Tajen stand am Fusse des Hügels, dessen Stadt sie erobert hatten. Er blickte hinauf und musterte die Stränge der Magie, deren Vibrationen bis zu ihm herunter reichten. Erst waren sie strahlend gewesen, voller wilder Schimmer, die von der Energie angezogen zu leuchten begonnen hatten. Bald aber war der ihm fremde Zauber dunkler geworden und anstelle der Schimmer waren die Schemen aus der Tiefe hervorgekrochen und hatten die Stadt in ihr intensives Glühen gehüllt. Die Magie war überall, verdrängte den Geruch von Feuer, Blut und Tod, übertönte die Schreie und das Weinen, war so düster und gehörte doch nicht der Quelle des Heerführers.
Erst als der Zauber ein letztes Mal aufschrie, danach endgültig in sich zusammenstürzte und sich mit dem Rauch vereinte, wandte sich Tajen ab. Er zuckte nur leicht zusammen, als er direkt hinter sich Tezius erblickte, aber dem Schlürfer fiel es garantiert trotzdem auf. Tajen hätte ihn bemerken müssen, aber das Schauspiel hatte ihn zu stark abgelenkt. Er musste wachsamer sein, auch wenn sie offiziell Verbündete waren.
„Faszinierend, nicht wahr? Der Heerführer hatte erwähnt, dass die Stadt einen alten Zauber vorbereitet hatte und doch hätte ich nicht gedacht, noch einmal so was erleben zu dürfen“, näselte Tezius voller Hohn. „Natürlich ist es nicht vergleichbar mit den Dingen, die ich noch in der alten Welt erlebt habe. Aber wäre es vergleichbar, wäre es längst nicht so belustigend.“
„Hm“, machte Tajen dazu lediglich. Er wusste, dass der Schlürfer alt war. Aber ihm war auch klar, dass der Dämon ein gekonnter Lügner war.
Tezius legte eine seiner dürren Hände mit den langen Fingern und spitzen, schwarzen Nägeln auf Tajens Schulter und führte ihn den Weg hinab Richtung Schlachtfeld. Tajen gefiel die Berührung nicht, diesmal liess er sich aber nichts anmerken.
„Genug von mir. Söldner, Euer offensichtliches Gespür für die Magie ist selbst für jemanden wie Euch und erst recht überhaupt für einen Menschen erstaunlich ausgeprägt. Wollt Ihr mir da nicht mehr zu erläutern?“
„Da gibt es nicht viel zu erläutern und die Antwort würde Euch nur enttäuschen“, sagte Tajen und tatsächlich wirkte der Seelenfresser bereits jetzt enttäuscht. Enttäuscht, aber auch lauernd. Tajen blickte ihm nicht länger als nötig ins Gesicht, stattdessen schaute er zum Schlachtfeld. Es waren viele gefallen. Ein Heer hatte seine Höheren bereits abtransportiert und bald würde es an den Darken hängen bleiben, den Rest loszuwerden. Am Ende des Tages, wenn die Leichen nichts mehr von Wert trugen und bereits zu fest stanken, als dass selbst die niederen Dämonen ihnen hätten nahe kommen wollen.
Tajen hatte es auf dem Rückweg gesehen und auch im goldenen Reich war es ihm aufgefallen. Der Heerführer liess allerlei Schätze einsammeln, was verständlich war. Aber auch Leute sammelte er ein. Nicht nur die eigenen Toten und Verwundeten, auch Gegner. Letztere steckten sie in die Käfige, in die keine Bestien zurückkehren würden. Tajen hätte das verstanden, wenn es sich um besonders wichtige Gegner gehandelt hätte, die sie für weitere Verhandlungen brauchen konnten. Oder auch, wenn sie diese Leute mitgenommen hätten, um damit ihre eigenen Reihen zu stärken. Aber das war nicht der Plan.
„Wir haben ein Wanderportal vorbereitet, das all jene, die hier nichts mehr zu tun haben, vorerst nach Daregg bringt“, erwähnte Tezius nach einer Weile alle andere als beiläufig. „Mir und auch dem Heerführer würde es gefallen, wenn Ihr bald auf der anderen Seite zu uns stossen werdet, Nordmann. Es gibt noch einiges zu tun und so ein Sieg sollte gründlich gefeiert werden.“
„Ihr wirkt nicht wie ein Mann, der dieselben Feiern besucht wie ich“, kommentierte Tajen.
Tezius schmunzelte und Tajen missfiel die Vorfreude in seinem Gesicht.
„Die niederen Wege der Menschen sind in der Tat nicht unbedingt meine, Leri, denn ich bin kein Mann, sondern eine Ayvezo. Seid dennoch unbesorgt, ich habe durchaus meine Wege, mir diesen Sieg noch ein ganzes Stück zu versüssen.“
Tajen schaute noch einmal zu dem Schlachtfeld, von dem sie sich nun entfernten. Er wollte für einen Moment daran festhalten, die Luft aufsaugen und so die Seelen seiner gefallenen Dhrunuran würdigen. Es hatte sie besser getroffen als ihren Feind.
„So gerne, wie Ihr Euch selbst reden hört, hätte ich erwartet, dass Ihr hier bleibt und die Verhandlungen mit den Darken anführt“, sprach er letztendlich, wenn auch nur um von dem Thema abzulenken, das den Schlürfer bereits viel zu sehr zu erfreuen schien.
„Na, na“, winkte dieser ab und wurde wieder ernster, kehrte zu der arroganten und abweisenden Fratze zurück.
„Ebenfalls zu nieder?“, erriet Tajen.
„Blodyn übernimmt vorerst alles Weitere an diesem Ort. Zumindest solange, bis die letzten Tropfen Tinte mit den Finueraein getrocknet sind. Ich werde meine Aufmerksamkeit dann der neuen Nutzung des Sirrings widmen, das ist meiner würdiger.“
„Hm“, machte Tajen dazu wieder nur.
Er dachte an den so besonderen Zauber über der Stadt. Er hätte gerne mehr darüber gewusst und beinahe hätte er Tezius gefragt. Seine antrainierte Achtsamkeit blieb aber stärker als seine angeborene Neugierde. Jede Interaktion mit zeitlosen Wesen kam mit Konsequenzen.
Kylian Tezius erzählte noch einige Dinge auf dem Weg, denn er hörte sich in der Tat gerne selbst reden. Tajen ging nicht weiter gross darauf ein, erkannte die Köder in den Worten der Drak. Er war froh, als sich ihre Wege dann hinter dem Portal, das denen in seiner Heimat nur äusserlich ähnlich schien, endlich trennten. Innerhalb weniger Momente wurde aus Gestank und Verderben Frische und Ruhm. Aus Körpern und Blut wurde Stein und Trunk. Auch die Seite des Heerführers hatte Verluste erlitten, jedoch schien das die Laune des Heeres nur wenig zu trüben. Sie hatten einmal mehr einen Sieg errungen und was für ein rascher Erfolg es diesmal gewesen war. Das Portal führte Tajen mitten auf den ehemaligen Marktplatz der grössten Stadt direkt nordöstlich ihres frisch eroberten Gebiets. Daregg hatte, wie auch andere grossen Orte des goldenen Reiches, länger Widerstand geleistet, war als ehemalige Grenzfestung besonders gut ausgerüstet gewesen. Nun war es einer der vielen Orte, die der Heerführer als Stützpunkt seiner Truppen nutzte.
Tajen hatte Godrin sowie die tieferen Lera vor Ort bald gefunden. Wie erwartet waren ihre Verluste gering. Noch waren aber nicht alle Dhrunuran zurück. Die Zahl der Toten und Verletzten würde steigen und einige wenige, die verloren geglaubt waren, würden unerwartet wieder auftauchen. Ein so grossflächiges Manöver barg immer Überraschungen. Dennoch war Tajen insgesamt zufrieden. Die Verletzten wurden hier in Daregg gesammelt und insofern nötig zu den Tempeln anderer Orte gebracht. Der Rest würde bald neue Anweisungen erwarten. Die Schlacht war vorbei, aber für Tajen gab es noch viel zu tun.
„Soren hat was abgekriegt“, raunte Godrin, sobald Tajen die Besprechung mit den anderen beendet und alle momentanen Anweisungen ausgesprochen hatte. Tajen musterte seinen Stellvertreter mit gehobenen Augenbrauen. Sie kannten sich lange und doch war er sich nicht sicher, ob Godrin das für zu unwichtig befunden hatte, um es ihm sofort zu erzählen, oder es einfach nicht vor den Lera der anderen Orte hatte erwähnen wollen. Godrins Gesicht war wie immer stumpf.
„… das war zu erwarten“, antwortete Tajen.
„Nur Kratzer. Solltest es dir dennoch anschauen“, ergänzte Godrin mit einem Grunzen.
Tajens überspielte seine wahre Laune mit einem Grinsen und klatschte in die Hände.
„Ich wollte mir sowieso ein direktes Bild der Wetterlage machen. Hier bei den Verletzten zu beginnen, macht gut Sinn.“
Godrin nickte und machte sich ebenfalls wieder an die Arbeit. Tajen klopfte ihm auf die Schulter und ging los. Hier und da wurde bereits getrunken und gelacht, während die wenigen ursprünglichen Bewohner der Stadt, die noch nicht geflohen waren, skeptisch heimlich von den Fenstern aus die Situation beobachteten und den Neuigkeiten lauschten. Je näher Tajen aber der Tempelanlage der Stadt kam, umso matter wirkte alles. Der Moment der Schlacht war berauschend und erfüllend, eine Ehrung der Göttinnen. Alles danach aber war in der Tat, wie Tezius gesagt hätte, nieder menschlich. Sterblich. Dareggs Tempel war bereits bei der eigenen Belagerung vollkommen überfordert gewesen.