Als Trigon in der späten Nacht hin zum dreiundzwanzigsten Spätwintertag erwachte, spürte er die nahende Gefahr schwer wie ein Nachtmahr auf der Brust. Er konnte kaum atmen, so sehr drückte die Magie, wollte allem widerstreben. Die Schutzzauber der Stadt schrien.
Trigon war sich sicher, dass jemand in seiner Kammer stand. Es kostete ihn viel zu viel Kraft, das Wort zu wispern, das ein kleines Licht über seinen Fingern formte. Die Kugel flackerte schwach in der Dunkelheit, erreichte aber die Ecken der Kammer. Sie war leer. Es war niemand unerwünscht in der Stadt. Noch nicht. Aber bald. Jemand infiltrierte die Zwischenräume um Liskia. Der Krieg hatte sie erreicht.
Trigon schien selbst wie in einem Zwischenraum gefangen. Jede Sekunde fühlte sich unwirklich an. Als er endlich seine Kammer verlassen konnte, herrschte auf den Gängen bereits Alarm. Noch war unklar, was die starke Reaktion der Schutzzauber auslöste, aber eigentlich kannten sie alle die Antwort.
„Trigon, mein Junge!“
Als Trigon schaffte, den Kopf zu heben und zu seinem Mentor zu schauen, stand der schon bei ihm und griff nach seinem Ärmel. Ein jähes Rütteln ging durch das Gemäuer der Burg. Noch war es weit entfernt, doch wieder spürte Trigon die Schutzzauber zittern.
„Ach bei der Allmächtigen!“, japste Ugos und zog an Trigon Arm. „Und der Morgen könnte nicht schlechter gewählt sein!“
Der Feind war nicht in den Norden. Er war hier, in Darkeen. Hier vor Liskias Mauern.
Trigon dröhnte der Kopf, als er sich von Ugos mit zum Strategiesaal zerren liess. Er brauchte mehr Zeit, nur etwas mehr … Auf einmal war Ugos fort und die Tür zu. Trigon war alleine und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Wollten sie ihn gleich anhören und liessen ihn darum in diesem Vorraum warten? Hätte er nicht andere Dinge zu tun gehabt? Waren sie alle auch so masslos überfordert? Der Feind war bereits hier!
Er war allein. Nur die beiden Gardisten vor der Tür standen starr da und versuchten sich die eigene Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Gleich würde auch Trigon seine Plattenrüstung wieder anziehen müssen. Aber diesmal war der Gegner kein einzelnes Schemenbiest. Trigon setzte sich, atmete tief durch und versuchte die Wartezeit damit zu überbrücken, innere Ruhe zu finden und die Kräfte seiner Seele zu sammeln. Erfolglos. Er war so müde. Der Krieg war tatsächlich da und er hatte die Nacht verschwendet, bis in die späten Stunden studiert, anstatt sich auszuruhen. Was hatte er nun davon?
Herrische Schritte näherten sich dem Saal. Trigon öffnete die Augen und da war sie tatsächlich. Ira van Niderborgen. Genau wie Jade und Jodorka war auch sie älter, als ihr zartes Gesicht vermuten liess, und doch war sie ganz anders als die Schwestern. Ira lebte nicht isoliert. Sie war ein Teil ihres Adelhauses geblieben, stand dem und auch dem Land mit Rat und Tat zur Seite. Sie hatte ihre Seele freiwillig den Schemen geöffnet, um mit ihnen mächtiger zu werden. Aber sie war hier und unterstützte Liskia. Konnte man ihr trauen?
„Ach, Herr Magier. Lange ist es her“, säuselte Ira und betrachtete ihn mit einem Blick, der sich nicht von dem anderer Mitglieder des Hochadels unterschied. Nur die violette Farbe ihrer Augen verrieten ihren Bund mit den Schemen. Ihre Augen und die gebündelte Energie, die ihr ganzer Körper unerwartet hell ausstrahlte, obwohl sie doch dunkel war.
„Es ist … gut zu wissen, d-dass Ihr trotz der Lage … auf unserer Seite steht“, murmelte Trigon, nachdem er eine viel zu starre Verbeugung angedeutet hatte.
„Meine Loyalität stand nie in Frage“, schnaufte Ira. „Darkeen ist meine Heimat und der Angriff des Heerführers somit auch einer gegen mich.“
Trigon versuchte zu erspüren, ob nur sie anwesend war, oder der Wächter sie begleitete, sich im Schatten ihrer starken Aura versteckte und auf einmal auftauchen würde, so wie Lewo bei Jade und Jodorka in Lichtrain.
„Er ist nicht hier, Magier. Aber ich kann ihn rufen, wenn Euch das reizt. Da ich von Liskia eingeladen wurde, sind die Schutzmassnahmen auch für ihn kein Hindernis. Nicht so wie für die Feinde, die gerade in diesen Momenten an die äusserste Mauer klopfen. Man könnte sogar sagen, da ich beim Aufbau der Schutzmassnahmen geholfen habe, ist ein Teil seiner Kraft die ihre“, sprach die Hexe und wirkte trotz der Lage amüsiert. „Ich habe von Eurem Plan gehört, Slander. Hättet Ihr mir früher davon erzählt, hätte mein Freund Euch einige Ratschläge geben können. Andererseits habt Ihr Euch die wenigen Dinge, die man Euch überhaupt verraten würde, bestimmt schon von Jade geholt.“
Trigon fehlte die Kraft, Antwort zu geben. Sie folgte dem Schemen der Stille, aber sie wusste mit Worten umzugehen. Ihr Lächeln wurde stärker und süffisanter.
„Das dachte ich mir. Ich werde leider nicht bleiben und mich persönlich vom Erfolg Eures Bannzaubers überzeugen können. Die Schwarze Königin wird sich mit ihren Kindern vorerst nach Nava zurückziehen und unter dem Schutz der Finueraein auf Resultate warten. Ich werde sie dorthin bringen, denn ohne meine Erlaubnis wird niemand diese Stadt betreten oder verlassen. Nun … meine Erlaubnis oder die des Hofmagiers.“
Trigon nickte schwach. Ihn verwunderte nicht, dass Nava keinen Feind vor den Toren stehen hatte. Der Sirring war ein heiliger Berg und die Orte in seiner Nähe waren durch ihn ganz auf natürliche Art bereits besser geschützt als der Rest des Landes. Und wahrscheinlich hatte der Hexer, wenn nicht vor den hellen Gottheiten und Gäa, wenigstens vor seinem eigenen Orden genug Respekt, um Iras Wächter nicht zu nahe zu kommen. Die Finueraein waren Dämonen, aber sie waren ebenfalls langjährige Verbündete Darkeens. Würde Liskia fallen, könnte die Schwarze Königin von dieser neutralen Zone aus … Da fiel Trigon auf, was das bedeutete:
„Sie g-g-h…? Trauen sie den Sch-Schutz-z… u-und mei–?!“
„Nennen wir es eine zusätzliche Absicherung“, unterbrach Ira kühl. „Der innerste Zauber zumindest wird so lange wie nötig halten. Dafür habe ich gesorgt. Der Rest ist von Euch abhängig. Enttäuscht uns also nicht.“
Trigon senkte getroffen den Blick. Er wollte noch eine Frage stellen, doch da war Ira bereits durch die Tür im Saal verschwunden. Leather hatte recht gehabt über sie zu lachen. Ihr Feind war ein dunkler Hexer, geleitet vom Schlund, und hier waren sie nun, liessen sich von einer Hexe der Stille helfen. Ira würde die Familie des Schwarzen Königs in Sicherheit bringen … und die Hexenschwestern würden Trigons Familie in Sicherheit bringen.
Trigon verliess das Wartezimmer und lief möglichst unauffällig in seine Kammer zurück. Er nahm diesen einen Brief hervor, den er schon viel zu lange bei sich trug. Der Sendezauber lag bereits auf dem Papier. Er musste ihn nur noch aktivieren und dabei deutlich an die Empfängerin denken. Wieder zitterte der Boden eines besonders heftigen Schlags gegen die äusseren Stadtmauern wegen. Trigon blendete es möglichst aus und dachte an die Hexe.
Kurz strömte die Magie sichtbar aus seinem Körper hinüber in das Objekt. Ein Geräusch wie schwingendes Kristallglas erklang, doch die Schutzzauber richteten sich nicht gegen ihn. Der Brief verschwand, reiste durch eine der vielen Zwischenebenen. Trigon spürte, wie wenigstens ein Stück seiner Sorgen von ihm fiel, als er zurück zum Strategiesaal lief und diesmal stehend auf Ugos und die Resultate der Besprechung warten konnte. Er hatte seinen Zauber noch nicht testen können, wie denn auch? Aber er musste hoffnungsvoll sein. Er würde seine Familie im Norden abholen, wenn alles vorbei war, und dann würden sie auf eine Reise gehen.