Schon bald neigte sich die Schlacht dem Ende zu. Viele waren erschöpft, mehr waren tot. Immer weniger Wappen kreuzten seinen Weg und die, die Tajen sah, waren nur noch rot und schwarz, nicht mehr golden. Das Tor war durchbrochen und mit ihm auch die Schutzzauber. Erste Fraktionen begannen bereits mit der Plünderung der Stadt und nur wenige kämpften noch ausserhalb der Mauern. Der Heerführer und seine Höchsten befanden sich ebenfalls nicht mehr draussen. Tajen streckt seine Sinne aus und fand die tiefschwarze Energie des Heerführers und seiner hohen Drakar bald. Sie versuchten nicht, ihre Anwesenheit zu verstecken und an solch einem Ort gab es wenig, das sie hätte vor ihm verbergen können.
Tajen ritt in die Stadt. Draussen kehrte Ruhe ein, aber innerhalb der Mauern war das Chaos noch frisch. Sie hatten verloren und doch leisteten noch einige Darken Widerstand. Der Heerführer hatte gewonnen, aber er war noch nicht gesättigt. So musste das Blutvergiessen weitergehen und Tajen würde beim letzten Akt dieser Übernahme dabei sein.
Das Pferd war völlig durchschwitzt, als sie die Burg erreichten. Tajen liess es vor der Zugbrücke stehen und trat durch das frische Loch im Fallgitter. Er nickte seiner Verursacherin, einer der beiden Dämoninnen, die auch die Firanin steuern konnten, anerkennend zu. Sie aber hatte nur Augen für den Heerführer und seine hohen Günstlinge im Innenhof. Sie getraute sich nicht, ihnen zu nahe zu kommen. Tajen hingegen stellte sich willig daneben.
Der Heerführer stand in der Mitte, umringt von Leichen der darkischen Wache. Er trug eine leichte Rüstung, mehr Dekoration als tatsächlicher Schutz. Ein dickes Halstuch, das angeblich mit dem Blut seiner Feinde getränkt und gefärbt war, und eine Maske, die wie die Fratze eines gefährlichen Mischwesens aussah, verdeckten sein Gesicht. Einige hatten schon den Fehler gemacht und diesen Mann für einen einfachen Menschen gehalten, hatten die pulsierenden Schemen überall um ihn herum nicht spüren können. Nur seine stechenden Augen verrieten den Heerführer. Tajen hatte gefragt, seit wann die Karosyarran sich so direkt und aggressiv in das Geschehen des Weltensystems einmischten. Er hatte nur gelacht.
„Ach, der Nordländer ist gekommen, um uns etwas vorzusingen“, näselte eine Drak, deren schwefelgelben Augen so starr wie die einer Eule, Ohren so spitz wie die einer Fledermaus und Gliedmassen so lang und dürr wie die einer Spinne waren. Ein besonders alter Seelenfresser namens Kylian Tezius. Tajen hatte bisher Abstand von ihm gehalten, doch er hatte gesehen, wie sich dieser Dämon seinen Weg wie ein Tänzer durch kämpfende Mengen bahnte. Als wäre er gar nicht ganz da. Wenn sein Opfer ihn bemerkte, war es oft schon zu spät.
Mari Blodyn, die Anführerin der involvierten Westan und eine besonders berüchtigte Kämpferin, schnaufte verächtlich, schenkte sonst aber weder Tajen noch Tezius Aufmerksamkeit. Sie und ihre Leute waren beim Fall Aurenas noch nicht dabei gewesen. Für den Krieg gegen ein direktes Nachtbarland hatten sie sich aber gerne gemeldet.
Während Tezius keinen physischen Schutz, sondern Schmuck aus Kupfer trug, war Blodyns Lederrüstung mit heller Bronze bestückt, deren Farbe in den Pfauenfedern in ihrem Haar wieder aufgenommen wurde. Seine Brosche war mit einem reinen, schwarzen Turmalin verziert, sie hingegen trug einen Onyx um den Hals. Tajen strich mit einem Finger über den Larimar auf seinem Schwertgriff. Nuira war eine helle Göttin aus Zzha, aber sie war auch eine Kriegsgöttin, die schon immer die Kälte der eisigen Höhen der sanften Wärme ihrer Heimat bevorzugt hatte. Als der Heerführer in die Tenderis gekommen war und die Dhrunuran für seinen Krieg hatte kaufen wollen, war Tajen sie und das Orakel um Rat fragen gegangen. Nuira hatte ihn gefragt, wie treu er ihr war, und ihn den Süden geschickt.
Der Heerführer hatte nur sein Ziel im Blick. Er zuckte nicht einmal zusammen, als ein Schatten auf sie alle fiel und im nächsten Moment eine Pagsele mit einem schrillen Schrei in ihrer Nähe auf dem Boden aufschlug. Das Geschöpf hatte nichts mehr mit den Vampiren gemein, die Tajen aus seiner Heimat kannte, wie es sich da am Boden wand und mit einer völlig verbrannten Haut jaulte und litt. Blodyn fluchte und Tezius machte einen Kommentar darüber, dass er es ebenfalls zu sonnig fände. Tajen sagte nichts. Er trat zu der Pagsele, stiess seine Klinge tief zwischen ihre vom Licht zerfetzen Flügel bis in ihr Herz, und liess es da, bis die Bestie nur noch schwach zuckte.
Während er den Vampir von seinem Leiden erlöste, liess der Heerführer seine Niederen in alle Richtungen davonlaufen, um die Burg genauso einzunehmen wie den Rest der Stadt. Nur Tezius und Blodyn blieben bei ihm, als er über eine Brücke auf ein grosses Tor zulief. Tajen sah, wie das eisenbeschlagene Tor nicht von aussen, sondern tatsächlich von innen und auch nicht von ihren Leuten, sondern von Soldaten in blutigen Überwürfen geöffnet wurde. Er holte zum Heerführer auf, ehe die Soldaten das Tor vorbildlich wieder schliessen und von innen verriegeln konnten.
Erst nach dieser Tat schien den Darken bewusst zu werden, wem sie gerade Eintritt verschaffen hatten. Einer begann zu schreien, eine andere zu betteln, doch der Heerführer interessierte sich nicht weiter für sie und benötigte auch nur je genau einen Hieb mit seiner langen, schmalen Klinge, um ihnen ein Ende zu bereiten. Eigentlich war es tragisch. Die magischen Tricks des Heerführers liessen diesen einfachen Soldaten, die für ihn wie lästiges Ungeziefer schienen, wenig Platz für Ehre. Und Tajen bezweifelte, dass er die Seelen der von ihm Getöteten in Frieden ziehen lassen würde. Sie wurden vom Schlund in die Tiefe gezogen.
Am Ende einer Treppe, vor einer besonders edlen Tür, standen zwei Wachen. Sie trugen besonders teure, gut legierte Rüstungen. Aber auch das rettete sie nicht vor Tezius mit dem feinen und doch sichtbar boshaften Lächeln im vernarbten Gesicht. Die Seelenfresser nannten sich selbst Ayvezon und beide Begriffe beschrieben das, was sie so gerne taten. Sie verschlangen die Energie anderer Wesen und nutzten sie für ihre eigenen, düsteren Zwecke. Tezius schleuderte einen Zauber gegen die erste Wache. Der Stahl widerstand einem Teil der Attacke, war aber nicht dick genug, um alles zu absorbieren. Tajen konnte eine Delle, einen Riss in der Brustplatte sehen, als die Wache taumelte. Tezius war sofort über ihr und schlug seine Klaue mit einer Kraft in das Loch, die man seinem Körper nie angesehen hätte. Die Haut des Seelenfressers zischte, als die Rüstung sie berührte, aber seine Hand steckte fest im Fleisch des nun wild und unkontrolliert zuckenden Opfers.
Die zweite Wache versuchte ihre Kameradin zu retten, aber Tezius liess eine lange Nadel in seiner freien Hand erscheinen. Er schleuderte sie und traf die Wache durch den Seeschlitz ihres Helms. Sie kreischte auf, erst recht, als blaues Dämonenfeuer aus dem Helm herausschoss. Mit Müh und Not riss sie sich den Helm vom Kopf und natürlich hatte der Seelenfresser nur darauf gewartet. Er riss sie mit einem weiteren magischen Angriff zu sich und schlug seine langen, schwarzen Nägel in ihr Gesicht. Tajen konnte das Flackern der Seelen sehen, die zwei Körper verliessen und von einem aufgesogen wurden. Es war ein hässlicher Anblick.
Es war ein unerwarteter Schub Kälte, der Tajen von dem widerlichen Schauspiel losriss und sich dem bunt verglasten Fenster hinter ihnen zuwenden liess. Er konnte nur sehr wenig vom Innenhof unten auf der anderen Seite erkennen, aber auch ohne ein klares Bild fand er die magische Herkunft der Kälte. Sie fühlte sich wie kühle Tropfen auf der Haut an, ähnlich der Magie seiner Mutter und Grossmutter, aber längst nicht so erfrischend und kraftvoll. Diese bestimmte magische Signatur war schwer, beinahe zäh, und dennoch seltsam fragil. Die anderen schienen nichts davon zu bemerken. Tajen aber schloss die Augen und lauschte. Als eine zweite Welle das Fenster traf, wusste er was er zu tun hatte.