Sanft streichle ich über ihren Rücken. Mit einem verschlafenen Geräusch öffnet sie ihre grünen Augen, schaut mich an und gähnt herzhaft, bevor sie sich ein wenig enger an mich schmiegt und ihren Kopf fordernd in Richtung meiner Hand hebt. Mit einem Lächeln gebe ich ihren Wünschen nach und kraule sie zwischen den Ohren. Ihr behagliches, zufriedenes Schnurren zeigt, dass ich alles richtig gemacht habe, und sie streckt sich wieder lang auf dem Sofa aus, ganz im Vertrauen, dass ich meine Streicheleinheiten nicht allzu bald beenden werde. Diese Katze ist definitiv zu verwöhnt.
Aber ich liebe dieses Tier einfach. Jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, begrüßt sie mich schon an der Wohnungstür und vermittelt mir das Gefühl von Heimat, das ich so dringend brauche. Allein zu wohnen war nie mein Wunsch, aber noch habe ich keine WG gefunden, der ich mich anschließen könnte und die auch eine Katze wohlwollend aufgenommen hätte - und ohne sie umzuziehen kommt gar nicht in Frage! Selbst jetzt, über das lange Wochenende, habe ich sie mitgenommen, und mit Genuss verteilt sie ihre weißen Haare auf dem dunklen Sofa meiner Eltern. Sie mögen die Katze zwar, verstehen aber meine bedingungslose Zuneigung nicht. Aber das müssen sie auch nicht - das verstehen nur wir beide.
Träge strecke ich mich und stehe auf, was sie nur mit einem kurzen Öffnen eines Auges zur Kenntnis nimmt. Es ist erst früher Nachmittag - ich sollte etwas unternehmen, bevor am Abend das große Familientreffen beginnt. Vielleicht ein Spaziergang?
An der Tür drehe ich mich noch einmal um und schaue ins Wohnzimmer zurück. Sie liegt immer noch auf dem Sofa, als gehöre es ihr.
Ein Lächeln erscheint auf meinen Lippen - ich will ihr noch etwas Gutes tun, bevor ich mich auf den Weg mache.
Ohne groß nachzudenken begebe ich mich in die Küche und öffne die Kühlschranktür. Edler Rohschinken fällt mir ins Auge - was für eine Delikatesse, von meinen Eltern sicherlich fürs morgige Frühstück gekauft. "Das Beste ist gerade gut genug", lautet ihr Wahlspruch für solche Gelegenheiten - und ich stimme natürlich zu, wenn auch mit anderem Hintergedanken. Schmunzelnd nehme ich mir ein Blatt der hauchdünnen Spezialität, rolle sie zusammen und schließe die Kühlschranktür.
"Was hast du denn vor?" Verdammt. Die neugierigen Augen meiner Oma sehen direkt in meine, dann auf die Schinkenrolle, dann wieder zu mir.
Gemächlich schiebe ich mir die Schinkenrolle zwischen die Zähne, beiße ab und zucke mit den Schultern, als sei ich in Gedanken ganz woanders. "Oh, ich wollte noch einen Spaziergang machen. Und du?" Völlig beiläufig esse ich den Rest des Schinkens, während ich mit unschuldiger Miene auf ihre Antwort warte.
"Ich werde mich noch ein bisschen in den Garten setzen - ich lese einen interessanten Roman. Bis später dann - und viel Spaß draußen!", wünscht sie und lässt mich wieder allein.
Da niemand zusieht, balle ich die Faust in einer Siegesgeste. Yes! Wieder nicht ertappt. Sie werden nie dahinterkommen, was aus dem Kühlschrankinneren alles den Weg in meine Katze findet. Ich werde es nicht verraten, und sie auch nicht. Das gebietet die Ganovenehre!