Tajen nickte hier und da jenen zu, die er kannte. Seinen Dhrunuran wie auch anderen aus dem Heer und selbst der Priesterschaft und ihren Helfenden. Sie waren nicht freiwillig Verbündete des Heeres, aber dennoch liessen sie niemanden draussen liegen. Tajen respektierte sie dafür. Einige der Dhrunuran schauten zur Seite, als sie ihren Leri in der Tempelanlage sahen. Tajen aber nickte ihnen besonders gezielt zu. Sie hatten sich nicht zu schämen. Sie alle hatten zu ihrem Sieg beigetragen und würden auch in Zukunft ihrem Schwur treu sein. Sie lebten und sie würden für jene mitfeiern, die nicht mehr mit ihnen waren.
Obwohl Tajen weder seinen noch den Tod seiner Leute fürchtete, beruhigte ihn das Wissen, dass sein Vetter nicht stark verwundet worden war. Es war durchaus zu erwarten gewesen, dass er nicht auf sich aufpassen konnte. Seine erste grosse Schlacht hatte er genau nur deswegen überlebt, weil Godrin den Hieb für ihn abgefangen hatte und die Narbe noch heute an seiner Stelle trug. Tajen war nicht glücklich damit, ihn in seinen Reihen zu haben, aber er konnte ihm den Schwur der Dhrunuran genauso wenig abnehmen, wie er das Versprechen an Nana zurücknehmen wollte, auf ihren unfähigen, viel zu optimistischen Vetter aufzupassen.
„Pukk Soren, du hättest dir einen weniger geschäftigen Tag aussuchen können, um mit der Priesterschaft zu schmusen!“, rief Tajen seinem Vetter zu, sobald er ihn fand.
Die Priesterin vor Pukks Gesicht nahm sofort Abstand und Tajens Vetter glotzte ihn erst überrascht, dann empört an.
„Ich schmuse nicht, ich werde behandelt, Tajen“, zischte er.
Godrin hatte seinen Zustand richtig umschrieben. Kratzer. Tiefe Kratzer und im Gesicht, das als Resultat davon rot und angeschwollen war. Aber seine Augen schienen davon unberührt und sein Mundwerk zumindest funktionierte noch tadellos. Tajen entspannte sich.
„Jo, und besetzt nun einen Platz, der eine andere Person besser gebrauchen könnte, weil du mit einem Kätzchen ringen musstest.“
„Hva? Kätzchen?! Schön wärs!“
Tajen gab der Priesterin ein Zeichen, dass ihre Hilfe nicht weiter benötigt wurde, und nahm ihr die Schale und das Tuch in den Fingern ab. Er setzte sich neben Pukk, tunkte das Tuch tief in die nach Kräutern riechende Flüssigkeit und tupfte damit vorsichtig um Pukks Verletzung herum. Narben würden bleiben und Pukk wirkte gar nicht glücklich, obwohl er sich bereits oft laut eine heldenhafte Narbe gewünscht hatte. Er trug zwar den Familiennamen seiner Mutter, aber seine magischen Fähigkeiten hatte er gemeinsam mit dem moosgrünen Haar von seinem Vater geerbt. Die passend grüne Farbe seiner Sfaira zeugte davon. Tajen hielt inne, als er die verletzte Haut unter den Malen genauer betrachtete.
„Du hast geseifert.“
Sein Vetter zog eine Grimasse, auf die ein schmerzerfülltes Ächzen folgte.
„Nur … nur ein wenig, g-glaub mir! Ich hatte das nicht vor!“
Seine Stimme war leise geworden. Pukk wollte nicht, dass andere davon erfuhren. Tajen seufzte leise, legte die Schale zur Seite und legte seinem Vetter eine Hand aufs Knie.
„Das weiss ich doch, Pukk. Und auch Nuira weiss es, sonst wärst du jetzt nicht hier mit mir. Erzähl mir, was passiert ist.“
Pukk starrte auf die Fliesen hinab, schien sich erst wieder daran erinnern zu müssen. Tajen hatte selbst noch nie die bindende Wirkung der Sfaira in solcher Weise zu spüren bekommen. Aber er wusste, auf welchen Wegen der Schwur an die Göttin sie strafen konnte. Er hatte es leider schon mehr als einmal miterleben müssen.
„Antti sah dich auf dem Weg zur Burg. Wir wollten dir da den Rücken freihalten, falls die Drakar auf dumme Gedanken kommen, jo? Waren halt nicht genug schnell. Wir versuchten mit einer zu kommunizieren da, aber sie wollte nicht zuhören. Hab sie gewarnt und sie hat trotzdem Antti angegriffen. Ich … ich weiss nicht mehr genau, aber auf einmal … da war Eis. Eis, Tajen! Antti war sofort tot und ich wollte etwas tun, ich wollte das wirklich! Aber da war auf einmal dieser Gedanke in meinem Kopf. Es kam mir so … falsch vor. Mit dem Eis, jo? Theias Bastard, ausgerechnet Eis, unser Eis, und ich wollte das nicht denken, a-aber …“
Tajen schaute seinen Vetter genau an und versuchte ihm mit seiner Präsenz die nötige Sicherheit zu schenken.
„Antti kannte den Preis dieser Reise genauso wie alle anderen. Du darfst nicht Nuira dafür verantwortlich machen. Du sagtest, er war sofort tot. Sie war also gnädig. Du darfst wegen so etwas nicht deinen Schwur brechen, hörst du das, Pukk?“
Er blinzelte, atmete tief durch und schenke Tajen das breiteste, schiefste Grinsen, das er in seinem Zustand hinkriegte.
„Es geht mir wieder gut, Tajen. Siehst du? Kein Seifern.“
Tajen war sich nicht sicher damit. Kurz war ihm, als hätte sich ein Tropfen grüne Farbe in die Wunde gedrängt. Aber er wollte Pukk nicht beunruhigen und ihm erst recht glauben, weswegen er das Grinsen erwiderte.
„Daran hab ich nicht gezweifelt. Dennoch will ich, dass du dich zuhause gleich mit dem Orakel triffst. Und hoffe darauf, nicht erst Morma Soren in die Hände zu laufen.“
„In dem Moment dort“, Pukk schloss die Augen, wirkte nun tatsächlich entschlossener, „habe ich kurz an der Göttin und meinem Schwur als Dhrunura gezweifelt. Aber ich wusste dann, dass es mir nichts bringt, deswegen etwas zu überstürzen. Ich habe Anttis Schwert genommen und werde es seiner Familie bringen. Ich werde in Nuiras und seinem Namen seinen Tod etwas bedeuten lassen. Und wenn ich diesen verfluchten Magier fin–“
„Du musst dir keinen Racheschwur aufbinden“, unterbrach Tajen ihn. „Ich habe den Magier gesehen. Ich habe seinen Angriff gegen dich und Antti gespürt und mich um ihn gekümmert. Der Magier hat bereits Strafe erhalten und soll dich nicht weiter fesseln.“
Ein verächtliches Lachen stahl Tajen und seinem Vetter die Vertraulichkeit des Moments und auch jedes positive Gefühl. Diesmal hatte er den Schlürfer kommen spüren und trotzdem hatte er gehofft, dass Tezius genug Anstand hatte, sie nicht zu unterbrechen.
„Dein Freund hat recht, Bursche. Über diesen Magier sollst du kleines Wesen keine weiteren Gedanken verlieren und wenn deine Göttin anderes erwartet, will sie dich nur ebenfalls loswerden.“
Tajen erhob sich ruckartig und schaute die Drak streng an, aber sie liess sich davon nicht einschüchtern. Tezius lehnte sich in den Türrahmen und steckte sich eine der langen, schwarzen Nadeln in den Mund. Er entzündete die Spitze der Nadel mit Dämonenfeuer, sog daran und pustete dunklen Rauch aus. Erst jetzt wurde Tajen klar, dass die Nadeln hohl und ursprünglich nicht als Waffen kreiert worden waren.
„Ihr dürft euch aber beide freuen, denn die Strafe des eitlen Magiers hat gerade erst begonnen. Niemand stellt sich dem Heerführer so direkt entgegen, versucht ihn gar zu bannen und seiner Macht zu berauben, ohne … Konsequenzen erwarten zu müssen.“
„Habt Ihr wirklich nichts besseres zu tun, als mir aufzulauern, Schlürfer?“
Tezius schien einmal mehr wenig bekümmert. Tajen erkannte, dass dieser Dämon jede noch so abfällige Reaktion genoss. Und er merkte, dass Pukk kurz davor war, Tezius mehr als nur eine Reaktion zu geben. Tajen wollte ihn nicht hineinziehen und zu einer Zielscheibe für die Ayvezo machen. Er signalisierte seinem Vetter, dass alles in Ordnung war, und verliess den Raum gemeinsam mit Tezius.
„Der Heerführer wollte mich sehen?“
„Ach, tatsächlich“, bestätigte Tezius zufrieden und folgte ihm geräuschlos wie ein Schatten.