Die beiden Türflügel zum Saal schwangen nicht lange nach Trigons Rückkehr auf. Die hohen Strategen verliessen in Gruppen den Raum. Sie schenkten ihm keine Beachtung. Nur einer trat näher. Neben ihm war Ugos. Er tätschelte Trigon sofort zusprechend den Oberarm, während er den Namen des Strategen nannte und ihm wiederum Trigon vorstellte. Trigon war sich sicher, dass sie beide genau hören konnten, wie sein Herz viel zu laut schlug.
„Wir haben uns bereits gesehen, aber ich glaube nicht, dass wir je persönlich miteinander gesprochen haben, Magier“, sagte der Stratege und klang so abwertend, dass Trigons kurzes Flackern von Sicherheit wieder schwächer wurde. Die Königin glaubte nicht, dass sein Bannzauber funktionieren würde. Vielleicht würde er seine Familie nie wieder sehen und selbst wenn er den heutigen Tag überlebte, würde so viel Blut an seinen Händen kleben. Wie würde er Ankidria und die Kinder je wieder berühren können?
„… vorhin eben von deinem Plan erzählt, mein Junge“, sagte Ugos und Trigon blinzelte, weil ihm erst jetzt auffiel, dass ihn nicht alle Worte erreicht hatten.
„Die F-Fe-Feinheiten … also –! Es wird reichen müssen. Gerade gegenüber Dreyllen –“
„Entschuldigt, was für Mirabellen?“, unterbrach der Stratege.
Trigon starrte auf das goldene Emblem auf der Brust des Strategen und kurz war es nicht seine Sorge, die ihm die Worte im Hals blockierte, sondern Frustration.
„Zeitlose, besonders starke Zwischenwesen“, erklärte Ugos jedoch bereits.
„Ach ja. Was eine solch düstere Seele besitzt, hätte gar nie erst in unsere Welt und schon gar nicht auf unser Land gelassen werden sollen. Aber sollte der Plan gelingen, wird der Hexer ohne seinen Gott schutzlos dastehen. Jedes Monster kann vernichtet werden.“
Der Stratege wirkte zufrieden, als er seinem Kollegium nach draussen folgte. Trigon glaubte nicht, dass seine ehrliche Antwort einen Unterschied gemacht hätte.
„Alles wird gut“, versprach Ugos und klopfte ihm erneut auf den Arm.
„Ugos … die K-Kö–“
„Das ist nicht fair!“, ertönte Prinz Sirons Stimme laut vom Strategiesaal her.
Trigon spähte durch die offene Tür und sah, dass der Prinz ein Stück entfernt vom Strategietisch stand. Die Strategen waren alle gegangen, der König aber sass noch da und schien ebenfalls keine gute Nacht gehabt zu haben. Ugos lief direkt zu ihnen. Da Trigon immer noch nicht wusste, ob Ugos ihn aus einem bestimmten Grund hergeholt oder überhaupt einen Grund gehabt hatte, folgte er ihm mit etwas Abstand.
„Deine Mutter und ich haben das bereits vor Wochen entschieden und gestern klar angekündigt. Du wirst sie und deine Geschwister nach Nava begleiten“, sprach der König und Trigon hatte noch nie solch eine Strenge in seiner Stimme gehört.
„Aber ich bin ein Ritter! Ich habe lange dafür trainiert, zusammen mit Alexander und –!“
„Siron Lenard! Du bist nicht einmal richtig ausgenüchtert! Du weisst doch gar nicht, was Verantwortung ist und im Angesicht einer Gefahr kennst du keine Vorsicht, sondern nur deine eigene, dumme Tollkühnheit! Du wirst nach Nava gehen!“
Siron war ganz rot geworden und Trigon fühlte sich nicht dazu berechtigt, eine solch private Situation des Königs mitzuerleben, erst recht weil auch Ugos nur dastand und schwieg.
„Niemand hier ist ausgenüchtert, Vater. Und im Gegensatz zu Lia bin ich wenigstens anwesend. Sie ist nicht hier und sie ist auch nicht auf ihrem Gemach, dabei war es ihre Feier, nicht meine!“, brummte Siron und wischte sich mit der Rückhand kurz übers Gesicht. Er mochte zwar ein fertig ausgebildetes Mitglied der Ritter sein, doch gerade wirkte er wieder wie ein Kind. Wirkte wie Jan, wann immer Rian seiner Meinung nach von den Eltern bevorzugt wurde. Nur ging es nicht um Spielzeug, Pfirsichmus oder auch eine Geburtstagsfeier. Es ging darum, wer sterben und wer leben würde.
„Wir werden nicht weiter darüber diskutieren“, sagte der König. Die vorherige Strenge war aus seiner Stimme verschwunden und übrig war nur Erschöpfung.
„Wenn du wirklich denkst, wir wären bei Frau Springloss sicher, warum kommst du dann nicht mit?“, fragte Siron, aber auch er wurde nicht noch einmal laut. Er wurde leiser. „Warum willst du lieber hier bleiben und sterben?“
Es war auf einmal so still. Der König erhob sich.
„Es ist meine Pflicht, der Schwarzen Königin und dem Land bis zum Ende zu dienen. Es waren meine und dadurch auch deine Vorfahren, die den Dämonen vor fünfhundert Jahren Unrecht angetan haben. Behalte das im Gedächtnis, wenn du vor die Harpyienkönigin trittst. Ich werde hier sein und mit der Stadt gemeinsam der Rache für diese Übel ins Auge blicken, damit du, Lia und die anderen die Zukunft haben könnt.“
König Helmut streckte seinem Sohn die Hand hin. Siron blickte ihn an, dann aber drehte er sich um und stampfte ohne ein weiteres Wort davon.
„Sollte ich ihm nach und es noch einmal erklären?“, fragte Ugos, aber der König winkte ab.
„Nein. Eines Tages wird er es schon verstehen. Wir haben jetzt andere Dinge zu planen.“
Plötzlich sah der König Trigon an und Trigon fühlte sich wieder wie ein Eindringling, selbst dann noch, als der König direkt zu ihm trat.
„M-Me… Mein werter König?“
„Wird der Bannzauber bereit sein?“
Trigon schluckte. Trotz der Krankheit waren die blauen Augen des Königs heute wie ein See, auf dessen Grund sich Trigon nicht zu schauen getraute.
„Die Priester treffen gerade die letzten Vorkehrungen. Es wird also in der Tat alles bereit sein“, sprach Ugos einmal mehr an seiner Stelle und Trigon nickte das machtlos ab. Der König schaute noch genauer, als er seine Frage spezifizierte:
„Aber wirst auch du bereit sein?“
Diesmal antwortete Ugos nicht für Trigon. Wie hätte Trigon jemals bereit sein können?
„Ich bin bereit, meine … Pf-Pflicht zu erfüllen, mein König.“
„Dann können wir doch noch hoffen. Danke, Trigon. Auf bald.“
Trigon dachte an seine Familie und versuchte darin Stärke zu finden. Dachte an die Welt, in der sie alle fernab vom Krieg zusammen waren. Es gab kein Zurück mehr.
Es war kurz vor neun. Die Stadt konnte nur noch über zwei Wege betreten werden, alle anderen Tore hatten sie endgültig verriegelt und mit zusätzlichem Eisen beschlagen. Vor der Stadt befanden sich versteckte Siegel im Boden. Reine Bergkristalle, die bereit waren, die Magie anzuziehen, und Diamanten, die jene vom Rest abschirmen und neutralisieren würden. Trigon musste sich nur lange genug zurückhalten und auf den richtigen Moment warten. Den Heerführer finden und in das extra für ihn vorbereitete Siegel locken. Dann konnte er den Zauber sprechen.
Trigon stand auf der Stadtmauer beim Südtor und wartete. Ihre Soldaten hatte sich an zwei Orten aufgebaut. Der eine Teil befand sich unter ihm und würde die Hauptstrasse hinunter ins Tal verteidigen. Der andere hütete den Ostturm. An wichtigen Punkten in der Stadt und auf der Mauer befand sich der Rest. Informationen zufolge hätte Trigon seinen Platz auf der Mauer mit Geoffrey teilen sollen. Jedoch war der Bursche nicht erschienen und selbst sein direkter Vorgesetzter hatte ihn nicht gesehen. Noch waren die Feinde nicht in Sicht. Aber Trigon konnte ihre Anwesenheit spüren.
„He, Sonnenstrahl“, hörte er Jeannes Stimme.
Trigon drehte sich um und da stand sie schon in ihrer Plattenrüstung. Auf ihren Armen prangte gleich wie auf seinen das Wappen Lichtrains und der Schmutz der Schemenbestie war entfernt worden. Lichtrain … Trigon wollte nicht daran denken. Er hatte den Brief abgeschickt.
„Das wird keine lange Schlacht geben, ich schwitze jetzt bereits“, erzählte Jeanne versucht locker. Trigon wusste, dass sie Angst hatte. Er zumindest hatte schreckliche Angst.
„Bist du auch hier eingeteilt?“, fragte er leise.
„Nein. Ich hüte den Turm. Aber ich musste dir doch noch viel Erfolg wünschen.“
„Ich d-dachte, du magst keine Abschiede?“
Sie lachte und drückte ihn. Durch die Rüstung hindurch war die Umarmung leider wenig beruhigend.
„Das ist doch kein Abschied! Wir kriegen das hin. Irgendwie.“
„Irgendwie …“, wiederholte Trigon. „Tut mir leid, w-wegen … Ich wollte nicht laut werden gestern.“
„Ha! Denk nicht weiter darüber nach.“
Trigon erwiderte Jeannes Umarmung so lange wie möglich, dann liess er seine Base ziehen. Sie konnte ihren Posten noch nicht lange erreicht haben, als die Uhr dort die volle Stunde einläutete. Die Tempel stimmten diesmal nicht ein, ihre Besitzer waren anders beschäftigt. Es war bald wieder ruhig. Sie auf der Mauer hatten eine gute Sicht hinunter auf die Mündung der drei Täler, die gerade noch so leer und friedlich wirkte. Wo war der Feind? Trigon spürte doch, wie die Schutzzauber knisterten. Eine der Wachen auf der Mauer machte einen Witz darüber, dass die Zeitlosen in der Tat zeitlos seien. Zwei lachten. Im nächsten Moment traf sie ein Steinbrocken.