Lichtrain lag eine halbe Tagesreise mit dem Pferd von Liskia entfernt. Eine einzige Hauptstrasse schlängelte sich durch das Lichttal, der blauen, kühlen Lis entlang, an mehreren Orten und vielen grossen Feldern vorbei, bis zu dem kleinen Ort, an dem Trigon lebte.
Eigentlich hatte er bereits gegen Mittag dort ankommen wollen. Ein Ding hatte aber zum nächsten geführt in Liskia. Erst hatte und hatte er seinen Bericht nicht guten Gewissens beenden und abgeben können. Er hatte keine falschen Vermutungen anstellen wollen und war darum erst für weitere Recherchen im Tempel und in der Bibliothek gewesen. Dann hatten sich durch diesen Bericht eine spontane, kleine Sitzung ergeben. Zuletzt hatte Trigon noch mindestens eine Stunde damit verschwendet, seine Base zu suchen. In seiner Kammer hatte er nämlich eine Bestätigung für seine angebliche Anmeldung zum grossen Turnier an den Frühlingsspielen finden müssen. Ihm war klar, dass Jeanne dafür verantwortlich war, aber dass sie bereits mit einem neuen Auftrag Liskia verlassen hatte, erfuhr er erst, als er die halbe Stadt durchquert und zufällig noch einmal den Oberbefehlshaber getroffen hatte. Nun endlich war Trigon beinahe in Lichtrain und es war wieder bereits Abend.
Sein Pferd gab ein leises Schnauben von sich, als eine Libelle vor seinen Nüstern einen grossen Bogen zog und dann eilig zurück zum Uferbeet schwirrte. Trigon sah ihr nach. Es hiess, Libellen seien ein Symbol der allmächtigen Gäa, der ersten Göttin und Urmutter alles Seins und gezielten Schaffens. Ein gutes Zeichen. Trigon beugte sich vor und kraulte seine Rappenstute kurz hinter den Ohren. Sie war ein Geschenk zu seiner Rittertaufe gewesen. Ihrer weissen Stiefel wegen hatte Trigon sie Firnin genannt. Firnin wie das ruilike Wort für Schnee. Gerade war ihnen der Schnee noch fern und das Wetter friedlich. Erste rote und gelbe Blätter kündeten aber die baldigen Stürme des Herbsts an.
Obwohl Lichtrain nicht gross war und Trigon zu der Adelsfamilie gehörte, die das meiste Land in der näheren Gegend verwaltete, kannte er nur wenige Leute im Dorf gut. Er hatte nicht unbedingt das Bedürfnis, das zu ändern. Trotzdem kam er sich oft etwas komisch vor, wenn er durch die Strassen ritt und alle ihn genau kannten, während er nur knapp grüssen und höflich lächeln konnte. Sie lächelten alle zurück, aber was sagten sie wohl über ihn, sobald er ausser Hörweite war?
Auch die eigenen Angestellten grüsste Trigon, diese aber beim Namen, als er den Hof seiner Familie am Ende des Dorfes erreichte. Das Stallmädchen nahm ihm Firnin ab und der Hausjunge das Gepäck, nur seine Umhängetasche behielt Trigon bei sich. Er lief direkt über den Platz und ins Gutshaus. Als er die Tür öffnete, begrüsste ihn leiser Gesang und liess Trigon sich gleich so viel leichter fühlen. Ankidria sass im Wohnzimmer am Fenster und hatte verschiedenes herbstliches Material auf dem Tisch ausgebreitet. Blätter hauptsächlich, aber auch Nüsse und kleine Glöcklein. Als Trigon sich näherte, unterbrach sie ihren Gesang und legte die Sachen beiseite.
„Entschuldige die Verspätung. Ich hoffe … ich habe nicht zu viel verpasst“, sagte Trigon und ging neben ihr auf die Knie.
Ankidria drehte sich zu ihm um und war so schön wie jedes Mal, wenn Trigon sie nach einer längeren Trennung wieder vor sich hatte. Sie trug ihr goldenes Haar heute offen. Lediglich zwei Strähnen waren zu Zöpfen verflochten und hinten mit der Schnalle zusammengehalten, die Trigon ihr zu ihrem fünften Jahrestag geschenkt hatte. Ihr Gesicht war sanft und ihr Bauch noch etwas grösser als beim letzten Mal.
„Ach, Trigon“, sagte sie und küsste zart seine Stirn. „Es gibt nichts zu entschuldigen. Ich weiss doch, dass Liskia dich immer gern etwas länger dabehält.“
Trigon hauchte einen Kuss auf ihren Bauch, ehe er sich erhob und Ankidria umarmte. Sie war warm und roch nach Zuhause. Er hätte für immer so verbleiben können.
Es war dann Ankidria, die ihn fein und doch bestimmt von sich schob. Trigon setzte sich ihr gegenüber und musterte sie innig.
„Wo sind die Kinder? Sie sind doch sonst nicht so leise.“
Ankidria gluckste und bat eine Angestellte darum, ihnen beiden ein frisches Getränk zu bringen. Trigon stellte fest, dass er in der Tat durstig war und auch die Reisekleidung langsam überall zu zwicken begann.
„Rian und Jan sind mit Ver auf den Feldern und die Kleinen suchen mit Hanna nach Fröschen im Teich. Und verpasst hast du also nicht viel, mein Lieber. Nur das Übliche, aber das kann ich dir gut auch noch später erzählen.“
Trigon nickte und schaute kurz auf den Tisch hinunter. Liess alle Verantwortung für einige Momente fallen, denn hier in Lichtrain hatte er Ankidria als Stütze.
„Wird das ein Kranz?“
„Jo, für das Erntefest. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich es haben will. Also den Schmuck auf dem Platz und den Köpfen der Gäste. Aber der Ablauf, die Musik und die Tänze sind bereits geplant.“
Sie setzte sich den angefangenen Kranz auf den Kopf und Trigon war an ihren Hochzeitstag erinnert. Damals hatte Ankidria einen Blumenkranz im Haar gehabt und er hatte kaum den Blick von ihr abwenden können, obwohl er sonst ungerne Leuten ins Gesicht schaute.
„Ich werde Alexander noch einmal daran erinnern, dass er mich an diesem Tag von meiner Pflicht verschont. Ich kann es a-aber … Leider weiss ich nicht, ob es möglich sein wird. Er ist sehr beschäftigt zur Zeit“, erzählte er und sein Lächeln zerfiel.
„Der König?“, hakte Ankidria nach und auch sie lächelte nicht mehr.
„N-Nicht nur“, murmelte Trigon und eigentlich wollte er Ankidria von den wilden Schemen erzählen. Bestimmt hatte sie zumindest schon die Sache mit dem Kornfeld vernommen. Aber eigentlich wollte Trigon diese schlechten Dinge mit der Arbeit in der Stadt zurücklassen und an schönere Dinge denken. Er hätte Ankidria nie anlügen können, aber er wollte sie auch nicht mit seinen ständigen Sorgen stören.
„Jeanne hat –! Die Frühlingsspiele sollen diesmal n-noch beeindruckender werden. Ganz Liskia spricht schon davon. Ich habe Jeanne gesagt, dass i-ich nicht viel davon halte, a-aber … Sie hielt es für eine g-gute Idee, mich für ein grosses Waffenturnier anzumelden.“
Bisher hatte Trigon die Frühlingsspiele geschätzt. Die Stadt war an jenen Tagen zwar sehr voll, aber die Leute trafen sich in gemeinsamer Freude und das war schön. Trigon mochte die Frühlingsspiele, denn während dieser Tage gehörten die Plätze und das Übungsgelände der Kaserne nicht mehr nur den Handelsleuten und Soldaten, sondern auch dem Kunstgewerbe und den Familien. Es gab immer etwas zu sehen und lernen. Besonders für die Kinder waren die Spiele ein grosses Ereignis und diesmal hätte er auch die jüngeren mitgenommen.
„Das sieht ihr ähnlich“, schnaufte Ankidria und bedankte sich für den Saft und die Kekse, die ihnen an den Tisch gebracht wurden. „Und du fühlst dich nun dazu verpflichtet, oder?“
Trigon kniff die Lippen zusammen und überlegte. Natürlich war es eine Verpflichtung und es würde die Leute bestimmt auch freuen. Solche Turniere waren nicht nur zum Spass da, sie bewiesen auch das Können der Soldaten und schenkten dem Volk Zuversicht.
„Natürlich ist es eine Ehre, als Ritter dem He-Heer und Land dienen zu können, a-aber … Ich will den Leuten als Magier bekannt sein. A-A-Als … nicht als Krieger. Ist das falsch?“
Ankidria schwieg und schloss die Augen. Sie hatte bestimmt bereits eine schlaue Antwort. Aber sie wollte auch ihm die Zeit lassen, über seine Aussage zu reflektieren … Nein, Trigon wollte tatsächlich nicht antreten. Und ausser seiner Base hatte ihn auch niemand bisher direkt damit konfrontiert. Es gab genug Freiwillige. Jeanne meinte so etwas nicht böse. Trigon wollte aber keine Herausforderungen. War das falsch?