Mein Handy piepste mitten in der Geschichtsstunde, ich hatte eine neue Nachricht bekommen. Es vibrierte dreimal in meiner Hosentasche und verstummte zum Glück, bevor der Lehrer was bemerkte, sonst hätte ich den nächsten Besuch bei der Direktorin abstatten müssen. Ich sah, wie Stella das Lachen kaum zurückhalten konnte. Ihr Kopf war rot, sie kämpfte ganz auffällig dagegend an. Um sie dabei zu unterstützen, grinste ich sie nicht an und schaute auch nicht auf das Handy, obwohl mich die Neugier fast auffraß. Erst nachdem sich Stella beruhigt hatte, griff ich in meine Hosentasche und nahm das Gerät hervor. Ich rutschte tief unter die Schulbank und betrachtete die unbekannte Nummer auf dem Bildschirm. Als ich die Nachricht öffnete, hörte die Geschichtsstunde für mich auf zu existieren. In Gedanken war ich schon woanders.
„Kann ich dich heute Nachmittag auf Skype erwarten? Es wäre wichtig. LG, Alex“ las ich. Ich verspürte eine Welle der Freude. Alex hatte mir geschrieben, endlich besaß ich seine Nummer. Wenn das Internet zusammenstürzt, kann ich noch immer mit ihm kommunizieren!
Alex war es wichtig, dass ich heute Nachmittag erreichbar bin. In diesem Moment war ich unendlich dankbar, dass es diese Dienstleistungen gibt, die mein Leben erleichtern. Das einzige Problem war der Zeitmangel, der durch das Vor-dem-Computer-sitzen verursacht wurde.
Stella stupste mich an, da ich angesprochen wurde, während ich noch immer die Nachricht anstarrte. Der Geschichtslehrer stellte mir ganz unerwartet eine Frage über das aktuelle Thema. Natürlich wusste ich nicht, worüber er die ganze Zeit geredet hatte. Er bemerkte, dass ich mich mit was anderem beschäftigte und wollte wissen, was ich unter der Schulbank verloren habe. Vor Schreck ließ ich das Handy fallen, das vermutlich in meine Schultasche landete, da kein Aufprall zu hören war. Der Lehrer kam zu mir, jedoch lag nur das Geschichtsbuch in meinem Schoß, das zufälligerweise auf der richtigen Seite offen war. Ich fiel fast unter die Bank. Mühsam setzte ich mich wieder auf. Der Lehrer drehte sich um und ging zur Tafel. Er schrieb einige Jahreszahlen auf, dann stellte er wieder eine Frage, aber diesmal an einen anderen Mitschüler. Ich beruhigte mich und war froh, dass er mein Handy nicht wegnahm und die SMS laut vorlas.
Bis zum Ende der Stunde ließ er mich in Ruhe. In den letzten zwanzig Minuten erzählte er mit Emotionen vollgepumpt über eine berühmte Schlacht. Als würde er damit die Aufmerksamkeit der Klasse gewinnen... Vergebens, denn die Stunde war langweilig. Ich schaute mich im Klassenraum um und sah nur müde Gesichter, die darauf warteten, dass die Stunde endlich vorbei war. Kein Wunder, es war schon Anfang Sommer, die Sonne schien draußen wunderschön. Oder eine wichtige Person erwartete einen auf Skype… Ich konnte mich nicht mehr auf die Stunde konzentrieren, mein Herz klopfte ungeduldig gegen meinen Brustkorb.
Nach einer Ewigkeit war der Unterricht aus. Ich verabschiedetet mich von meiner Freundin Stella und eilte nach Hause. Ich hatte nicht einmal Zeit, ihr mitzuteilen, dass mir Alex geschrieben hatte.
Als ich daheim ankam, warf ich meine Tasche in die Ecke, an ihren Stammplatz, und schaltete den Laptop ein. Üblicherweise fuhr er schnell hoch, doch jetzt schien ein ganzes Jahrhundert zu vergehen, die Zeit arbeitete gegen mich. Ich meldete mich an, aber niemand war zu diesem Zeitpunkt erreichbar. Alex war auch nicht online, deshalb beschloss ich, ein Nickerchen zu machen, um die fehlenden Ruhestunden nachzuholen. Ich schaltete den Computer wieder aus, zog eine bequeme Jogginghose an und legte mich hin. Erst jetzt spürte ich das Gewicht der Müdigkeit. Erschöpfung nahm überhand, ich wollte schlafen und es war mir egal, ob Alex nun online war oder nicht. Schlafen hatte jetzt höchste Priorität. Ich würde ihm vor lauter Müdigkeit wahrscheinlich nur Blödsinn schreiben oder einschlafen, während wir Nachrichten austauschen. Ich stellte mir vor, wie peinlich das wäre und zog sofort die Decke über meinen Kopf.
Ich wachte spät am Abend auf. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben und hätte weiter geschlafen, aber es gab noch einiges für die Schule zu erledigen. Ich rollte an den Bettrand, setzte mich auf und suchte meine Pantoffeln im Dunkeln, die ich unter das Bett gekickt hatte. Ich hatte störende Hintergedanken, aber ich konnte nicht genau sagen, was sie mir mitteilen wollten. Ich tastete nach meiner Schultasche in der Ecke und als ich sie fand, hob ich sie auf und ging runter in die Küche um zu lernen.
Es war schon Mitternacht, als ich mit den Hausaufgaben fertig wurde. Meine Eltern schliefen schon. Ich befüllte die Schultasche mit den entsprechenden Büchern und Heften und zog mich ins Bad zurück. Als ich nach dem Lichtschalter griff, wurde mir bewusst, welche Gedanken mich bislang unbewusst gefoltert hatten. Die Nachricht, die mir Alex geschickt hatte… Ich schaute auf die Uhr. Es war schon zu spät, möglicherweise schlief Alex schon. Insbesondere, wenn er morgen Unterricht hatte. Es würde mir nichts bringen, mich einzuloggen. Wenn ich nur zu ihm fliegen könnte…. Ich wusste nicht mal seine Adresse. Auf seine Nachricht hatte ich deshalb nicht geantwortet, weil ich mir ziemlich sicher war, dass wir am Nachmittag reden werden.
Ich ärgerte mich eine Weile, dann beschloss ich, eine Lektion durchzulesen, um meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Sobald ich mich jedoch hinlegte, hatte ich wieder seine grünen Augen und sein Lächeln im Kopf.
Am nächsten Nachmittag schickte ich ihm eine kurze SMS. Ich entschuldigte mich und bedauerte, dass ich so lange geschlafen hatte. Er schrieb mir sofort zurück und wollte wissen, ob ich heute erreichbar bin. Ich traute mich nicht, seine Frage mit „ja“ zu beantworten, deshalb entschied ich, ihm vorerst nicht zu antworten.
Nach dem Unterricht hatte Stella viel zu tun. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und ließ mich am Eingang des Schulgebäudes zurück. Während ich in den Park schlenderte, suchte ich Alex’ Nummer.
»Hallo Blanka« hörte ich seine weiche Stimme vom anderen Ende der Leitung.
»Hy Alex« begrüßte ich ihn. Ich stellte mir vor, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzieht.
»Wie geht’s?« seine Stimme deutete auf gute Laune.
»Bestens« antwortete ich. »Dir?«
»Mir auch. Ich mag deine Stimme« sagte er.
Ich ließ seine Bemerkung außer Acht.
»Ich glaube, heute Nachmittag bin ich erreichbar. Falls ich nicht wieder einschlafe« scherzte ich.
»Ich habe heute leider keine Zeit. Es ist was dazwischen gekommen« teilte er mir mit.
Innerhalb von Augenblicken verließ mich die Heiterkeit. Mein Lächeln erstarb, ich blieb für eine Sekunde stehen. Alex bemerkte meinen Stimmungswechsel und fing an, zu lachen.
»Keine Panik, Blanka« hörte ich. »Es ist wegen der Uni. Ich muss eine Arbeit abgeben.«
Ich schwieg und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Aber gut, dass du anrufst. Wir könnten jetzt kurz besprechen, worüber ich mit dir gestern reden wollte.«
Ich nahm tief Luft und ließ sie aus. Meine vorige Reaktion war überspitzt.
»Worüber wolltest du gestern reden?« erkundigte ich mich. Alex machte mich neugierig.
»Ich wollte dich fragen, ob du dich noch immer mit mir treffen möchtest?«
»Klar« antwortete ich. Mein Lächeln war zurück.
»Hast du am Wochenende Zeit?«
Seit unserem letzten Gespräch ist ein neuer Termin dazugekommen. Am Sonntag musste ich ins Einkaufszentrum, um mir einen neuen MP3-Player zu kaufen. Alex könnte mich begleiten.
»Am Sonntag würde es passen« sagte ich nach einer kurzen Pause. »Wir könnten ins Einkaufszentrum gehen, ich muss einen neuen MP3-Player kaufen. Danach bin ich frei« antwortete ich.
»Sehr gut« lachte er. »Was ist mit deinem alten passiert?«
Ach, wenn er nur wüsste… Ich dachte an den Moment zurück, als das Gerät mit einem Platsch in die Donau fiel.
»Nichts.«
»Wie dem auch sei. Was sagst du zu Sonntag Vormittag? Wir können gemeinsam Mittagessen gehen« bot er an.
Mittagessen mit Alex. Das wäre super.
»Hört sich gut an« sagte ich.
»Wir hätten mehr Zeit zum Plaudern« erklärte er. Alex klang überzeugend.
»Okay, aber ich kenne keine guten Plätze, wo wir essen könnten« gestand ich.
»Lass mich das organisieren.«
Natürlich kannte er sich aus. Ich hätte mich gewundert, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
»Wann und wo?« wollte ich wissen.
»Um zehn vorm Einkaufszentrum?« fragte er.
»Ich werde dort sein.«
»Ich melde mich am Samstag. Bis dahin, pass auf dich auf« sagte Alex. »Ich kann’s kaum erwarten.«
»Ich auch« erwiderte ich. Und wie! Ich bemühte mich, meine Begeisterung zu verbergen. Er durfte nicht erfahren, wie aufgeregt ich schon jetzt war.
»Ciao, Blanka!«
»Tschüss« sagte ich. Er legte auf.
Die Leitung war schon tot, aber ich konnte ihn noch immer hören. Seine Stimme nistete sich in meine Ohren ein und sprach sanfte Worte zu meinem Verstand. Das Lächeln war wie auf mein Gesicht gestempelt. Am Sonntag durfte ich ihn endlich wieder sehen! Ich spazierte überglücklich nach Hause.