‚So ein Thermomix ist einfach großartig‘, dachte sich Monika, als sie die Kühlschranktür öffnete und zum Pestoglas griff. Gestern hatte sie in den Rezepten gestöbert und auch ein geeignetes Rezept gefunden. Selbstgemachte „Bärlauchpeso“. Damit wollte sie Andre überraschen.
Sie hatte sich wirklich Mühe gegeben, sogar selbst Bärlauch gepflückt. Sie hatte von ihren Nachbarn gehört, dass es hinten am Waldrand reichlich von dieser Pflanze gab und tatsächlich, sie war fündig geworden. Zusammen mit original italienischem Käse, Pistazienkernen, gutem Olivenöl, Salz und Pfeffer war diese Spezialität im Nu zusammengerührt. Da war das Spülen noch die meiste Arbeit.
Zufrieden, all das schon gestern zubereitet zu haben, machte sie sich voller Tatendrang ans Werk. Während von ihrem CD- Player zur Einstimmung „Azzurro“ von Adriano Celentano zu hören war, putze sie gut gelaunt den Salat. Laut „Azzurro lalala“ mitgrölend, warf sie die Blätter schwungvoll in die Salatschleuder, um die Kurbel im Takt zu drehen.
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Als es einige Zeit später an der Tür läutete, sprang sie freudig auf. Natürlich! Andre war pünktlich! Nicht zu früh und nicht zu spät! Einfach genau richtig! Andre war einfach ein Schatz.
Er war so anders als all die anderen Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Nicht so vorlauft oder schüchtern. Er war höflich, zurückhaltend, und doch nicht schüchtern. Sie konnte es nicht wirklich beschreiben, aber manchmal schien er nicht von dieser Welt zu sein. Ein Gentleman alter Schule, vielleicht waren das die richtigen Worte.
Ihr Herz schlug aufgeregt, als sie ihm öffnete.
„Halle Andre!“
„Guten Abend, Monika.“ Seine Stimme war wie immer gleichzeitig dunkel und heiser. Etwas, was sie unheimlich erotisch fand, irgendwie.
Andre Petit – und dieser Name passte nun wirklich nicht zu ihm, schließlich war er über 1.90 Meter groß – deutete eine Verbeugung an. „Darf ich reinkommen, mon cherie?“
Ach, das Französisch. Und dieser Akzent. Sie liebte das.
„Natürlich.“ Sie schritt rasch zur Seite. „Ich freue mich, dich zu sehen.“
„So auch ich, meine Liebe.“ Zärtlich ergriff er ihre Hand und führte sie an den Mund, um einen Kuss anzudeuten. Allerdings berührten seine Lippen ihre Haut nicht, sondern deuteten es nur an.
Wie gesagt ein Gentleman.
Andre hatte seinen linken Arm bisher auf seinem Rücken verborgen und führte sie nun nach vorne. Ein kleiner Blumenstrauß, bestehend aus drei Rosen, erschien. „Für dich.“
„Oh, danke dir. Aber nun komm!“
Sie war gerührt, allerdings stand sie nicht so auf Blumen. Aber das würde sie ihm bei anderer Gelegenheit sagen.
„Nimm doch im Wohnzimmer Platz. Ich muss nur rasch eine Vase holen.“
Für eines waren die Blumen dann doch gut. So konnte sie in der Küche verschwinden und ihre Nervosität hoffentlich etwas verbergen.
Etwas länger als nötig starrte sie unschlüssig auf die Vasen – sie hatte genau zwei an der Zahl und strenggenommen kam eh nur die linke in Frage, da die andere viel zu groß war – bis sie die Rosen etwas lieblos in das Gefäß setzte. Sie wollte schon zurückkehren, als er etwas einfiel.
Ach ja, Wasser. Er wäre sicher enttäuscht, stellte sie die Blumen nicht auf den gemeinsamen Tisch. Und das wollte sie auf keinen Fall – ihn enttäuschen.
Mit wackligen Knien ging sie langsam zu ihm ins Wohnzimmer und stellte die Vase auf die Mitte des Tisches.
„Vielen Dank für die Blumen, Andre.“
„Keine Ursache, vielen Dank für deine Einladung. Was hast du denn gekocht?“
„Bärlauchpesto, selbstgemacht“. Sie fühlte ein Schaudern über ihr Gesicht rieseln- sicherlich wurde sie nun auch noch rot, verdammt. „Ich hoffe, es wird dir schmecken.“
„Sicher, meine Liebe. Ich bin gespannt, ich habe das noch nie gekostet.“
Verlegen wollte sie den Tontopf öffnen und ihm schöpfen, als seine Hand ihre Bewegung stoppte. „Bitte, lass mich das machen.“
Ja, er war ein Gentleman.
Höflich füllte er erst ihren Teller, dann den seinen.
„Ich dachte immer, das müsste mehr nach Knoblauch riechen.“, bemerkte er verwundert.
„Stört es dich?“, fragte sie besorgt.
„Nein, ganz im Gegenteil.“ Er lächelte ihr ermutigend zu. „Ich bin da naturgemäß etwas zurückhaltend. Aber nun komm, lass uns essen.“
Während sie die Gabel in ihrem Löffel drehte, blickte sie direkt in sein Gesicht. Wie immer, seit sie ihn kannte, war er ein wenig blass um die Nase, wenn es auch heute nicht ganz so auffällig war. Sie würde ihn überreden müssen, mehr an die frische Luft zu gehen. Sich immer in geschlossenen Wänden aufzuhalten, konnte nicht gut sein. Schließlich brauchten sie doch alle ein wenig Vitamin D, oder etwa nicht?
Überhaupt war Andre sehr geheimnisvoll. Viel wusste sie nicht über ihn und er war sehr wortkarg, was seinen Beruf betraf. Es musste wohl irgendwelche Probleme in seiner Familie geben. Zumindest gab er das als Grund an, warum sie sich immer erst abends treffen konnten.
„Willst du nicht versuchen?“ Er hatte noch nichts gegessen. Vielleicht aus Höflichkeit und er wartete, bis sie den ersten Bissen nahm?
Mit dem Essen war er allgemein sehr zurückhaltend. Er aß immer sehr wenig und vorsichtig.
Kein Wunder, dass er so hager war.
„Alles in Ordnung, Monika. Ich will dir den Vortritt lassen.“
Nun schön. Etwas seltsam, aber ok. Wenn er es so wollte.
Leicht verstimmt führte sie die gedrehten Nudeln zum Mund und führte die Gabel hinein. Dabei bemühte sie sich, die Gabel möglichst erotisch zwischen ihren Lippen zu bewegen, bevor sie sie wieder ablegte.
Andre hatte recht. Es schmeckte wirklich nicht nach Knoblauch.
Keine Ahnung. Sie wusste nicht, wie Bärlauch schmeckte und hatte es eben nur für ihn gekocht. Aber abgesehen von dem fehlenden Knoblauchgeschmack durchaus köstlich.
Die Augen ihres Freundes funkelten belustigt, ehe er ebenfalls zu essen begann.
Ihre Blicke trafen sich und hielten aneinander fest, während beide weiterhin die Nudeln verspeisten.
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Ihr Essen war bereits seit über drei Stunden vorüber. Noch immer saßen sie zusammen.
Der Mann war wirklich ein guter Gast. So zuvorkommend, so gebildet, so klug. Sie liebte es, sich mit ihm zu unterhalten.
Allerdings stimmte etwas mit ihm nicht.
Seine Pupillen? Wurden sie mit einem Male dunkler? Sie war sich dessen nicht sicher.
Und das war nicht alles! Sie fühlte sich auf einmal so… sie konnte es nicht sagen.
Auf jeden Fall nicht gut.
Ein seltsames Brennen im Hals. Eigentlich schon eine ganz geraume Zeit. Verbunden mit einem unangenehmen Brechreiz.
Schwach!
Und schwindlig!
„Monika, was ist mir dir?“ Hörte sie seine besorgte Stimme.
War er es denn überhaupt? Sie hörte alles gedämpft, wie durch Watte. Was war los?
Sie schloss die Augen! Sie taten so weh.
Oh verdammt!
Sie spürte nicht mehr, wie sie zusammensackte und langsam den Stuhl hinunterglitt. Auf den Boden, wäre Andre nicht aufgesprungen und hätte sie aufgefangen.
„Oh Moni, mon Cherie, es tut mir leid.“, seufzte der Franzose. „Ich hätte meiner Ahnung folgen sollen.“
Die Frau reagierte nicht darauf, sondern schien bereits halb in die Bewusstlosigkeit abzudriften.
Panisch griff er nach ihrem Handgelenkt und spürte ihren Puls. Resigniert schüttelte er den Kopf.
Es blieb keine Zeit zu verlieren.
Er hatte es noch nicht tun sollen. Denn eigentlich war es dazu noch zu früh.
Doch sie jetzt schon zu verlieren, nein, das würde er nicht zulassen.
Mit einem Fluch auf den Lippen, der sich wie „Herbstzeitlose“ anhörte, schüttelte er auf seltsame Weise seinen Kopf. Ein Außenstehender hätte den Eindruck eines Rituals gehabt, wie er gleichzeitig den Kopf nach vorne streckte und seinen Mund weit öffnete. Ein seltsames Knirschen war zu hören, welches jedem Zahnarzt wohl ein Schaudern verursacht hätte. Die vier Eckzähne, zwei oben und zwei unten, schoben ich auf unnatürliche Weise hervor.
Hatte man Andre noch vor wenigen Minuten gut als etwas bleich bezeichnen können, so war er nun weiß wie ein Leichentuch. Diese unheimliche Ausstrahlung wurde noch verstärkt durch die Veränderungen seiner Augen, die nun einen seltsamen roten Schimmer aufwiesen und unstetig flimmerten, gleich das Flackern einer Kerzenflamme im Wind.
Ohne zu zögern, biss sich der Vampir mit seinen Zähnen in das Handgelenk seiner linken Hand. Sofort trat das Blut hervor – nicht nur rot wie die eines Menschen, sondern zugleich mit einem silbernen Schimmer. Ein seltsamer, undefinierbarer Geruch ging von ihm aus. Ein wenig nach Kupfer, aber gleichzeitig auch seltsam frisch, wie der Geruch der Natur an einem Frühlingsmorgen.
Mit der rechten Hand öffnete er ihre Lippen und ließ sein geheimnisvolles Blut in sie hineintropfen. Immer wieder biss er sich selbst in seine Haut, da sich die Wunde schnell verschloss. In kleinen Mengen gab er ihr sein Blut Milligramm für Milligramm, bis er schließlich – als habe er einen geheimnisvollen Befehl erhaben – von seinem Vorhaben abließ.
Erschöpft ließ er sich neben sie nieder und schloss die Augen.
Dabei fiel ihm ein, was er vor einiger Zeit auf Wikipedia gelesen hatte:
„(…) Alle Teile der Herbstzeitlose enthalten das stark giftige Alkaloid Colchicin, ein Kapillar- und Mitosegift. Der höchste Gehalt findet sich in der Blüte mit bis zu 1,8 %. Aber auch die Samen (0,5 %), die Knolle (0,2 %) und die Blätter (0,03 %) enthalten genug Colchicin, um Vergiftungen bewirken zu könne (…) Aber nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene kann die Herbstzeitlose gefährlich sein, vor allem, wenn man ihre Knollen mit Küchenzwiebeln verwechselt, oder die Blätter mit Bärlauch oder anderem Wildsalat, und so größere Mengen der giftigen Pflanze zu sich nimmt (…)“
Vor dem Tod hatte er sie nicht retten können. Aber er hatte dafür gesorgt, dass sie weiter existieren würde.
In ein paar Stunden würde sie zu sich kommen.
Ob ihm allerdings ihre Reaktion gefallen würde, nun das… das würde sich dann zeigen.
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seine Lippen. Er war schon lange genug auf Erden und war schon mit ganz anderen Dingen zurechtgekommen. Für ihn und sie begann etwas Neues, und er freute sich darauf.
Zufrieden mit sich und der Welt, schloss er ebenfalls die Augen und ließ sich von seinen Gedanken forttreiben.
A/N:
Sorry, wieder ein Vampir, aber ich kann es wohl nicht lassen.
Link zur Gruppe und der kleinen 60- Minuten- Challenge:
https://belletristica.com/de/groups/183-sixty-minutes-die-challenge#group
Schaut doch mal rein, einsteigen ist jederzeit möglich. Und das alles ohne Druck, daher eine gute Sache.