Irgendwann war seine Arbeit vorerst getan. Der Gastwirt bot ihm einen Tee für die Pause und Shadrach sagte nicht nein dazu, erst Recht weil ihm der Appetit fehlte um etwas zu essen, er aber irgendwie das Loch in seinem Magen bekämpfen musste. Eigentlich hätte er sich gern einfach allein irgendwohin gesetzt, vielleicht etwas gelesen oder sonst seine Gedanken in Bewegung gehalten. Uneigentlich hatte er aber noch Zeug zu besprechen und setzte sich daher zu Shin, die sich mit der Vampirkatze unterhielt, was es nicht besser machte.
Shin vertraute er mittlerweile. Die Vampirkatze jedoch war ihm ein wenig suspekt. Shadrach wusste nicht, wie sie hieß, nur ihr Nachname war ihm bekannt: Arkahow. Doch das war kein Geheimnis. Alle hostischen Vampirkatzen hießen Arkahow mit Nachnamen.
„Ich empfehl' nur selten Kokain, aber so wie du aussiehst, Junge, könnte dir das vermutlich nicht schaden“, sagte sie zur Begrüßung. Shadrach reagierte nur mit Schulterzucken und wusste nicht, warum jeder hier kommentieren musste, wie Scheiße er aussah und darauf anspielten, dass er selbst darüber Bescheid wusste. Nemo war der hübsche Zwilling. Shadrach war dafür der mit den praktischen Fähigkeiten.
„Er ist fünfzehn“, raunte Shin ihr zu, woraufhin Frau Arkahow aber nur lachte.
„Stimmt, da ist Kokain ein wenig teuer, aber glaub mir, Crack findest du hier überall recht billig.“
Er schnaubte und setzte sich mit seinem Tee so, dass er weder direkt bei Shin und Frau Arkahow saß noch den offenen Raum im Rücken hatte.
„Hätte ich Crack haben wollen, wäre ich direkt nach Kaw weiter.“
Die Vampirkatze gluckste. „Du gefällst mir, Junge. Aus dir wird ein guter Waldmensch, wenn dich die Union oder Hostrimaa nicht kriegen.“
Shin seufzte, während Shadrach darüber lieber nicht nachdenken wollte. Sein eigentliches Ziel war zu Beginn der Flucht nicht Tribunie gewesen, sondern die Iliarys, bis Shin ihm gesagt hatte, dass die ein Auslieferungsabkommen mit Hostrimaa hatten. Nicht, dass seine Chancen in Tribunie besser wären, zumal er über Rubrica musste, aber Tribunie war größer und hatte mehr Wald. Er hätte sich schon jetzt gern im Wald verkrochen.
Für einen Moment war es ruhig und Shadrach trank einen Schluck von seinem Tee, merkte aber, dass eindeutig Zucker fehlte, weshalb er sich noch welchen gönnte. Seine Mutter hatte immer den Witz gemacht, dass sie in der Familie einfach fünf Bauchspeicheldrüsen besaßen, weil es die brauchte, um ihren Zuckerkonsum zu verarbeiten. Shadrach hatte wenig Meinung dazu, obwohl er auf den Tag wartete, an dem einer von ihnen Diabetes bekam.
„Wir müssen darüber reden, wie es jetzt bei dir weitergeht, Shadrach.” Shins Blick lastete auf ihm. „Du kannst nicht hier in Rubrica bleiben.“
„Außer, du bist scharf drauf, dass die Akademie dich packt. Aber in dem Fall hättest du halt auch in Hostrimaa bleiben können.”
„Sie haben mich lieber tot als beim Militär, hm?“ Er schaute in seinen Tee.
Die Vampirkatze feixte. „Das hast du gesagt, nicht ich.“
„Sie würden dich ja wohl nicht hinrichten. Das Gesetz ist alt und die Regierung weiß, dass sie daran arbeiten müssen. Außerdem bist du minderjährig.“
„Ich hab trotzdem die Dinger im Gesicht.“ Er machte den Fehler, zum Beweis gegen seine Wange zu schnippen und es endete in einem gedämmten Schmerzlaut mitsamt Tränen in den Augen, die er sich schleunigst mit dem Handrücken weg wischte.
Daraufhin war es erneut kurz still. Das Porzellan klirrte ein wenig, als Shadrach mit dem Löffel darin rührte.
„Das tut nichts zur Sache“, sagte Shin. „Und erstmal ist es egal. Wie gesagt. Du kannst nicht hier bleiben und Nordtribunie wird sich nicht anbieten. Es wäre wirklich schlauer, wenn wir uns in Richtung Kaw begeben würden.“
„Aber doch nicht zu Fuß?“ Er hatte nichts dagegen, das zu Fuß zu machen, aber er war sich sicher, dass es nicht so einfach war, die über zweitausend Kilometer bis nach Kaw einfach zu laufen.
„Der Trick ist, dass du die Küste der Drachensee meiden musst“, sagte Frau Arkahow. „Gerade im Süden ist die Bevölkerung chronisch unzufrieden mit der Union und weil sie gelegentlich mal Streitereien haben, ist das Militär dort stark anwesend.“
Er nickte. Er hatte eh nicht vor, zu weit in den Süden zu gehen, dort verbrannte er nur in der Sonne das ganze Jahr lang. Es reichte, wenn es im Sommer unangenehm wurde und seine Haarfarbe dann nicht mehr von seiner Haut zu unterscheiden war.
„Nach Kaw selbst solltest du natürlich auch nicht. Und erst einmal musst du aus Rubrica raus.“ Auch die Vampirkatze trank einen Schluck Tee. „Ich würde dich ja gern unterstützen, aber ich werde hier genauso gesucht wie in Hostrimaa. Da geh ich doch lieber in den Norden, da weiß ich besser, wie es läuft.“
Er konnte es ihr nicht verübeln. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er auch im Norden geblieben oder vielleicht nach Agmash, aber da fiel er noch mehr auf, zumal er die Landessprache weder fließend noch akzentfrei sprach. Tribunie war da einfacher. Zwar musste er mit der Sprache erst wieder flüssig werden, aber zumindest sprach er sie dank seinem Vater akzentfrei, was vermutlich das einzig Gute war, was er von dem Kerl bekommen hatte.
„Ich würde mich dann mal aufmachen. Ich will noch eine der Fähren erwischen, bei denen sie weniger gut die Pässe überprüfen.” Die Vampirkatze trank ihre Tasse aus und erhob sich. „Man soll ja immer gehen, wenn es am Schönsten ist, nicht wahr?“
„Ich wünsche Ihnen eine gute Reise“, sagte Shin. „Und danke für Ihre Hilfe.“
„Hm, ja“, machte Shadrach. Die Vampirkatze war komisch, aber er wusste, dass der Länderwechsel ohne sie sehr viel anstrengender gewesen wäre. „Danke.“
„Ach, nicht der Rede wert.“ Sie winkte ab. „Ich helfe gern jedem, der versucht, das System zu hintergehen.“ Sie grinste und zog kurz an ihren Zöpfen. Er hatte sie nicht gefragt, vermutete aber, dass der Grund für ihre hellblauen Haare ein ähnlicher war wie bei ihm, da auch ihre Augenbrauen und sonstigen Haare diese unnatürliche Farbe hatten.
„Bevor ich es vergesse.“ Shin begann, in ihrer Tasche zu kramen, aus der sie zuvor auch die Creme für Shadrach geholt hatte. Diesmal zog sie jedoch keine Dose hervor, sondern einen Brief und reichte diesen Frau Arkahow.
Deren Lächeln starb ein wenig, als sie das sah, nahm den Brief aber an. „Oh. Dann wird es in Zukunft wohl auch stressig für mich.“ Sie seufzte. „Muss ich den jetzt lesen oder reicht es, wenn ich es auf dem Weg mache?“
„Es reicht, wenn Sie es auf dem Weg machen.“ Shin nickte.
„Was ist das?“, fragte Shadrach, doch Shin winkte ab. Er würde es schon gern wissen, aber wenn es ihn nicht zu interessieren hatte, dann hatte es ihn eben nicht zu interessieren. Gerade zwischenmenschlich empfand er es oft besser, so wenig wie möglich zu wissen.
„Hm. Was muss, das muss, schätze ich.“ Sie seufzte noch einmal, lächelte dann aber wieder. „Schön, schön. Viel Glück euch beiden, und ganz besonders dir, Shady. Du hast einen steinigen Weg vor dir und ich wünsche dir, dass du dir nicht die Knie wund und die Schneidezähne aus schlägst.“
„Danke, das hoffe ich auch“, sagte Shadrach trockener als geplant, doch die Vampirkatze lachte nur und verließ die beiden dann. Er schaute ihr noch ein wenig nach, bis sie zur Tür des Kabuffs raus war, dann sah er wieder in seinen Tee. Es war ein wenig still am Tisch und Shadrach war es wichtig, nicht zu Shin zu blicken.