Wo war der Heerführer? Er zog seine Macht aus einer der sieben ältesten Quellen des Yarrs. Nichts hier konnte so böse sein wie dieser Hexer. Trigon musste ihn finden, er suchte und suchte und ging tiefer und er hörte das Knistern, spürte Licht und hörte Schatten und dann sah er ihn, den Diener Zoyarrs! Ein schwarzer, nein ziegelroter Knoten, und er breitete sich aus, infizierte alles Gewebe rund herum!!
Trigon schloss seine Hand um den Knoten und liess dem Zauber freien Lauf. Sein Körper sträubte sich wieder gegen die Magie und schmerzte, aber er drückte weiter, versuchte sich der Magie ganz hinzugeben, denn er konnte nicht noch einmal versagen. Er hörte Schreie, ein Aufruf, er hörte Lachen, nun schrie er selbst, der Knoten glitt ihm zwischen den Fingern davon, alles war so hell und doch finster und er musste … Er musste –!
„Trigon! Trigon so komm doch zu dir!“, schnitt eine Stimme scharf und doch undeutlich durch die Finsternis, brachte blendendes, mattes Licht und harte, verschwommene Form.
Trigon blinzelte. Vor ihm – nein, über ihm war Ugos. Sein Gesicht war bleich und gerötet zugleich, die Hände geballt, und doch hielt er Abstand, wirkte so weit weg.
Trigon blinzelte. Er lag am Boden. So gerne hätte er sich fallen gelassen. Der Zauber musste zu viel für ihn gewesen sein.
Trigon blinzelte. Hatte der Zauber funktioniert? Hatte er den Hexer gebannt? Nein! Nein. Er konnte es nicht geschafft haben. Er war schwach. Sein Körper juckte. Er hatte einen komischen Geschmack im Mund, fühlte sich wie am Grunde eines Sees und ihm war kalt.
Trigon blinzelte und schaute auf seinen Körper hinunter. Seine Rüstung war nicht mehr hell und glänzend. Sie wirkte wie mit Säure bespritzt. Schleim und dunkler Staub klebten überall, versuchten sich durch die Lücken zu seinem Körper zu fressen. Trigon wollte schreien, aber als er seinen Mund öffnete, kam nur noch mehr Schleim und Staub hinaus, liess ihn erst recht panisch. Wieder wollte er schreien, aber er konnte nur keuchen und sich winden. Ugos umhüllte ihn mit einer grossen Decke. Nein, keine Decke. Ein Vorhang. Er benutzte eine Ecke davon, um Trigon das Gesicht sauber zu wischen.
„G-Ganz ruhig, Junge. Ganz ruhig. Das wird wieder. Was auch immer das war … Es wird gewiss wieder. Komm, bevor etwas davon tatsächlich an dir kleben bleibt.“
Mit Ugos’ Hilfe raffte sich Trigon auf die Beine. Wo war er? Was war geschehen?
Sein Blick fiel einmal mehr auf das Buch und die Formel. Er hatte den Zauber ausgesprochen und die Magie hatte reagiert. Aber der Heerführer war abermals zu stark für ihn gewesen. Das Buch war nutzlos, genauso nutzlos wie er und trotzdem griff Trigon danach und drückte es nahe an seine geschändete Rüstung, die ihn so beengte.
„Ugos?“, fragte Trigon, als sie die Bibliothek gemeinsam hinter sich liessen. Seine Stimme war heiser und kraftlos. Er schämte sich so sehr.
„Was denn?“, fragte sein Mentor.
„B-B-Bist du … entkommen?“
Ugos schnaufte verächtlich.
„Du meinst wohl, wie bist du entkommen? Aber ja, schon unter friedlichen Umständen interessieren sich leider nur noch wenige für Bücher und in solch einer Situation erst recht nicht.“
„Der K-König. Er ist … tot.“
Wieder schnaufte der Berater. Jeder Schritt und jede Sekunde des Schweigens war eine Qual.
„Deswegen also all das?“
„Ich dachte … I-Ich wollte … Die Königin. L-Lia. Sie alle –“
So totenstill war es auf einmal in der ganzen Burg. Trigon schniefte, schluckte, sah weg. Er spürte, wie der Griff des Beraters abrutschte, ihn verliess. Er konnte es verstehen. Er hätte sich auch nicht anfassen wollen.
„Komm. Komm jetzt einfach.“
Trigon schloss die Augen, denn er konnte nichts mehr sehen. Er konnte nichts mehr hören und nichts mehr spüren. Er wollte nicht hier sein. Und trotzdem folgte er Ugos.
Als Trigon irgendwann wieder die Augen öffnete, befand er sich auf einem Lager in einem der Schutzräume. Unterhalb der Burg, des Tempels und anderer wichtiger Gebäude waren diese Räume in das Herzen der Fluh geschlagen. Der Feind war nicht bis in diese Räume gedrungen. Der Fels war durchwachsen mit verschiedenen Metallen und Kristallen, schwer für fremde Kräfte zu durchdringen. Trigon fühlte sich wie in einem Grab.
Ihm fiel auf, dass er die Rüstung nicht mehr trug, aber er konnte sich nicht erinnern, sie ausgezogen zu haben. Eigentlich hätte es befreiend sein sollen, ihr Gewicht nicht mehr zu spüren. Seltsamerweise aber fühlte Trigon sich, als müsse er jeden Moment zu einem Geist werden und diesem fremden, kalten Körper entfliehen. Seine Hände wirkten sauber, kein Blut und keine Reste dunkler Magie klebten mehr daran, aber Trigon wusste, dass sie auch jetzt noch schmutzig waren. Die bleichen Gesichter all jener Menschen, die in den Räumen Schutz gesucht hatten, waren ihm zugewandt. Warteten auf … irgendetwas. Jemand brachte ihm irgendwann eine Tasse warmen, extra scharf gewürzten Wein. Trigon brachte nicht mehr als einen Schluck hinunter.
War es vorbei? Es konnte nicht vorbei sein. Der Söldner hatte ihm doch gesagt, dass es nur der Anfang war und niemand den Winter aufhalten konnte. Der Frühling war noch so fern.
„Trigon, bei Gäa! Du bist endlich wach, Trigon! Ich war so besorgt!“
Jeannes Gesicht schob sich vor seines und ihre Hände legten sich auf seine Schultern. Auch sie trug ihre Rüstung nicht mehr. Ein blutiger Kratzer und ein grosser, blauer Fleck in ihrem Gesicht zeugten von der Schlacht. Sonst aber war alles wie davor. Alles, ausser ihre Augen. Die waren stark gerötet, leidend. Trigon legte die Tasse zur Seite und das gerade noch rechtzeitig, denn schon umarmte seine Base ihn. Trigon hatte die Umarmung und Jeannes Sorge nicht verdient. Dennoch erwiderte er sie so stark, wie sein geschundener Körper es noch vermochte. Er hatte das nicht verdient, sie aber schon.
„Oh, Trigon! Ich hatte von anderen gehört, dass ein Monstrum d-dich –! Es war so grässlich, Trigon! Es war so grässlich. Ich konnte nichts tun. All diese Leute. Poul wurde v-verletzt, und –! … Ich bin so froh, dass du noch da bist!“
Ihre Stimme klang ganz anders als sonst und Trigon schauderte, als er erkannte, dass sie gerade weinte. Er hielt Jeanne und fühlte sich doch fern.
„I-Ich bin auch froh … dass es dir gut geht.“
Langsam löste sich Jeanne von ihm. Trigon wünschte sich, er hätte ihre Wärme spüren können, hätte irgendwas gegen die Kälte tun können.
„Was hast du getan, Trigon?“, fragte Jeanne ganz leise und fasste ihm ins Gesicht. Als sie die Finger wegzog, klebte eine Spur dunklen Staubs an ihnen. Wenig nur und doch zu intensiv, um – Trigon wollte nicht darüber nachdenken. In seinem Kopf war ein Damm, der all die Grässlichkeiten zurückdrängte und von einer endlosen Flut abhielt. Er konnte jetzt nicht nachdenken. Er musste jeden neuen Gedanken hinter diese Mauer werfen. Er hatte den Bannfluch ausgesprochen und nun musste er seine Schmerzen und Ängste verbannen. Er musste doch stark sein. Ein Vorbild. Es war schon lange zu spät.
„Das ist nur Dreck. E-Es … es war ein langer Tag, Jeanne.“
„Der Feind ist vorerst abgezogen. Einige sind noch da, aber sie b-beobachten gerade nur. Es sind noch so viele Leute draussen, so viele –! Es sind so viele tot. Einfach tot. Auch der König ist tot, Trigon“, murmelte Jeanne.
In ihm wurde die Erinnerung an seine letzte Unterhaltung mit dem König angeschwemmt. Trigon verbannte die Erinnerung hinter die Mauer.
„… eine Nachricht aus Nava an. Wenn es wirklich stimmt, dass die Königin und alle …“
Wieder kam die Erinnerung, diesmal aber in Form der Harpyien und auch der Hexe des Sirrings. Trigon hätte es ahnen müssen. Wo war nur seine Mauer?
„… es sind so viele, Trigon. Wir hätten es nicht aufhalten können.“
Die Stimme des Söldners bohrte sich wie ein Eiszapfen in die Mauer. Wie das Eis des missglückten Zaubers. Niemand konnte den Wintereinbruch aufhalten. Auf Norden klangen die Worte schön, wie ein Lied. Aber auf Mittländisch übersetzt besassen sie den kühlen Hauch einer Drohung. Trigon merkte, dass der Damm in ihm bröckelte. Er musste nach Hause. Er musste zurück nach Lichtrain, weg aus dieser Stadt, fort von allem, zurück zu seiner Familie und mit ihnen noch weiter, so weit weg von allem wie nur möglich!
„Herr Trigon? Lia will Euch nun sehen.“
Trigon hatte geglaubt, Geoffrey sei tot. Aber das war falsch, denn hier stand er nun. Geoffrey war hier. Das hiess, dass auch die Prinzessin … Sie wollte ihn sehen. Sie war keine Prinzessin mehr, nicht unter diesen Umständen. Eine baldige Königin? Eine Waise? Was konnte sie von einem wie ihm wollen?
„Soll ich –“, begann Jeanne, aber Geoffrey schüttelte den Kopf und Trigon erhob sich, schaute sie nicht an. Er musste alleine hin. Jeanne war an nichts Schuld.