Als Trigon das Zimmer gerade verlassen wollte, fiel sein Blick noch auf etwas anderes. Sein Schwert. Benutzen wollte er es nicht. Aber die Dämonen waren einmal bis nach Lichtrain gekommen. Was würde sie nun davon abhalten? Jetzt erst recht, wenn die Harpyien die junge Prinzessin benutzten, um den Schergen des Hexers freien Zutritt zu gewähren? Wenn er sie zumindest etwas einschüchtern konnte, dann war ihm die Last, die die Waffe mit sich brachte, gerade genug.
„Herr Slander. Wir haben alles so wie immer für Euch gepackt“, meldete sich der höchste noch verbliebene Bedienstete, als Trigon zur Eingangstür kam. „Jedoch gibt es da noch etwas anderes, das ich gerne mit Euch besprechen würde. Allem voran: Vorhin ist ein Brief Eures Vaters für Euch angekommen.“
Trigon verkniff sich sein Seufzen, nickte flüchtig, nickte vielleicht auch nicht.
„… l-leg ihn ins A-Arbeitszimmer … zu den anderen. Ich sch-schaue ihn mir … später an.“
„Zudem“, fuhr der Bedienstete fort, „steht das neue Jahr vor der Tür, mein Herr. Es wäre angebracht, die dringlichsten Haushaltspunkte zu klären. Inklusive aber nicht nur auf die Abrechnungen des jetzigen Jahres beschränkt. Bisher hat das Herr Fischer übernommen, darum würde ich Euch rat–“
„Das reicht! Ich m-meine –!“
Trigon ächzte, kämpfte gegen den Drang an, zurück in den Garten zu flüchten. Dort vor dem Stein hinzulegen und nie mehr aufstehen. Er sah Daughn am Tor, gemeinsam mit Jeanne und den Pferden. Es wurde etwas einfacher.
„Vielen D-Dank für die … Erinnerung. Ich werde mir dafür Zeit nehmen. Nach dem Ausritt.“
Mit diesen Worten liess er den Mann stehen und lief zu den beiden, die von seiner Familie noch übrig waren. Daughn erzählte Jeanne, wie gut sie Fortschritte im Lesen gemacht hatte. Trigon prüfte kurz die Taschen an Firnin. Eins von Daughns Lieblingsbüchern war mit eingepackt. Sein Vater hatte es ihm und Ankidria damals zur Geburt der Zwillinge geschenkt. Wenn Trigons Kopf genug klar war, setzte er sich Abends mit Daughn ins Wohnzimmer und las ihr etwas daraus vor. Manchmal las auch sie einige Zeilen und er half ihr, die Worte richtig zu formen. Ihm selbst fiel es dann leichter, sie ohne Stolpern auszusprechen.
Er erinnerte sich an den Abend vor zwei Tagen, als Daughn ihn gefragt hatte, ob sie zusammen Magie üben würden. Er erinnerte sich jedoch nicht, ob er ihr eine Antwort gegeben oder geschwiegen hatte. Als sie gefragt hatte, ob die anderen für immer fort seien oder wieder zurückkommen würden. Als sie geweint und er ins Kaminfeuer gestarrt hatte und die Flammen ein Gesicht formten und ihn so wie in seinen Träumen ausgelacht hatten.
Er schnallte sein Langschwert an Firnins Seite und vergrub seine Finger in ihrer Mähne. Die Albträume hörten auch nicht auf, wenn er wach war. Gerade konnte er wieder das Brennen im Nacken spüren, wie am Tag in der Schlacht. Wenn er Daughn nicht eine Geschichte vorlas und wenn er selbst noch Energie übrig hatte, dann vertiefte er sich in seinen persönlichen Büchern, versuchte neue Zauber zu perfektionieren und in ihnen etwas mehr Sicherheit zu finden. Eines Tages würde er Daughn ebenfalls ein paar Dinge über die Magie beibringen müssen. Aber er wollte sie so lange wie möglich davon verschonen.
Trigon hob Daughn in den Sattel hoch und setzte sich hinter sie. Er signalisierte Firnin, dass sie in gemütlichem Schritt losgehen durfte. Daughn liess sich von ihm nicht unterbrechen. Sie berichtete Jeanne nun, wie ihr Yarin im Herbst von den Centhen erzählt hatte und fragte, ob Jeanne welche kannte. Jeanne erzählte ihr im Gegenzug von ihren Jahren in Thanien. Wie ihre Mutter damals einen Elfen kennengelernt und geheiratet hatte. Wie sie mit ihm und Jeanne beim Erlpass die Saren überquert und Darkeen verlassen hatte. In Thaniens Hauptstadt eine neue, zweite Familie gefunden und tatsächlich auch die eine oder andere Centhe kennengelernt hatte. Jeannes Mutter lebte noch immer in Thanien. Ankidria hatte im Herbst vorgeschlagen, sie besuchen zu gehen. Die Last für eine Weile zurückzulassen. Er hatte auch ihr ein Versprechen gegeben. Eines mehr, das er nicht hatte halten können.
Am Dorfplatz horchte Trigon auf. Daughn schien seine Bewegung bemerkt zu haben, denn sie verstummte und drückte sich auf einmal nahe an ihn. Jeanne schaute sie beide an, schaute dann die Hauptstrasse hinunter und fasste an den Knauf ihres Schwertes. Ihnen kam ein einzelnes Pferd mit einem Reiter entgegen, vier Soldaten zu Fuss folgten. Das Pferd war schwarz wie Firnin, ihm fehlten aber die weissen Stiefel. Stattdessen rann dunkler Schleim von seinen Beinen und Hufen hinunter und liess klebrige Spuren auf dem Weg zurück. Sein Schweif und seine Mähne bewegten sich, obwohl kein Wind ging, wirkten fast wie Rauch. Seine Beine wirkten zu lang und dünn, wie Nadeln, machten es aber perfekt für seinen Reiter, der ebenfalls so wirkte.
Der Reiter versuchte nicht zu verstecken, dass er ein hoher Dämon war. Er war edel angezogen. Edel und vom kühlen Wetter ungestört. Er hatte sein schwarzes Haar nach hinten gekämmt und seine langen Ohren hielten es zusätzlich zurück, so dass alle seine starren, gelben Augen und das vernarbte Gesicht sehen konnten. Er hielt eine lange Nadel im Mund, an deren Spitze blaues Feuer tanzte. Für einen Moment verstand Trigon nicht. Verstand nicht, wieso diese Gestalt ihn so fesselte. Dann aber sprach die Drak:
„Ach, welch unerwartete und amüsante Wendung. Der Magier, der sich dem Willen einer Gottheit widersetzen wollte. Da seh ich ihn, obwohl ich nicht im Reich der Toten und verlorenen Seelen weile.“
Eis breitete sich auf Trigons aus, als er erkannte, dass diese Drak mit im Thronsaal gestanden hatte. Dass diese abscheuliche Kreatur in der Nacht auf Lichtrains Feldern erschienen war. Dass ihre blauen Flammen die Scheune in Brand gesetzt hatten. Die Dämonen waren tatsächlich zurückgekehrt und wieder war er starr.
„Was wollt Ihr hier, Dämon?“, rief Jeanne.
Daughn in seinem Arm atmete schwer und laut.
Die Drak lachte und trief ihr von Schemen gequältes Pferd vorwärts. Schaute sie alle ganz genau an, wie ein Biest vor dem Beutezug.
„Wie unhöflich. Nennt mich Kylian Tezius. Ich hatte einige Dinge am Sirring zu erledigen und wollte mir auf meinem Weg zurück an diesem süssen Ort eine Pause gönnen. Es erschien mir … nostalgisch.“
„H-Hallo Kylian! Ich heisse Daughn und –“
Trigon hatte seine Hand an Daughns Gesicht und drückte sie näher an sich, ehe ihm die Bewegung bewusst wurde. Sie quietschte, der Dämon aber lachte und blies glühenden Rauch aus, nachdem er an der brennenden Nadel gezogen hatte. Trigon fiel auf, dass die Soldaten hinter ihm – teils menschlich, teils dämonisch – ihre Waffen bereit hielten. Auch Jeannes Finger klebten weiterhin am Knauf ihres Schwerts.
„Aber, aber“, sprach Tezius und zeigte seine spitzen Zähne, als er gespannt lächelte. „Habt keine Angst, mir ist nicht nach einem Konflikt. Nicht jetzt. Ich habe viel Energie verbraucht bei meiner Arbeit am Sirring und hatte noch kein Mittagessen.“
„G-Geht … jetzt“, verlangte Trigon, doch es klang nicht wie eine Anweisung.
Tezius liess die Nadel verschwinden und hob die Hand zum Signal an seine Soldaten.
„Was wohl der Heerführer sagen wird, wenn er erfährt, dass der Magier noch lebt? Wenn er erfährt, dass er ein Kindlein bei sich hat, das ihm so gleicht? Mehr noch als die anderen drei es taten?“