Das Schnauben des Wallachs beruhigte seine flatternden Nerven und sanft strich der Prinz dem Tier über die samtene Nase. Um ihn herum war es stockfinster, nur das Rauschen der Bäume und das entfernte Gluckern des Baches war zu hören, übermalt vom geradezu überspitzten Zirpen der Zikaden.
Mühevoll versuchte er, sein hart gegen seine Rippen pochendes Herz zu besänftigen, doch die Angst paarte sich mit der Aufregung. Er hatte eigentlich das Schloss nicht verlassen dürfen, sein Vater hatte es allen verboten, nach Einbruch der Dunkelheit die schützenden Mauern hinter sich zu lassen. Der Wald war zu gefährlich.
Doch wie einen Mondsüchtigen hatte es ihn hinausgezogen zwischen die immergrünen Bäume, die so dicht standen, dass es selbst bei Tage finster war und das Licht selten auf den Boden gelangte. Nur wenige Pfade und Wege führten durch das Dickicht und selbst die tapfersten Männer wagten sich nicht, diese zu verlassen, aus Angst, nie wieder zurückzukehren.
Es spukte in den Wäldern, so sagten die Weisen. Doch was genau es war, das sich in ihnen versteckte, das wusste niemand.
Nun, bis auf ihn selbst. Doch das Geheimnis des Spuks zu ergründen, war nicht seine Absicht gewesen. Es war, wie so vieles andere, ein Zufall gewesen. Einer, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, wäre da nicht sein Retter gewesen.
Lebhaft erinnerte er sich an seinen ersten Mitternachtsritt in der Nacht zu seinem siebzehnten Geburtstag. Sein Vater, der König, hatte auf dem Höhepunkt der Festlichkeiten zu einem aufgefordert, ganz wie es Tradition am Hofe war, und in voller Montur waren die Wachen, die Gefolgsleute und er, der Königssohn selbst, zusammen mit Seiner Majestät aufgebrochen, unter dem Schein des Mondes, streng der Straße durch die Bäume folgend, um die Geister des Waldes nicht aufzuschrecken.
Wäre nicht der treue Wallach durch einen unverhofften Knall in der Ferne durchgegangen und hätte seinen Reiter auf seiner wilden Flucht ins Dickicht mit sich genommen, hätte das, was ihm anschließend geschah, niemals stattgefunden.
Lächelnd lehnte der Königssohn sein Gesicht gegen das des Pferdes. Er war ihm nicht mehr gram, dass es ihn in seiner Furcht abgeworfen hatte und er sich bei dem Sturz ins Unterholz das Bein verletzt hatte. Auch nicht, dass ihn unter anderen Umständen vermutlich niemals jemand gefunden hätte und er so leichte Beute für die Wölfe gewesen wäre, denn laufen hatte er in dieser Nacht nicht mehr können.
All das war vergeben und vergessen, denn es hatte ihn zu diesem Wesen geführt - oder das Wesen zu ihm. Dieses hatte ihn gerettet und damit einen Bund geschaffen, den weder es noch der Königssohn jemals mehr würden brechen können.
Das ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden verstummte für einen Moment und so plötzlich, dass ein Schauer über den Rücken des Prinzen fuhr. Früher noch hätte er jetzt Furcht empfunden, doch diese war inzwischen dem Gefühl der aufregenden Erwartung gewichen, einer kribbelnden Erregung und Vorfreude darauf, ihn wiederzusehen. Das Wesen, das seine Verletzung geheilt hatte, hatte sich ihm in einer männlichen Gestalt offenbart und der Prinz verschwendete nicht eine Sekunde mit Zweifeln daran, wie ungebührlich es war, so für einen Mann zu fühlen.
Hauchzartes Streichen über welkes Laub und trockene Äste verstärkte den Schauer des Königssohns, als er den Kopf in der Finsternis herumwandte und denjenigen, dessen Ankunft er erwartet hatte, zwischen zwei mächtigen Stämmen ausmachen konnte, die Gestalt noch schwärzer als der Wald um sie herum.
»Du bist gekommen, Prinz«, wehte eine Stimme zu diesem herüber, zart flüsternd wie das Rascheln des Blattwerkes und doch warm, stark und voller Kraft, vibrierend wie die Natur um sie herum.
»Ich hatte dir mein Wort gegeben ... Meari ...« Der Königssohn wagte nicht, lauter zu sprechen, aus Furcht, den Moment zu zerstören, diese Präsenz, die der Waldgeist um sie herum errichtet hatte. Die Dunkelheit funkelte wie die Haut des Mannes, dessen ganze Gestalt in einen jadegrünen Umhang gehüllt war und dessen Kapuze er lichtete. Wie lebhaft sich der Königssohn an den Schreck erinnerte, als er zum ersten Mal, nach dem Mitternachtsritt, in dieses schwarze Gesicht aus Nachthimmel und Sternenlicht geblickt hatte. Ein Gesicht, dessen Züge man in der Finsternis unmöglich hatte ausmachen können und doch verflog die Furcht in der Sekunde ihrer ersten Berührung, als Meari die Verwundung des Prinzen hatte heilen lassen und ihn sicher an den Rand der Königsburg geleitet hatte. In dieser Nacht hatte der Königssohn versprochen, zu ihm zu kommen, in jeder Nacht des vollen Mondes, denn nur dann war der Waldgeist mächtig genug, um die menschliche Gestalt anzunehmen.
»Ich bedauere so sehr, dich nicht im Licht des Tages betrachten zu können«, wisperte der Prinz und hob die Hand dem Mann entgegen, der die feine Berührung seines Gesichts widerstandslos zuließ. Das Funkeln um sie herum verstärkte sich und die Luft knisterte.
»Bedauere nichts, mein Prinz. Das Licht der Sterne leuchtet auch, wenn du sie nicht sehen kannst. Und ebenso tue ich es. Ich bin dieser Wald. Wann immer du ihn betrachtest, siehst du mich. Es ist wahr, mein Leib ist gebunden an das Licht des Mondes, doch mein Herz ist es nicht.«
Der Königssohn lächelte und wusste, er würde sich noch viele, viele Male nachts aus dem Schloss heraus schleichen, um diesem Wesen, das ihn liebte, nahezusein.