Ein Aufschrei ging durch ihr Heer, als der Gegner auf einmal auftauchte. Von ihrer dunklen Magie unsichtbar gemacht und jetzt erst von den Schutzzaubern aufgedeckt, war der Feind bereits direkt vor ihnen. Wie vom Yarr ausgespuckt. Er war so riesig. Trigon schaute dahin, wo der erste Brocken die Mauer getroffen hatte. Er lag auf dem Mann, der den Witz gemacht hatte. Und schon kam der nächste Felsen und krachte gegen die Mauer.
Von Trigons Position aus wirkte alles klein, als die beiden Armeen aufeinander trafen. Waffen klirrten und weit hinten wurden die Katapulte erneut geladen, Leitern bereit gemacht und Bestien aus Käfigen gelassen. Noch weiter hinten stand der Heerführer. Trigons Blick wurde von diesem Punkt angezogen, denn auch wenn er den Hexer über die Distanz hinweg nicht sehen konnte, seine düstere Aura brannte wie ein Leuchtfeuer.
Trigon riss seine Seele von der dunklen Präsenz los und murmelte eine seiner Formeln. Ein magischer Schutz legte sich um seinen Körper, kaum spürbar. Er würde nicht viel abwehren, ihn jedoch vor dem Schicksal des vorlauten Soldaten bewahren. Den Drakar verborgen bleiben. Bald würde der Heerführer vor den Toren stehen und Trigon musste bereit sein.
Eine Gruppe Necker flog über das Heer hinweg und direkt auf die Stadt zu. Die Schutzzauber reagierten auf die kleinen Wesen und erwischten sie einige Meter vor der Mauer. Helle Energie durchschoss die Necker und liess sie qualvoll aufschreien. Sie stürzten hinunter, wo eine Nachhut der Soldaten wartete. Trigon konnte in dem Gewimmel nicht erkennen, wer die Überhand hatte. Aber mehrere Feinde hatte es bis zu dieser Nachhut geschafft. Die Wachen schossen Pfeile auf sie hinunter, einige aber überstanden auch dies und erreichten die Mauer. Sie warfen sich gegen die unsichtbare Hülle der Schutzzauber und speisten sie mit Magie, um sie zum Bersten zu bringen. Die Nachhut wurde eingekesselt. Trigon konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber er konnte ihre verzweifelten und wütenden Schreie hören. Der Rest des Heeres konnte ihnen nicht helfen. Trigon konnte diese jungen Soldaten nicht tatenlos sterben lassen. Er konnte es nicht.
Er sprach wieder die Formel, länger und mit grösser einberechnetem Radius. Er lenkte seine Gedanken auf die Truppe und streckte seinen Arm über die Zinnen hinaus. Die Magie leuchtete, verliess seinen Körper und umschlang in der Form eines hellen Schilds alle, die Liskias Wappen trugen. Er breitete sich so schlagartig aus, dass die Gegner umgeworfen wurden. Die Soldaten konnten wieder Überhand nehmen. Trigon behielt seine Magie noch kurz konstant, aber er schaute nicht nach unten. Er wollte nicht wissen, wie die Gegner aussahen, die durch seinen Eingriff umkamen.
Aus der Ferne erklang ein grässliches Kreischen. Weitere Felsen trafen ihre Mauer, diesmal aber wurden sie von einem Schlag purer Schwarzmagie begleitet. Es knackste hässlich, als ein Stück der Schutzzauber zusammenbrach. Im nächsten Moment zwängte sich etwas durch den Spalt und packte Trigon, riss ihn über die Mauer. Trigon konnte nicht mehr ausweichen, nur gerade noch so sein Schwert festhalten. Die Kreatur war geflügelt, dürr und nur noch vage humanoid. Sie war eine Pagsele, ein echter Vampir. Das war eigentlich unmöglich, da diese alten Wesen nur im finsteren Norden lebten. Dieses Exemplar aber war sehr real und seine Klauen hielten Trigon fest umschlungen.
Trigon hielt sein Schwert mit beiden Händen und holte weit aus. Es war ein besonders grosses Langschwert und eigentlich mochte er es gar nicht, aber der Oberbefehlshaber hatte ihm einst so eines empfohlen. Mit genug Schwung konnte er damit nicht nur Fleisch schneiden und Rüstungen beschädigen, sondern sogar Knochen brechen. Jetzt gerade zertrümmerte er der Pagsele eine Speiche. Sie schrie und verlor an Höhe. Trigon rutschte aus ihrem Griff und fiel. Sein magischer Schutz bewahrte ihn vor Schaden, als er beim Aufprall zersprang. Dennoch tat es weh.
Der Vampir schlug nicht weit von ihm mit einem dumpfen Knallen auf. Die Mauer aber, auf der er doch bereit stehen sollte, war weit entfernt.
Trigon griff nach seinem Schwert. Der Vampir kauerte auf allen vieren, den Schlund mit den vielen Zähnen weit aufgerissen. Er jaulte und kurz glaubte Trigon, dass es keine Drohgeste, sondern eine Klage war. Die Haut des Monsters war nicht wie in Büchern beschrieben glatt und scheinend, sondern voller Blasen und verteilte einen üblen Geruch. Die Pagsele machte einen Satz. Trigon hielt sein Schwert vor sich und stiess zu. Es bohrte sich in den Hals der Kreatur. Milchiges Blut quoll über die Klinge.
Der Vampir schrie und zog sich zurück. Mit schweren Flügelschlägen entfernte er sich und stürzte an einem anderen Ort im Tal hinunter. Ob absichtlich oder der Verletzungen wegen konnte Trigon nicht sagen. Er sah die nächsten Gegner kommen und wappnete sich. Er hätte sich nicht als Magier offenbaren dürfen. Jetzt war der Plan in Gefahr. Aber noch konnte er es schaffen. Er musste nur kämpfen. Töten. Er tat es für Liskia. Für Darkeen. Das machte es in Ordnung. Es musste in Ordnung sein.
Trigon tat den Fehler, einem Feind direkt ins Gesicht zu blicken. Vor seinen Augen verschwamm sofort alles, wurde nicht besser, als er unten noch mehr Gesichter sah, von Menschen und von Zwischenwesen, die doch viel zu menschlich waren. Es war schon zu spät, um den Gegner zu verschonen. Er fiel. Seine Waffe war kaum als Messer zu bezeichnen. Er wirkte so jung, so verängstigt, als er da unten bei den anderen Gesichtern lag. Trigon erinnerte sich an die Behauptung, der Heerführer könne ganzen Dörfern seinen Willen aufzwingen. War jemand, der nicht freiwillig kämpfte, dennoch schuldig?
Trigon war auf einmal völlig orientierungslos. Kein helfender Zauber wollte ihm in den Sinn kommen und die, an die er dachte, wirkten schwer und kompliziert. Sein Mund war trocken. Es war heiss, aber es war auch kalt und dunkel und laut und hell und da blitzte eine Rüstung am Boden auf, ganz in der Nähe. Eine Verbündete! Über ihr stand eine Mostaka, ein niederer Dämon mit Dornengesicht, die ihren Speer auf den Ritter richtete.
Hastig versuchte Trigon seine Magie wieder zu binden. Ihm fiel der Name seines Pferdes ein, seiner Firnin. Schnee und Eis. Mostaka, Sieg und Dornen. Der spontane Zauber war da, ehe er sich darüber im Klaren war. Ungestüm und wenig kontrolliert schoss die Magie in Form scharfer Eiszapfen aus ihm. Sie trafen die Mostaka und auch andere auf ihrer Höhe und rissen sie mit sich, versenkten sie in der tobenden Menge. Trigon nutzte die Lücke, um zu der Person in der Rüstung zu gelangen. Er wollte schreien, aber er wollte auch helfen, selbst Hilfe finden. Er stellte sich vor die Gegner und suchte nach weiteren Anhaltspunkten im Chaos. Stahl kratzte über seine Rückenplatte, als sich der Ritter hinter ihm aufstellte und wieder Position bezog. Es war zu viel. Zu viel.
„Was bei Vasteas Brüsten machst’n du hier, Slander?!“
Trigon schnaufte angestrengt in seinen Helm hinein. Von allen möglichen Verbündeten hatte er ausgerechnet Leather gerettet. War es eine Strafe? War Leather die Hilfe, die er benötigte?
„Das Tor! I-Ich muss –!“
„Alles klar!“
Leather liess ihn nicht ausreden und auch die Gegner gönnten ihnen keine Pause. Rücken an Rücken kämpften sie also. Leather hatte bereits einen Plan, denn er bahnte sich gezielt einen Weg vorwärts. Trigon folgte und unterstützte mit defensiven Zaubern und einschüchternden Schwertgesten. Ein Gegner schleuderte ihnen eine Welle von Feuer entgegen. Trigon reagierte gerade noch rechtzeitig mit einem Wasserzauber. Der entstehende Dampf kochte ihn beinahe trotz der schützenden Plattenrüstung. Erschöpft hechelte er nach Luft. Es waren einfach zu viele. Es war zu viel.
„Leather!“, rief Trigon verzweifelt.
Auf einmal spürte er die Präsenz des Heerführers wie ein Peitschenschlag auf der Haut. Sie standen wieder näher der Hauptstrasse und jetzt erhaschte er einen Blick auf die Stadt. Die äussersten Schutzzauber waren unterbrochen. Die Mauer überströmt, das Tor offen. Da war er, der Heerführer. So nahe und doch so fern und Trigon spürte die Verbindung zu dem Siegel. Spürte, wie der geübte Zauber aus ihm herausspringen wollte. Auf einmal war alles andere nichtig. Er sah nur noch die Stadt. Die Nachhut, besiegt. Die Wachen, überrannt. Die Zivilisten, bedroht. Sein Lichtrain. Seine Ankidria.
Trigon war erst bei den ersten Worten des Zaubers angekommen und doch passierte bereits etwas. Die Kristalle sangen, die Diamanten hämmerten und kurz war alles hell, als die Falle zuschnappte. Doch in ihrer Mitte stand ein Schemen und lachte.