht, zu nah am Weideland zu bleiben, und deshalb bewegten sie sich eine Weile sogar tiefer in den Wald hinein, dann wieder hinaus, in einem Zickzackkurs. Er gestand es sich nicht gern ein, aber er war erschöpft und machte Fehler. Er war sich nicht mehr sicher, ob sie noch auf dem richtigen Weg waren.
Er hätte sich gern Jan anvertraut, doch der war in einer seltsamen Stimmung, seit sie sich von Marceus getrennt hatten. Er war einsilbig, und manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, betrachtete er Valion mit einem Blick, der stumpf und hoffnungslos wirkte.
Valion war versucht, ihn trotzdem um Rat zu fragen, aber Jan hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er Tarn nicht treffen und seine Hilfe nicht in Anspruch nehmen wollte, und deshalb wagte er es nicht. Selbst die Möglichkeit einer Auseinandersetzung schreckte ihn ab, er hatte keine Kraft dazu. Was er brauchte waren Unterstützung und Zuversicht, etwas, das die nagenden Zweifel aussperrte. Tat er das Richtige? Hatte er etwas Wichtiges übersehen? Konnte er Tarn vertrauen, obwohl Jan so sehr davon überzeugt war, dass er nicht auf ihrer Seite war? Er brauchte Jans Rückhalt, aber gerade wagte er es nicht einmal, seine Hand zu ergreifen. War er wütend? Enttäuscht? Würde er… er wollte nicht daran denken, kämpfte gegen den Gedanken an. Jan würde ihn nicht zurück lassen. Niemals.
Er machte Halt, als Jan plötzlich hinter ihm schmerzerfüllt aufzischte und einen leisen Fluch ausstieß. Erschrocken drehte er sich um und bemerkte, dass Jan ein ganzes Stück hinter ihm zurückgefallen war, während er selbst in Gedanken verloren gewesen war. Er hielt sich den Fuß und betrachtete mit einer Mischung aus Wut und Resignation die Sohle. Valion eilte an seine Seite und stützte ihn. „Was ist?”, fragte er, und Jan zuckte unwirsch mit den Schultern. „Vermutlich habe ich mir etwas eingetreten. Nicht so wichtig. Wir müssen weiter.”
Valion war versucht es dabei zu belassen, aber als er Jan genauer ins Gesicht sah änderte er seine Meinung. Seine Lippen begannen blau anzulaufen, er zitterte deutlich, und sein Husten, der für eine Weile ganz verschwunden gewesen war, meldete sich zurück. Es war kein Wunder, dass sich seine Krankheit wieder verschlimmerte, sie trugen beide keine Schuhe, und Jan musste seit Stunden mit freiem Oberkörper herumlaufen. Valion hatte es bisher so gut es ging ignoriert, aber die Temperatur war stetig gefallen, und es wurde für die Jahreszeit untypisch kalt. „Wir machen eine Pause und wärmen uns auf”, bestimmte er. „Wir haben keine Zeit”, versuchte Jan zu protestieren, aber Valion schüttelte nur den Kopf. „Wir sind schnell gewesen, wir haben inzwischen bestimmt eine halbe Stunde Vorsprung. Komm.”
Sie verbargen sich diesmal hinter einer Bodenwelle, die in eine kleine Senke am Waldboden mündete. Es war kein besonders gutes Versteck, aber es musste genügen, denn Valion wollte Jan nicht zumuten, noch länger weiter zu gehen. Jan hatte zwar versucht abzuwiegeln und behauptet es wäre nichts, aber er humpelte, und Valion sah, dass er blutige Fußspuren hinterließ, deshalb ließ er keine Diskussion zu. Zum Glück wurde es schon dunkel, bei hellem Tageslicht hätte sie eine solche Spur verraten können, doch so vermischte sich das Blut mit dem Tau und der Feuchtigkeit des Nebels, und der durchdringende Rotton verblasste im Dämmerlicht zu schlammigen Braun.
Erst als Valion sich ebenfalls setzte wurde ihm bewusst, wie sehr seine eigenen Füße schmerzten und wie dankbar er war, auf dem weichen Waldboden ausruhen zu können. Für einen Moment schloss er nur die Augen und lauschte dem Rauschen des Waldes. Wie lange waren sie unterwegs? Es waren vermutlich nicht mehr als drei Stunden, aber er fühlte sich so ausgelaugt als wären sie seit dem Morgengrauen auf den Beinen. Die Angst, die Unsicherheit, der Streit, die Kälte, alles zehrte ihn aus.
Er schlug die Augen wieder auf, als Jan seine Hand berührte. Für einen Moment sahen sie sich nur an, ohne zu wissen, was der jeweils andere dachte. Dann öffneten sie fast gleichzeitig den Mund um zu sprechen, verstummten, mussten plötzlich beide grinsen. „Du zuerst”, sagte Jan und winkte gnädig zum Zeichen, dass er Valion den Vortritt gab. „Und ich dachte schon, du wärst zu schwach um noch Witze zu machen”, spottete Valion lächelnd, und Jan schüttelte den Kopf. „Nur fast. Aber warte noch eine Stunde, dann bin ich starr gefroren und stumm, und du kannst mich bequem vor dir her durch den Wald rollen.” Er grinste schief und versuchte möglichst leise zu husten, und es war als hätten sie sich nie gestritten.
„Du bist nicht wütend?”, platzte es aus Valion heraus, und Jan sah ihn verwundert an, bevor er verlegen den Blick senkte. „Das wollte ich eigentlich dich fragen”, sagte er kleinlaut und starrte auf seine zerschundenen Füße, „Ich war keine große Hilfe in den letzten Stunden. Hab’ deinen Kumpel fast umgebracht, eine Menge Ärger gemacht… wäre ich du, ich hätte mich in den Fluss geworfen und wäre abgehauen.” „Das hätte andersherum aber auch Sinn gemacht. Ich habe über deinen Kopf hinweg entschieden”, wandte Valion unbehaglich ein, „Ich dachte einfach, dass es das Richtige ist…” „Schon gut”, meinte Jan leichthin und lächelte, „Vergessen wir das Ganze, bis wir aus diesem verdammten Wald raus sind. Danach können wir uns immer noch darum prügeln, wer wann Mist gebaut hat. Können wir jetzt zu dem Punkt der Pause kommen, an dem ich meine Hände an dir aufwärme?”
Valion nickte erleichtert, rutschte näher zu Jan heran und schlang seine Arme um seinen durchgefrorenen Körper. Am liebsten hätte er ihn eingehüllt wie eine Decke, so eiskalt fühlte er sich an. Jan vergrub sein Gesicht in seiner Halsbeuge und seufzte. „Wie machst du das, du bist so warm”, murmelte er, schob seine zitternden Hände unter Valions Hemd und wärmte sie an seinem Bauch auf, nicht ohne dass Valion vor Kälte zusammen zuckte. „Bei deinen eisigen Händen nicht mehr lange”, sagte er und fröstelte, doch dann wurde er ernster. „Wenn es heute Nacht so kalt bleibt, müssen wir uns etwas einfallen lassen.” „Dann wird das erste Opfer unserer Überfälle vermutlich eine Wäscheleine”, scherzte Jan. „Ich kann dir mein Hemd für den Rest des Weges geben”, bot Valion schnell an, aber Jan schüttelte nur den Kopf. „Bloß nicht. Ich bin schon krank, du musst es nicht auch noch werden. Behalte es an, ich wärme mich dann einfach immer an dir auf, so wie jetzt. Das gefällt mir eigentlich ganz gut. Obwohl, ein bisschen bin ich schon enttäuscht.” „Wieso?”, fragte Valion perplex, und Jan antwortete schelmisch: „Vorhin, als ich meine Hände unter deinem Hemd hatte, war die Reaktion irgendwie anders.” Das traf Valion unvorbereitet, und plötzlich brannten seine Wangen vor Röte. „Idiot”, murmelte er verlegen, und Jan lachte leise. „Die Wärme gab es jetzt ganz umsonst”, sagte er und hauchte Valion einen Kuss auf die Lippen, dann legte er seinen Kopf wieder auf seine Schulter. So saßen sie für einen Moment, ruhten aus, ließen ihre Gedanken treiben und lauschten.
Valion versuchte sich eine Pause zu gönnen, aber während Jan sich bei ihm aufwärmte und sein eigener Körper sich erholte, rasten seine Gedanken weiter. Ihm wurde bewusst, wie schlecht sie dastanden. Die spärliche Bekleidung, die sie kurz vor ihrer Flucht bekommen hatten, war nur der Anfang des Problems. Sie hatten nichts zu essen, nichts, um Jans Füße zu verbinden, nicht einmal eine Decke. Er wusste nicht, wie weit sie von der nächsten Siedlung entfernt waren, und sie kannten beide nicht das Gelände. Es gab so viele Umstände, die gegen sie waren.
„Du denkst doch schon wieder zu viel nach”, sagte Jan schließlich leise, und obwohl er versuchte zu scherzen, konnte er die Besorgnis in seiner Stimme nicht verbergen. „Ich überlege, wie es weiter geht”, gab Valion zu. Geistesabwesend strich er über Jans Haar, der die Augen geschlossen hielt und ihm zuhörte. „Aber du bist nicht besonders zuversichtlich, was?” Valion dachte einen Moment daran zu lügen, aber dann sagte er: „Hmhm, nicht besonders.” Jan zuckte mit den Achseln. „Wir wussten, dass es schwierig wird, oder?” Klang das defensiv? Vielleicht ein bisschen. Jan wusste, dass er ihre ungeplante Flucht losgetreten hatte und sie jetzt beide die Konsequenzen trugen, und er erwartete vermutlich schon seit Stunden, dass Valion ihm diese Tatsache vorhalten würde.
Aber Valion wollte keinen Streit, nicht jetzt, wenn sie alle ihre Kräfte brauchten. Versöhnlich sagte er: „Ja. Und wir schaffen das schon irgendwie. Vielleicht kann Tarn uns zumindest mit Kleidung versorgen, dann… was ist?”
Jan hatte sich merklich versteift, als der Name fiel. Jetzt schwieg er, fast trotzig. „Bist du immer noch wütend, weil wir zu T-”, begann Valion, aber gleich darauf wurde ihm das Wort abgeschnitten. „Ich kann gut darauf verzichten, seinen Namen heute noch öfter zu hören”, sagte Jan, und seine Stimme klang so eisig, dass die Ruhe und Geborgenheit des vorherigen Moments mit einem Mal wie ausgelöscht war. Unbehaglich zog Valion die Hand zurück, und Jan schien es ebenfalls nicht mehr in der Umarmung auszuhalten, er rückte von ihm ab und rappelte sich vom Waldboden auf. „Lass uns einfach weiter gehen. Wir müssen endlich aus diesem Wald raus.”
Es war die gleiche Reaktion auf Tarns Erwähnung wie zuvor - Misstrauen, Wut, Ablehnung. Und genau wie beim ersten Mal war sie für Valion verwirrend und nicht nachvollziehbar.
Er kam gar nicht dazu, zu reagieren, weil Jan nicht auf auf ihn wartete und einfach ihre zuvor eingeschlagene Richtung weiter verfolgte - hinaus aus dem Wald, in Richtung des Weidelands. Valion folgte ihm und versuchte, Schritt zu halten und gleichzeitig seine Umgebung im Auge zu behalten, während er darüber nachdachte, wie er Jan konfrontieren sollte. Es half alles nichts, sie mussten darüber sprechen, bevor sie Tarn erreichten. Sonst liefen sie Gefahr, dass Jans Abneigung, worauf auch immer sie sich gründete, ihre Flucht sabotieren würde.
„Warte doch”, sagte er leise, „Was ist so schlimm daran… ihn zu erwähnen? Was hast du gegen ihn?” Er verbiss sich im letzten Moment, den Namen aus Trotz erst recht zu nennen. Sie hatten auch so schon genug Probleme. „Du meinst abgesehen davon, dass er dich verraten hat und auf mich schießen wollte?”, spottete Jan bitter, während er störrisch weiter lief. „Du scheinst das immer wieder großzügig zu vergessen!” Es machte ihm sichtlich Mühe, nicht die Stimme zu heben.
Valion versuchte, gelassen zu bleiben, während er leise auf Jan einredete. „Nein, aber ich glaube nicht, dass er vorhatte uns zu schaden. Was, wenn er gewusst hat, dass du mich nicht verraten würdest? Er kennt dich immerhin ein bisschen. Und wenn er nur zum Schein auf dich gezielt hat, um unsere Flucht zu decken? Ich meine, wir sind hier. Er hätte dich erschießen, oder Marceus schicken können, um uns zu töten. Er hat nichts davon getan, im Gegenteil, er will uns helfen, und du traust ihm trotzdem nicht.” „Wenn du so an die Sache heran gehen willst, sollten wie das Thema einfach in Frieden lassen”, sagte Jan missmutig, den Blick starr nach vorn gerichtet, doch Valion blieb hartnäckig. „Wenn wir auf ihn treffen, müssen wir schnell sein, und dann können wir uns nicht schon wieder streiten. Ich will wissen, warum du ihm nicht traust. Es muss noch einen anderen Grund geben.” „Mehrere, und glaub mir, die willst du alle nicht wissen”, versuchte Jan abzuwiegeln, aber auch davon ließ Valion sich jetzt nicht mehr abbringen. „Los, die Wahrheit”, sagte er ungehalten. „Ts… wo fange ich da nur an”, ätzte Jan. „Keine Ahnung, bei dem, was dich am meisten stört, schätze ich.”
Plötzlich wandte sich Jan zu ihm um, stellte sich ihm in den Weg und sah ihn so direkt und herausfordernd an, dass Valion fast zurück gezuckt wäre. „Gut, na schön, fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Zum Beispiel, dass du verliebt in ihn bist.”
Im ersten Moment blieb Valion nur der Mund offen stehen, dann sagte er: „Das ist absolut lächerlich.”
Er brachte es härter hervor, als er beabsichtigt hatte, wütend und fast ein bisschen schuldbewusst. Hätte er Bedenkzeit gehabt, hätte er vielleicht bedachter reagiert, aber damit hatte er zu allerletzt gerechnet. Jan, eifersüchtig? Auf Tarn?
Aber gerade deshalb glaubte Jan ihm kein Wort. Er betrachtete ihn einen Moment lang wütend, dann schüttelte er den Kopf, stapfte einfach weiter und zwang Valion dazu, hinter ihm her zu laufen. „Hör zu Jan, das ist Blödsinn”, versuchte Valion es noch einmal, während er hinter ihm her lief, aber Jan wollte nichts davon hören. „Ach ja? Und was ist er dann für dich? Ein Bruder? Eine Vaterfigur? Weil ich mich frage, wie es kommt, dass du die ganze Zeit über ihn sprichst. Oder dass du anfängst zu lächeln, wenn ihn auch nur jemand erwähnt. Weißt du, dass ich seinen Namen heute mindestens hundert Mal von dir gehört habe?”
Nein, das hatte er nicht gewusst. Valion versuchte, diese Vorwürfe einzuordnen, und gleichzeitig nicht hinter Jan zurückzufallen. Aber wenn er sich so verhielt wie Jan es ihm vorwarf, dann war es ihm überhaupt nicht bewusst. Er hatte nicht einmal geglaubt, dass es eine Rolle spielte.
Ja, er mochte Tarn. Er war ein fester Bezugspunkt in einer völlig fremden Welt, in die er mit Gewalt hinein geworfen worden war. Alles andere, die Bekanntschaft mit Jefrem, die Freundschaft mit Marceus oder die Beziehung zu Jan, war später gekommen. In diesem entscheidenden Moment, als er im Staub kniete und Eravier ihn fast ermordet hätte, nur aus einer Laune heraus, war Tarn eingeschritten und hatte ihn gerettet, das wusste er jetzt. Tarn hatte ihm gesagt was er zu tun hatte, seine Wunde versorgt, ihm tröstend gesagt: „Das wird schon.” Und er hatte dafür gesorgt, dass es tatsächlich besser wurde. Der Beweis dafür war auf Valions Schulter eingebrannt.
Es war nie Eraviers Zeichen gewesen, egal, was es hatte sein sollen und egal was Eravier glaubte. Das, was die Narbe jetzt wirklich darstellte, war Tarn, seine Hilfe und seine Vertrauen. „Halte das Gefühl fest. Noch bist du nicht besiegt”, hatte Tarn gesagt, und Valion hatte sich daran festgehalten. Er hatte sich an dem Gedanken festgehalten, dass er nicht allein war, dass es jemand gab, der ihn schützen konnte, jeden einzelnen Tag. Er trug dieses Versprechen immer bei sich.
Aber wie sollte er das erklären? Was sollte er sagen um Jan begreiflich zu machen, dass es um etwas ganz anderes ging? Er wusste es nicht.
Also wich er aus und antwortete: „Er ist ein Freund. Jemand, auf den man sich verlassen kann. Ich vertraue ihm. Kann sein, dass ich oft von ihm spreche, aber vor allem, weil er uns helfen kann zu fliehen. Und er gehört immerhin zur Rebellion, wie meine Eltern. Und sich um mich zu kümmern ist vermutlich seine Aufgabe.”
Jan schnaufte abfällig.
„Ach ja? Und gehört es zu der Aufgabe eines Rebellen, seinen Verbündeten tief in die Augen zu sehen und wortlose Gespräche mit ihnen zu führen? Ist das eine raffinierte Art, Geheimnisse auszutauschen, die nur so intim aussieht? Hältst du mich für blöd, oder hast du es selbst einfach noch nicht begriffen, Val?”
Jetzt fühlte er sich tatsächlich schuldbewusst und senkte unbehaglich den Blick, und gleichzeitig verstand er nicht einmal warum. Er wusste genau, welchen Moment Jan meinte, und ihm wurde bewusst, dass er keine Erklärung dafür hatte. Sieh mich an. Es war das selbe Gefühl gewesen das er gespürt hatte, als Jan plötzlich nicht da gewesen war. Panik. Orientierungslosigkeit. Vielleicht sah es deshalb für Jan so gleich aus. Oder war es doch das Gleiche? Belog er sich selbst und Jan gleich mit? Er wusste es nicht.
Er hob den Kopf und wollte etwas sagen, aber im nächsten Moment wäre er beinahe in Jan hinein gelaufen, der abrupt stehen blieb und in die Knie ging. Zuerst dachte Valion er hätte etwas gesehen und duckte sich reflexartig, und hastig versuchte er den lichter werdenden Wald zu überblicken. Das Gelände wurde hier steiniger, der Waldboden wich zurück und machte Gras und felsigem Boden Platz, und Gruppen von großen und kleinen Büschen boten sogar ausreichend Deckung für einen Hinterhalt. Aber er sah weit und breit niemanden.
Dann wurde ihm bewusst, dass Jan sich nicht umsah, sondern die Fäuste ballte und blass geworden war, und er blickte automatisch zu seinen Füßen, wo sich eine Lache von Blut ausbreitete. Die Wunde an seiner Fußsohle war weiter aufgerissen. Valion fluchte, richtete sich auf, packte Jan am Arm und zog ihn auf den gesunden Fuß, und Jan stützte sich notgedrungen auf ihn und lächelte bitter. „Willst du mich nicht vielleicht doch gleich in den Fluss werfen?”, fragte er resigniert, „Dann hätten wir das wenigstens hinter uns.”
Ein Versteck war schnell gefunden, denn die dichten Büsche schirmten sie vor Blicken ab, aber dafür dauerte es eine ganze Weile, bis sie Jans Fuß verbunden hatten. Valion riss dafür den unteren Saum seines Hemdes ab, es war ihm sowieso zu lang. Zuerst versuchte er es mit dem Stilett, aber für diese Aufgabe war ein Dolch denkbar ungeeignet, und nach kurzer Zeit gab er frustriert auf und zerriss den Stoff mühsam mit den Händen. Jan bot ihm an zu helfen, aber Valion schüttelte nur den Kopf und arbeitete still weiter, bis er endlich einen langen Streifen aus dem Hemd heraus gefetzt hatte und sorgfältig um Jans Fuß legte. Sie sprachen beide kein Wort dabei, teils wütend, teils nachdenklich.
Schließlich brach Valion das Schweigen, als er fragte: „Wirst du laufen können?”`Jan zuckte mit den Achseln. „Erst einmal ja, aber frag mich nicht wie weit. Sieht so aus, als hätten wir keine Wahl - wir kommen nicht bis zu den Pferden, nur bis zu dem Treffpunkt, den Marceus uns genannt hat. Ich hoffe das freut dich.” „Kein Stück”, sagte Valion verletzt, und Jan schien seine Worte im nächsten Moment zu bereuen.
„Tut mir Leid”, sagte er und starrte auf seinen bandagierten Fuß. Er schien wütend auf sich selbst zu sein, darauf, dass er verwundet war und Hilfe benötigte. „Ich hatte mir eigentlich vorgenommen dir keine Last sein. Ich dachte ich bringe uns beide hier raus. Und dann? Stehe ich nur im Weg herum und stelle deine Entscheidungen in Frage.” Valion seufzte und versuchte, seine Wut loszulassen. „Du hast viel mehr getan als das. Und du machst dir Sorgen. Denkst du ich mache mir keine?” „Vielleicht nicht genug”, meinte Jan leise. „Vielleicht nicht die richtigen.”
Valion griff nach seiner Hand und drückte sie. „Wovor hast du Angst, Jan? Was denkst du wird passieren, wenn wir uns von Tarn helfen lassen?”, fragte er, und damit traf er anscheinend einen wunden Punkt. Jan sah mit einem Mal nicht mehr wütend aus, nur noch unglücklich. „Er wird uns auseinander bringen, und du wirst ihm in die Arme laufen”, sagte er überraschend ehrlich, und Valion hörte an seiner Stimme, dass es die Wahrheit war, dass er es zumindest für die Wahrheit hielt. Er hatte Angst. Angst, ersetzt zu werden, nicht zu genügen, das einzige zu verlieren, das ihm überhaupt wichtig war, und plötzlich, als Valion das begriff, wurde ihm klar, dass er nichts abstreiten und auch nichts beweisen konnte. Es gab keine Argumente, nicht gegen diese Art von Furcht. Er konnte Jan nur Bestätigung geben.
„Ich verlasse dich nicht, Jan”, sagte er leise und ernst. „Wir werden uns nicht trennen.” Aber Jan schüttelte nur unglücklich den Kopf. „Sag das nicht, wenn du es nicht so meinst. So naiv bin ich nicht. Willst du mir sagen, du hättest mich nicht stehen lassen, wenn ich mich wirklich gegen Marceus gestellt hätte?” Valion wollte protestieren, aber Jan schnitt ihm das Wort ab. „Du würdest es tun, weil du es für das Richtige hältst. Was du nicht begreifst ist, dass Menschen wie Tarn dich immer glauben lassen, dass du das Richtige tust. Dafür wird er sorgen, und du wirst es zulassen, weil du das deine Art ist.” Jetzt war sein Blick mitleidig und unendlich besorgt. „Du lässt dich ausnutzen, verstehst du das denn nicht? Er wird mich loswerden, und dann wird er dich für seine Pläne benutzen und danach fallen lassen. Du darfst ihm nicht vertrauen, Val, niemals”, sagte er, und Valion schauderte, weil es genau das selbe war, was Nisha zu ihm gesagt hatte, mit dem selben Gesichtsausdruck. Du bist zu weich, Val. Du lässt sich ausnutzen, und verletzt dich damit selbst.
Und vielleicht hatten sie beide Recht, vielleicht war er ja zu naiv, zu gutgläubig. Aber was Tarn anging, lag Jan einfach falsch. „Du täuschst dich in ihm. Wenn du ihn besser kennen würdest-”, begann er hilflos, aber Jan schüttelte nur den Kopf und schnitt ihm das Wort ab. „Ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass der Rest nicht besser sein kann. Er ist kein guter Mensch, Val, egal, wie er sich dir gegenüber verhalten hat! Glaub was du willst über wen du willst, aber vertrau mir in dieser Sache! Ich weiß nicht warum, aber an seinen Händen klebt Blut. Ich sehe es. Was das angeht, ist er nicht besser als Eravier. Er versucht es nicht einmal zu verbergen, weil alles andere an ihm davon ablenkt. Du darfst dich nicht von ihm ausspielen lassen, verstehst du?”
„Nein, ehrlich gesagt verstehe ich kein Wort”, sagte Valion völlig verzweifelt. Er hörte die Worte, verstand, was Jan versuchte ihm begreiflich zu machen, aber er irrte sich, er konnte sich nur irren. Nichts davon hatte mit dem Tarn zu tun, den er kannte. „Wieso glaubst du eigentlich ihn einschätzen zu können? Warum bist du dir so sicher?”
Er sah, dass Jan es ihm sagen wollte, und sich gleichzeitig davor fürchtete. Er dachte an das, was Marceus gesagt hatte, den Blick voller Verachtung.
Ich kenne Kerle wie dich. Ich glaube Valion ist sich noch gar nicht im Klaren, wozu du fähig bist.
Wozu war Jan fähig?
Er kannte sich mit Waffen aus, egal ob es sich um eine simple Glasscherbe, einen Stein oder einen Dolch handelte. Er war skrupellos, wenn es die Situation erforderte. Er hatte bei der Vorstellung, ihren Verfolger den Schädel einzuschlagen, keine Gewissensbisse empfunden. Und er kämpfte genauso präzise und schnell wie Marceus.
Ein Dieb kennt einen Dieb wie ein Wolf den anderen.
Er hatte es für einen Spruch gehalten, für eine Anspielung auf etwas, das nur Jan und Marceus wirklich begriffen. Aber wie oft hatte Jan die Wahrheit gesagt und dabei einfach den Anschein erweckt, es wäre eine Lüge? Und plötzlich ergab alles einen Sinn.
„Du denkst er wäre wie du”, sagte er, und er sah in Jans Augen die Panik, die mit dieser Erkenntnis kam. Er musste sich lange davor gefürchtet haben, dass Valion es begriff, vielleicht sogar von Anfang an. Warum hatte er sonst gelogen, über seine Familie, seine Vergangenheit, über alles?
Und dennoch, nach einem endlos scheinenden Moment, nickte er tapfer. Es musste ihn unfassbar viel Überwindung kosten, aber er lächelte sogar. „Hat wohl keinen Sinn darum herum zu reden”, sagte er leise, „irgendwann hättest du es ja sowieso erfahren. Immerhin, ich habe dich nicht belogen. Ich hab schließlich nie behauptet, ich wäre einer von den Guten. Aber wie hoch war die Chance? Von denen gibt es hier schließlich nur eine Hand voll, wusstest du das? Ich glaube nicht. Du kennst dein kleines Dorf, und das ist vermutlich voll von ehrlichen, freundlichen Menschen, die selten etwas Böses tun. Es muss so sein, weil ich nicht weiß, wie du sonst so sorglos sein kannst. Aber du bist nicht dort, das musst du begreifen. Die Mehrheit der Leute die hier sind, auch die Sklaven, haben Dreck am Stecken. So wie ich”, sagte er, und seine Warnungen klangen jetzt fast wie die von Tarn, und Valion wusste auch warum, obwohl sich alles in ihm gegen die Erkenntnis sträubte. Sie klangen gleich, weil sie auf ähnliche Erlebnissen basierten.
„Was hast du getan?”, fragte Valion, und fragte sich gleichzeitig, ob er es überhaupt wissen wollte. Er hatte zwei Seiten von Jan gesehen, und er hatte sich im hintersten Winkel seines Verstandes immer gefragt, welche davon der echte Jan war. Erst jetzt begann er zu verstehen, dass sie zusammen gehörten. Der Jan, der ihn zum Lachen brachte, sich um ihn sorgte und ihn beschütze war der selbe, der ihn aus kalten Augen betrachtet, über den Tod seiner Eltern gespottet und Eravier angegriffen hatte. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, ob er es überhaupt glauben konnte. „Hast du wirklich… deine Familie ermordet?”
Die Frage traf Jan mehr, als er gedacht hatte, und seine Stimme klang hart, als er sagte: „Nein. Das habe ich nur gesagt, um Eravier zu überzeugen. Es gab nicht viel Liebe zwischen mir und meiner Familie, so viel ist sicher, aber ich habe sie nicht umgebracht. Eigentlich hätte ich allen Grund dazu gehabt…” „Eravier sagte, sie hätten dich verkauft”, sagte Valion leise, und Jan nickte. „Ja, das haben sie tatsächlich. Es hat eine Weile gedauert, geplant hatten sie das schon mehrere Jahre, nachdem… nachdem sie herausfanden, dass ich anders bin.
Immerhin, damals verkauften sie mich als Arbeitssklave, die konnten sich gar nicht vorstellen, dass mich irgendjemand als irgendetwas anderes haben wöllte. Vielleicht wäre es mir gar nicht so schlecht gegangen, wer weiß das schon. Aber damals war ich in Panik, und ich bin einfach abgehauen. Ich wollte mich durchschlagen, als Knecht arbeiten, vielleicht irgendwann genug zusammen kratzen, um mir selbst etwas aufzubauen.
Aber das hatte ich mir zu einfach vorgestellt. Niemand wollte mich aufnehmen, und bevor ich es mich versah, schlief ich auf der Straße und schlug mich mit kleinen Diebstählen durch. Ich geriet an andere, denen es ähnlich dreckig ging, und du glaubst gar nicht, wie schnell man lernt mit einem Messer umzugehen und es einem anderen armen Teufel an die Kehle zu halten. Am Anfang dachte ich, ich würde es so lange durchziehen, bis ich genug hätte um auf die Füße zu kommen. Und dann… vergingen zwei Monate, und ich hatte genug zusammen um einfach weiterzuziehen, aber es war mir schon alles egal. Ich hatte Freunde… und irgendwann sogar mehr. Manchmal dachte ich, dass es sich schon dafür gelohnt hatte abzuhauen, dass ich endlich nicht mehr der Ausgestoßene war. Ich wurde gut darin, die Runde zu machen, ich hab nie etwas Ernsteres gewollt. Ich habe keinem vertraut. Die Erfahrungen reichten mir. Es war in Ordnung. Davon bereue ich nichts.
Aber ich hab auch Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Bettler verprügelt. Familien ausgenommen, die selbst nichts zum Leben hatte. Aber-” Seine Stimme zitterte jetzt, genauso wie der Rest von ihm. „- aber ich… ich habe Menschen nicht nur verletzt. Sondern auch getötet.” Er wollte weitersprechen, doch die Stimme versagte ihm, und für einen Moment schwieg er und starrte nur zu Boden. Erst nach einer Weile sprach er weiter, aber es klang qualvoll. Seine Sätze waren abgehackt, er stotterte fast. „Du weißt nicht, wann es… wie es dich verändert. Bis du tatsächlich jemand tötest. Es geht so schnell. Du denkst im ersten Moment nicht einmal darüber nach. Bis du irgendwann begreifst, was du getan hast.” „Wie viele?”, flüsterte Valion, und er fröstelte. Er wünschte, dass es nicht viele waren, und wusste doch, dass es keine Rolle spielte. Selbst einer war zu viel.
„Ich glaube... vier, vielleicht auch fünf. Ich hab es nie geplant. Sie haben sich gewehrt, mich angegriffen. Ich weiß, das ist keine Rechtfertigung… Bei einem… bin ich nicht mal sicher. Ich zog ihm etwas über den Schädel. Ich weiß selbst nicht mal mehr was es war. Er ging zu Boden. Vielleicht lebt er noch. Ich weiß es nicht… Ich glaube nicht.
Aber ich lebte damit, und so lange es dauerte, kam es mir gar nicht so schlimm vor. Mir war alles egal. Es ging einfach weiter, bis ich von meinen Geschwistern erfuhr.
Als ich zurückkehrte, hab ich nie jemand von dieser Zeit erzählt. Ich sagte, ich hätte mich als Knecht durchgebracht, und das genügte. Aber ich hatte mich verändert, und die Art wie ich andere Menschen sah auch. Ich wusste, wer stahl. Wer sich manchmal kleinere Messerstechereien lieferte. Es war harmlos im Vergleich zu dem, was ich getan habe, aber ich habe es ihnen angesehen. Und ein oder zweimal sah ich… Menschen wie mich. Mörder. Für die meisten war es längst Geschichte, lange her, aber da war etwas in ihrem Blick. Ich erkannte sie, und sie erkannten mich.
Glaubst du mir jetzt, dass ich weiß wovon ich rede?” „Ich denke schon”, antwortete Valion leise. „Und willst du jetzt immer noch bei mir sein?”
Die Frage klang so ruhig und abgeklärt, als ginge es um nichts. Es traf Valion wie einen Schlag in den Magen. „Was?”, fragte er fassungslos und starrte Jan an, aber er zuckte nur mit den Schultern. „Ich hab es nicht umsonst vor dir geheim gehalten. Ich weiß, dass du mir nicht mehr vertrauen kannst. Vermutlich konntest du das nie. Du begreifst doch selbst, dass ich nicht viel besser bin als der, vor dem ich dich gerade gewarnt habe. Ich weiß nicht einmal, warum du nicht aufspringst und abhaust. Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass du es tust. Ich würde es an deiner Stelle tun.”
Es musste ein schlechter Scherz sein. Jan konnte es unmöglich ernst meinen. Aber Valion wartete vergeblich darauf, dass er seine Worte zurück nahm. „Das ist nicht dein Ernst”, fragte er verwirrt, aber Jans Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Doch.”
„Tu das nicht”, sagte Valion tonlos, „tu jetzt nicht so, als wäre es dir egal, wenn ich ginge.” „Das wollte ich damit nicht-”, versuchte Jan auszuweichen, aber Valion schnitt ihm das Wort ab, und er war selbst erschrocken darüber, wie viel Wut er plötzlich fühlte, wie viel Schmerz. „Ich habe gesagt, dass ich dich nicht verlasse! Und du wirst jetzt nicht feige den Schwanz einziehen und mich einfach fallen lassen, weil du Angst hast!” „Ich will doch nur, dass du dir keine Illusionen darüber machst, wer ich bin!”, versuchte Jan gegen ihn anzugehen, aber Valion ließ es nicht gelten. „Das habe ich nie, und es gehört mehr dazu mir etwas vorzumachen, als nur einen Teil deiner Vergangenheit zu verschweigen. Und du kannst auch nicht so tun als läge es an dir und mir gleichzeitig sagen dass du erwartest, dass ich beim ersten Anzeichen von Ärger verschwinde! Denn entweder vertraust du mir dann nicht so sehr wie du glaubst, oder du willst einfach nur nicht riskieren, dass es irgendwann vorbei ist.”
Für einen Moment war Jan sprachlos, aber Valion sah auch deutlich, dass es zu ihm durchdrang. Es musste weh tun. Vor allem deshalb, weil es vielleicht das erste Mal war, dass jemand zu ihm halten wollte, und das schmerzte Valion selbst. Wie oft war Jan verraten worden? Wer hatte ihn fallen gelassen, als er am dringendsten jemand brauchte? Vielleicht war es unfair, vielleicht war es niemandes Schuld, aber in diesem Moment wünschte er denjenigen das Schlimmste.
Es wurde nicht besser dadurch, dass Jan seine Vermutung bestätigte. „Val… niemand hat es lange bei mir ausgehalten. Du wärst keine Ausnahme. Du musst nicht so tun als-” „Das tue ich auch nicht. Ich verlasse dich einfach nur nicht. Weil ich es so will. Hör doch bitte einfach auf, dich dagegen zu wehren”, sagte Valion und griff nach Jans Hand. Er hielt sie so fest wie er konnte, ohne ihm Schmerzen zuzufügen.
Jan schwieg, und man konnte sehen, dass es in ihm arbeitete. Er wollte es glauben, und fürchtete sich gleichzeitig davor. „Du meinst es wirklich ernst, oder?”, fragte er irgendwann leise, und Valion nickte nur. „Warum?”, fragte er und Valion zuckte nur mit den Achseln. „Weil ich dich liebe. Reicht das nicht als Grund?”
Dann rückte er erneut zu ihm heran, schlang seine Arme um ihn, und schwieg, ließ ihm Zeit. Reflexartig schoben sich Jans Hände wieder unter sein Hemd. Eiskalt, bebend, Halt suchend. Er verbarg sein Gesicht wie zuvor in Valions Halsbeuge, und er atmete einmal lang, tief aus, ein zitternder, hilfloser Seufzer. „Ich weiß nicht”, sagte er schließlich, „Warum hat es den anderen nicht gereicht?” Er schniefte verhalten, und Valions Hemd wurde ganz nass, aber er sagte nichts dazu, strich nur über Jans Haar. Er betrachtete die aufgehenden Sterne, die Umgebung, das Weideland, das durch den nahen Waldrand schimmerte. Schließlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Gute Nachrichten”, sagte er schließlich leise. „Ich glaube ich weiß, wo wir falsch abgebogen sind.”