Die Edeldame lag ebenfalls am Boden. Trigon hatte auch sie völlig vergessen. Er trug seinen Helm nicht mehr und doch war seine Sicht eingeschränkt, wie in einem Tunnel. Alles war weit weg und die Frau rührte sich nicht, selbst als er sich ihr näherte. Als er sie berührte, fiel ihm auf, dass sich unter ihr eine kleine Pfütze gebildet hatte. Die Reste von Eis klebten auch an ihr, machten sie starr und kalt. Trigon wurde übel. Der Geruch der Pagsele war schlimm, aber auch sie verschwand für ihn, denn das hier war schlimmer. Alles drehte sich in und um ihn und jemand schloss den Tunnel, in dem er sich befand, nahm ihm die Sicht und Orientierung. Seine eigene Rüstung drohte ihn zu erdrücken.
Trigon stolperte, wich solange zurück, bis er eine Wand im Rücken spürte. Der Hof war gross und doch fühlte sich Trigon eingeengt, eingesperrt. Die Burg. Der Heerführer. Er musste ganz nahe sein. Doch nichts regte sich. Nichts regte sich im ganzen Hof. Es war auf einmal so still und Trigon spürte nichts mehr, konnte keinen weiteren Sinneseindruck verarbeiten. Gerade eben hatte seine Magie zwei Menschen getötet. Aber nun war sie weg. Alles war weg. Sein Körper bebte, sein Kopf pochte, aber um seine Seele, sein Zugang zu der Allmächtigen, hatte sich eine kalte Barriere gelegt. Er war mit seiner Schuld alleine.
Sein eigener Körper kam ihm fremd vor und doch suchte Trigon automatisch nach Halt, als die Füsse und Knie nachgaben. Er wusste nicht, wie lange er so verharrte. Die Zeit stand still, die Götter hatten ihn verlassen. Die Welt war nicht mehr echt. Das Schwert. Er brauchte eine Waffe gegen den Feind. Trigon hob es fahrig auf und tastete sich der Hecke entlang vorwärts zu dem anliegenden Gebäude. Vor seinen Augen rauschte es und alles war grau. Nur das Blut war rot und es klebte an ihm. Er wollte die Gesichter der Toten nicht sehen. Nicht das des Söldners, erst recht nicht das der Edeldame. Nicht die der Opfer der Schlacht und keines davor, keines das noch kommen würde. Keines. Alle. Sie alle lachten über ihn und seine Schwäche. Er konnte nur weiter fliehen, sich wieder verstecken, um ihnen zu entkommen.
Trigon fand die Tür und zog sie mit zitternder Hand hinter sich zu. Auf dem Gang lagen weitere. Eine ihrer Ritterinnen. Ihr Name wollte Trigon nicht einfallen. Aber ihr Gesicht blieb. Der ältere Zauberer, der seine Kräfte meistens für kleine Spielereien hatte verwenden müssen, für Energiesteine und einzelne Laternen, selten für tatsächliche Schutzmassnahmen. Er war so interessiert an Trigons Bannzauber gewesen und hatte ihm, obwohl er über keine eigene Magie verfügte und darum nur theoretisches Wissen anbieten konnte, seine Hilfe nach bestem Gewissen angeboten. Auch sein Gesicht blieb.
Ohne seine Magie war Trigon nutzlos. So oft hatte er sich gewünscht, nie welche besessen zu haben. Jetzt war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, aber es war keine Erlösung, sondern eine Strafe. Er spürte gar nichts mehr. Er hatte bereits töten müssen, aber nie so direkt durch seine Magie. Sie war keine Waffe. Er hatte sich selbst verraten und die Götter hatten ihn verlassen. Er hatte das alles nie gewollt. Er war kein schlechter Mensch. Er war doch nur er. Einfach nicht genug.
Trigon schluckte die aufkommenden Tränen hinunter und ging weiter. Er konnte den Heerführer nicht mehr spüren, war vollkommen taub. Aber er konnte jetzt nicht stehen bleiben. Nicht nach all dem, was er bereits angerichtet hatte. Dann hätte er tatsächlich verloren. Er musste bis zum König kommen und sich selbst davon überzeugen, dass …
Sein Umweg führte ihn durch die grosse Küche. Diese wurde bereits von einer Gruppe kleiner Kreaturen besetzt, die manche Dämonenhunde nannten, aber eigentlich mehr wie grosse Ratten aussahen. Shashlin nannte man sie in der alten Sprache. In ihren Körpern wohnten gierige Schemen, die sie flink machten und ihren Speichel vergifteten. Trigon hörte seine innere Stimme passende Text zu den Wesen aus verschiedenen Büchern ablesen. Schon wieder entfliehen.
Die einen zerfetzten Mehlsäcke und sprangen und wälzten sich darin herum. Andere spiessten Stücke verschiedener Nahrungsmittel auf Holzstäbe. Eine hing über einem grossen Suppentopf. Der eigentliche Küchenmeister hatte es nicht weggeschafft. Er lag am Boden, von den Klauen und Zähnen der Monster verunstaltet. Trigon versuchte gar nicht erst hinzuschauen, als er die Küche der Wand entlang nach durchquerte. Die Shashlin schienen keine Notiz von ihm zu nehmen.
Etwas packte seinen Stiefel.
„Ich kann es riechen! Ich kann das Yarr riechen, Herr Trigon! Was tut es denn hier?!“
Der Küchenmeister war nicht tot. Mit unerwarteter Stärke hielt er Trigon fest und obwohl seine Stimme panisch klang, strahlte sein Gesicht Begeisterung aus. Die Dämonenhunde unterbrachen ihre Tätigkeiten und schauten alle in ihre Richtung. Trigon verstand nicht, wie der Mann noch leben, wie er so mit ihm reden konnte. Sein Kopf fand keinen passenden Text dazu, musste sich erst mehr Informationen aus der echten Welt holen und mit der echten Welt kam auch die überwältigende Schuld zurück.
„D-D-Du solltest diesen Ort … s-solange du noch kannst.“
„Ja, das sollte ich wohl! Aber eigentlich fühle ich mich gut, sehr gut. Nur das Yarr, was tut es hier? Warum ist es hier mit Euch? Warum … warum seid Ihr leer? Das Nichts ist doch vieles, aber nicht leer. Niemand ist leer. Niemand, niemand … Seid Ihr ein Niemand?“
Der Küchenmeister raffte sich auf die Füsse und schwankte, unterbrach seinen wirren Monolog lediglich, um kurz aufzulachen, dann um zu husten. Einmal mehr packte Trigon das Grauen, gepaart mit einem Schwall Übelkeit. Der Küchenmeister hustete und Blut spritzte aus seinem Rachen. Es traf Trigons Brustpanzer, das darauf abgebildete Wappen Darkeens, und zischte sofort. Das Blut war dunkel, von Schemen durchzogen. Trigon stiess gegen einen Tisch. Die nächste Tür war nicht weit. Die Shashlin schauten sie immer noch an, waren völlig regungslos.
„I-Ich muss den H-He… den Heerführer finden! Und den König!“, keuchte Trigon.
Der Küchenmeister lächelte nicht mehr. Seine Pupillen waren geweitet und auf einmal wurde auch der Rest seine Augäpfel düster, wurde zu dunklen, seelenlosen Spiegeln.
„Er ist gegen den Heerführer! Er ist gegen uns!! Er ist ein Feind!!!“
Die Shashlin heulten auf und der Koch machte einen Satz. Trigon wich nach links aus und der Koch erwischte nur noch den Tisch, den er mit Leichtigkeit durch den Raum schleuderte. Trigon rannte und schützte seinen Kopf möglichst mit einem Arm, als erst Holzspiesse, dann kleine, vergiftete Klauen und Zähne ihn trafen. Seine Rüstung hielt den Attacken stand, dann war die Tür erreicht. Der Küchenmeister, nein, die Schemen in ihm, kreischten frustriert und hungrig auf. Ein Beil traf die Tür und schnell schlug Trigon sie hinter sich zu. Er suchte nach einem Riegel, fand aber keinen.
Es war auf einmal wieder leise in der Küche. Als wäre nichts gewesen. Nichts. Eine seltsame Übersetzung für eine dunkle Macht, die so stark und allgegenwärtig war, in diesem Moment ein Land in den Untergang stürzte. Trigon hatte nie verstanden, warum sie das Yarr so nannten. War der Heerführer noch in der Burg? War es schon vorbei? Seine Magie war fort. War er leer? Er fühlte sich so. War er ein Niemand? Er war wertlos. Aber er durfte nicht stehen bleiben. Alle zählten doch auf ihn. Er musste weiter. Er musste rennen.