Tezius seufzte laut und viel zu befriedigt. Seine Opfer rührten sich nicht mehr, waren vollkommen ausgesaugt, und der Schlürfer störte sich nicht einmal ob der Verbrennung am eigenen Handgelenk. Er nutzte seine neugewonnene Energie, um die verzierten Türflügel aufzureissen. Mit einer ausladenden Verbeugung lud er den Heerführer ein, vor ihm den Thronsaal zu betreten. Tajen lächelte fahl, als er zwei weitere Wachen und dahinter bereits den König erblickte. Dieser Mann wirkte nicht wie ein Kämpfer. Er hätte sich mit dem Rest des Adels zurückziehen und tief im Schneckenhaus verstecken sollen. Das oder seinen eigenen Untergang bereits früher akzeptieren und so wenigstens einige seiner edlen Garde vor dem Tod bewahren sollen. Sie alle zu opfern, ohne selbst zu überleben versuchen, kam Tajen unsinnig vor, wie eine Verschwendung. Er hörte, wie Tezius das Tor hinter ihnen zuschlug.
Diesmal wollte sich Blodyn um die Wachen kümmern. Selbst zu zweit hatten sie keine Chance gegen die Kriegerin, obwohl sie wahrscheinlich die älteste Sterbliche im Raum war. Sie war durchtrainiert und agil, spielte mit ihnen und verhöhnte sie mit lauten Schreien und Gelächter, mit Tritten und Schlägen, anstatt ihnen ein schnelles Ende zu bereiten. Der Auftritt erinnerte Tajen beinahe an einen Schaukampf zur Erheiterung der Menge und Ehrung der Götter. Der Heerführer zeigte keine Regung, auch wenn er genau zuschaute. Tajen wusste inzwischen, dass der Wächter Zoyarrs nicht nur den Schlund selbst repräsentierte, sondern auch Ausdauer, schlichte Hingabe und Gnadenlosigkeit. Rauen Konflikt und gezielte Zerstörung. Er war ein Feuer und doch war er beinahe so kalt wie Tajens eigene Kriegsgöttin.
Tezius stellte sich neben den König, damit dieser nicht doch noch die Flucht ergriff. Unterdessen spürte Tajen die Tropfen näher kommen. Wasser konnte sich unberechenbar verhalten. Aber er hatte bereits einen Plan.
Blodyn machte ihren Opfern erst ein Ende, als diese sich kaum mehr gescheit bewegen konnten und der Heerführer sich zu langweiligen beginnen musste. Mit einem lauten Schrei schlug sie ihren Morgenstern gegen den Helm der ersten Wache und dann noch einmal. Die zweite versuchte wieder zu helfen, aber die Westan konnte sie mit ihrem Schild abwehren und zurückschlagen. Für die erste Wache war es bereits zu spät. Sie war mit solch einer Wucht getroffen worden, dass ihr der dicke Stahl des zum Schutz gedachten Helms zum Verhängnis geworden war. Ihre Genossin traf das gleiche Schicksal, als Blodyn wieder und wieder auf sie einschlug, bis es zum Sehschlitz herausspritze.
Als es zu Ende war, wandte sich Blodyn direkt dem König zu und schrie ihn laut an. Der Inhalt ihrer Worte wurde spätestens dann klar, als sie ihm vor die Füsse spuckte. Der Heerführer hob zwei Finger. Auf einmal blieben der Westan weitere Worte im Hals stecken. Sie erkannte die Warnung und trat demütig zur Seite. Tezius kicherte, dann stiess er den König dieses Landes von seinem Thron. Tajen hielt sich weiter zurück. Der König wirkte alt, müde und trotzdem auch stolz. Die Krone aber war ihm vom Haupt gefallen.
„Es ist beinahe amüsant“, sprach der Heerführer laut und mit einer Stimme, die trotz ihres rauchigen Klangs unerwartet betörend war. Es war eine schöne Stimme und doch liess sie alle im Raum ausser vielleicht Tezius schaudern. Die Worte entstammten keiner ihrer menschlichen Sprachen und doch konnten sie alle ihre Bedeutung verstehen. Das alte Lika drang direkt in ihre Köpfe und ritzte jede Silbe in ihren Geist:
„Hier kauerst du Knecht und denkst, du machst die Taten deiner Vorfahren wett. Erhältst dadurch trotz der Schemen in dir einen direkten Platz in Gäas weit entfernten Armen. Aber eigentlich hast du gehofft, dass dein Tod nicht eintreten müsse. Hast geglaubt, ein paar lausige Priester und ein Magier könnten sich die Kraft alter Rituale zu Nutze machen, deren Sinn und Ursprung sie gar nicht verstehen, und mich damit aufhalten. Denkst selbst jetzt noch, dein mickriges Erbe würde dich in den Büchern über deine Familie erheben und deine eigene Arroganz als Würde verkleiden. Ich aber kenne die Wahrheit und dein Volk kennt sie ebenfalls.“
Als hätten die Urkräfte nur auf diesen passenden Moment gewartet, sprang eine Tür an der Seite auf. Der Türriegel hatte die Dämonin mit der Stachelhaut nicht aufhalten können. Sie verkündete etwas, das das Wort Ayvezo beinhaltete, wedelte mit einem Stück Pergament.
Sofort war Tezius bei der Mostaka und riss das Papier an sich. Tajen fiel auf, dass der König zu den fallen gelassenen Waffen seiner Untergebenen spähte. Aber als sie alle hörten, was der Schlürfer, nun selbst auf dem Thron sitzend, auf Mittländisch vorlas, erstarrte der König und jegliche Entschlossenheit wich aus seinem Gesicht. Tajen verstand nicht jedes Wort gänzlich und doch war die Botschaft unangenehm.
„Ich, der Finuerei der Harpyien Navas und des Sirrings, teile freudig mit, einer weiteren zukünftigen Kooperation zuzusagen. Im Austausch für die offizielle Regentschaft über das schwarze Hügelland, das vor dem Bau der weissen Stadt rechtmässig unser war, unterstützen die Finuerai und ich die weiteren Pläne des Heerführers und seiner Schemen. Als Geschenk meiner tiefsten Zuneigung werde ich ihm die Organe der frisch angekommen Schwarzen Königin Bertha Cabell und ihrer Kinder zuschicken. Herzlichen Appetit.“
„N-Nein“, ächzte der Mann am Boden, „Lisett hätte nie …“
Der Heerführer schnaufte. Er bewegte zwei Finger und die Maske vor seinem Gesicht verschwand. Tatsächlich lächelte er. Sein Lächeln war noch boshafter als das des Schlürfers. Die Schemenmale auf seiner Haut waren gewachsen, seit Tajen zum letzten Mal einen Blick darauf hatte werfen können. Breiteten sich passend gierig zum Herrschaftsgebiet ihres Besitzers aus. Der Heerführer hob seine Klinge.
Das Wasser hatte sie erreicht und schwappte in Form einer Person durch die offen gelassene Tür. Es war diese eine Aura von der Mauer, ein Magier. Ausser Tajen hatte ihn tatsächlich keiner erwartet, darum konnte er vor allen reagieren. Tajen stellte sich zwischen den Mann und den Heerführer, wehrte sein Schwert mit der eigenen Klinge ab. Selbst geschwächt war der Magier kräftig, doch auch er hatte nicht gedacht, dass ihn jemand erwarten würde. Tajen konnte ihn darum sofort überwältigen und straucheln lassen.
Gerade noch hatten alle den Heerführer angeschaut, nun aber lagen die Blicke auf ihm. Tajen sah zum Heerführer und in seinen Augen brannte ein Feuer, das ihn trotz der Hitze mehr schaudern liess, als alle Nächte seines geliebten Nordens. Selbst von hinten hätte eine normale Klinge den Heerführer nicht töten können. Wahrscheinlich hätte der Magier ihn gar nicht erwischt. Umso beleidigender war Tajens Einschreiten. Er hatte den Zusammenprall verhindert und darum würde für immer die kleine Möglichkeit bestehen bleiben, dass der Heerführer hätte verletzt werden können. Dass er vielleicht doch verwundbar war. Dass der Versuch der Stadt, ihn zu bannen, doch hätte funktionieren können. Nun war Tajen der, der lächelte.
Auf einmal ging alles schnell. Der Heerführer trennte den Kopf des Königs mit einem kraftvollen Hieb von dessen Schultern, fixierte dabei weiterhin Tajen. Der Magier war vor Entsetzen erstarrt und war es auch noch, als der Heerführer Tajen zur Seite stiess und ihn mit einer konzentrierten Welle schwarzer Magie attackierte. Der Magier wurde fortgeschleudert, gegen ein grosses Banner, das eine harte Steinwand hinter sich verbarg. Der Stoff riss aus der Verankerung und begrub den Mann unter sich.
Erst jetzt schaute der Heerführer zurück auf den enthaupteten König, verächtlich und unzufrieden, dann drehte er sich um und ging. Das Eingangstor öffnete sich ihm wie von selbst. Tezius schaute Tajen einige Sekunden zu lang und intensiv an, dann hob er die Krone auf und folgte seinem Meister gemeinsam mit der deutlich überforderten Mostaka. Blodyn schaute ebenfalls intensiv, wenn auch auf eine andere Art als der Schlürfer, dann ging auch sie und Tajen stand alleine da. Tajen blickte ihnen nicht nach. Er trat zu dem Magier und hob das Banner genug weit, um in das Gesicht des Mannes sehen zu können. Er war ähnlich alt und ebenfalls schwarzhaarig, mit einer einzelnen, eher silbernen statt grauen Strähne im Haar. Er atmete, doch die Schwarzmagie fesselte ihn trotz seiner Rüstung zu sehr, als dass er auf Tajen hätte reagieren können.
„Jo, Magier“, wisperte Tajen ihm zu. „Mich kann der Heerführer vielleicht nicht leiden, jedoch bin ich ihm nützlich gewesen. Dich jedoch, den er sonst nicht einmal gekannt hätte, wird er nun aufs Tiefste hassen. Mach dir deswegen aber keine Vorwürfe, den Wintereinbruch kann niemand aufhalten.“
Tajen liess das Banner fallen und machte sich ebenfalls auf den Rückweg. Was auch immer als Nächstes kommen würde, hier waren sie fertig. Der Sold wartete.