Um Trigon herum herrschte ein Sturm aus Kristallscherben und Kälte. Trotz der Rüstung konnte er die Scherben scharf auf der Haut spüren, alles zerrte und riss an ihm. Er wurde mitten hineingezogen. Aber auf der anderen Seite war eine Lücke, ein Lichtstrahl. Trigon versuchte danach zu greifen, diesen Ausweg irgendwie zu erreichen. Es wurde enger und enger und heller und heller.
Trigon kniff die Augen zusammen und als er sie wieder öffnete, war der Zauber vorbei. Der Schmerz war vorbei, aber sein Herz hämmerte wild in seiner Brust. Die Welt nahm wieder Form an. Sie war anders als zuvor. Aber noch immer konnte er den Griff des Heerführers spüren, der sich anstelle der Schutzzauber über die Stadt gelegt hatte. Der Bannzauber hatte versagt. Wie auch hätte er funktionieren können? Trigon hatte noch nicht einmal die Worte ausgesprochen! Hätten die Worte denn einen Unterschied gemacht?
Was soeben tatsächlich geschehen war, konnte Trigon nicht sagen. Er konnte nur kleine Gegenstände durch den Zwischenraum transportieren und auch das nur über kurze Distanzen, solange er keine klare Verbindung hatte. Nie hätte er es mit einem Lebewesen versucht und erst recht nicht sich selbst, und doch stand er nun hier: In einer schmalen Gasse mitten in der Stadt.
Trigon konnte das Geschehene kaum verarbeiten. Der Plan war gescheitert und einen anderen hatte er nicht. Eine Stimme in seinem Innern hatte ihm von Anfang an gesagt, dass er es nicht schaffen konnte. Trotzdem hatte er nur diesen einen Plan gehabt. Jetzt hatte er nichts mehr ausser seinem Treueschwur, seinen Verpflichtungen. Er konnte … Er musste –!
Über ihm knarzte etwas. Auf einem Dach sass die Pagsele. Die Stichverletzung schien ihr keine Probleme mehr zu machen, die steigende Morgensonne aber hatte ihrer Haut so stark zugesetzt, dass die Blasen eiterten und sich einzelne Fetzen lösten. Sie stank nach Brand und Verwesung. Oder war das der Geruch angezündeter Häuser und getöteter Menschen? Trigons Gedanken kreisten, doch sein Körper wusste, dass er nicht hier stehen bleiben durfte. Langsam wich er zurück, doch der Vampir hatte ihn bereits bemerkt. Mit einem lauten Kreischen segelte er vom Dach hinunter in die Gasse. Trigon fühlte sich auf einmal so machtlos, so klein. Er hatte nicht die Kraft, sein Schwert zu benutzen. Zu kämpfen.
Ein Haustür stand offen. Trigon rannte hinein und riss sie zu. Die Tür gab beinahe nach, als die Pagsele mit ihrem vollen Gewicht dagegen knallte. Sie kreischte ein zweites Mal, diesmal schmerzerfüllt, denn die Tür war wie viele mit Eisen und Schutzsymbolen behandelt worden. Kupfer, Silber und Gold waren Metalle, die Magie aufsogen und leiteten. Eisen aber war schwer und wies Magie ab. Trotzdem hatte es die Stadt nicht retten können. Trigons eigene Rüstung hatte ihn nicht davor bewahren können, von den Schemen des Heerführers durch den Zwischenraum gezogen zu werden. Vielleicht hätte er dort bleiben sollen. Vielleicht hätte das Eisen auch jetzt versagen sollen und die Pagsele ihn –
Trigon schüttelte sich und verriegelte die Tür. Es war noch nicht vorbei. Es durfte nicht vorbei sein. Der Heerführer war noch hier und Trigons Bannzauber war noch nicht ausgesprochen. Vielleicht konnte er die Schutzkristalle der Stadt gegen den Heerführer verwenden. Vielleicht konnte er das Siegel so erweitern und sogar stärken. Ira hatte sie erst heute morgen erneuert, sie konnten nicht zerstört sein. Der Schutz war nur unterbrochen und noch konnte er etwas tun, er musste es versuchen, er musste jetzt aufhören zu denken und etwas tun!
Er befand sich im Eingang einer Werkstatt. Töpferwaren standen herum, lagen teilweise auch in Scherben am Boden. Am Ende des verwinkelten Raums ging es weiter, wahrscheinlich zu einem Innenhof. Auf halbem Weg passierte Trigon eine Holztreppe. Er konnte Schritte hören, die Decke knarzte. Trigon ging weiter. Jemand im oberen Geschoss schrie und sofort waren die Gedanken zurück und mit ihnen kam eine Stimme. Sie lachte über ihn, weil er versagt hatte. Sie schalt ihn dafür, dass er nicht bereits das Haus verlassen und den Heerführer gestellt hatte. Aber sie schrie ihn auch an, jetzt nicht weiterzugehen.
Trigon kehrte um und rannte die Treppe hinauf, das Schwert mit beiden Händen fest umklammert. Die Rüstung kündete seine Ankunft an und trotzdem schien die Barbarin überrascht. Sie stand über dem Körper eines alten Mannes, einen Hammer in der einen und einen Sack mit Beute in der anderen Faust. In der Ecke kauerten zwei Kinder. Sie waren noch so jung. Sie hatten das nicht verdient, noch weniger als alle anderen. Die Barbarin verfluchte Trigon auf Westen. Sie steckte den Hammer weg, zog stattdessen ihr Schwert.
„Genug von der Schlacht gehabt, Blechpanzer?“, feixte sie.
„L-Lass die Leute z-z-zufrieden“, forderte Trigon leiser, als er gern gehabt hätte.
Die Barbarin lachte, dann brüllte sie und griff an. Trigon hatte kein Problem damit, ihren Hieb abzuwehren. Ihre Waffe war kürzer als seine und so kam sie nur schlecht an ihn heran. Der Gegenangriff war das Problem. Sie war ein Feind, aber sie war auch nur eine Person. Wie hätte er sie bewusst und mit Absicht töten können? Er hatte nie jemanden töten wollen. Nicht einmal in einer Schlacht, wenn sein Leben davon abhing. Aber die Barbarin kannte solche Probleme nicht. Sie lachte lediglich wieder, während Trigon einige Schritte nach hinten zurückwich und nach einem anderen Ausweg suchte.
„Der Schutz des goldenen Reichs hat euch schwach gemacht. Aber nun ist der Wind stark und die Magie auf Westlands Seite“, spottete die Barbarin.
Sie griff nach einem langen Schürhaken und hielt ihn wie einen Speer. Ihre Worte aber gaben Trigon die Anleitung zu seinem Ausweg. Sie nahm Anlauf, dann rannte und schrie sie. Trigon schleuderte ihr einen Luftzauber entgegen, stiess sie mit Druck in die Gegenrichtung. Hinter der Barbarin war ein Fenster und durch dieses krachte sie, als der Zauber sie erwischte. Ihr Schrei verstummte bald, aber Trigon wagte nicht nachzuschauen, wo sie gelandet war.
Der verletzte Mann war unterdessen in eine Ecke gekrochen. Er hielt die beiden Kinder fest umschlungen und er konnte nicht ihr Vater sein, aber er verhielt sie wie einer. Die Kinder schauten zu Trigon hoch. Sie sagten und taten nichts, weinten nicht einmal. Ihr Anblick zerriss ihm beinahe das Herz. Er wollte hier bleiben und aufpassen. Sie schützen, wenn die Barbarin zurückkehrte oder die Pagsele oder auch sonst ein Feind. Aber er hatte eine Aufgabe.
„V-Versteckt euch … und seid leise“, wies Trigon die Familie an, ehe er seinen Weg fortsetzte. Es war nicht weit bis zur Burg. Er traf die Barbarin nicht noch einmal, aber andere. Überall war schon der Feind. Die meisten bemerkten ihn gar nicht, waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Mit Beutestücken, mit Verletzungen, mit Eroberungen und dem Tod.
Eine Truppe vom Ostturm hatte sich in die Stadt zurückgezogen und leistete noch Gegenwehr. Sie versuchten zur Kaserne zu gelangen und auf dem Weg wenigstens einzelne Angreifer aufzuhalten. Trigon fragte einen der Soldaten nach Jeanne. Doch der Bursche konnte ihm keine Antwort geben, war selbst zu sehr vom Chaos überwältigt. Trigon versuchte das Gute darin zu sehen. Er hatte sie nicht gesehen. Also hatte er sie auch nicht sterben sehen. Es ging ihr gut. Sie würde das schaffen, sie war eine Heldin. Sie war nicht das Ziel des Angriffs. Nein, der Heerführer war hinter der Krone her. Er war auf dem Weg zur Burg und Trigon musste ihn einholen. Er musste ihn aufhalten, musste auch ein Held sein.
Er trennte sich von der Soldatengruppe und eilte auf dem schnellsten Weg zum Tor des obersten Rings. Seine Rüstung wurde schwerer und schwerer und sein Körper ächzte, sein Kopf wurde müde. Er trug das Schwert nun auf der Schulter und es lastete beinahe so schwer auf ihm wie die Sorgen und die Angst. Die Strasse führte bergauf und mit jedem Atemzug blies Trigon eine weisse Wolke durch das Gitter seines Helmes. Alle waren erschöpft. Die Schlacht war so gut wie vorbei. Liskia war besiegt. Es ging nur noch darum, sich Trophäen zu holen.