Ankidria hielt vor dem Stall und deutete zu einem offenen Fenster. Trigon ging näher und nun konnte er hören, worauf sie bereits aufmerksam geworden war. Aus dem Stall ertönte ein leises Kichern. Trigon hatte das Fenster gerade erreicht, als ein hohes Kreischen die Luft zerriss und noch mehr Gekicher folgte, diesmal ungehemmt und laut. Zu dem Gekicher kam ein lautes Schnaufen. Im Stroh vergraben lag die kleine Ailée und schüttelte sich amüsiert. Neben ihr stand Daughn und schien das gar nicht lustig zu finden.
„Was macht ihr zwei denn da?“, fragte Trigon seine beiden jüngeren Töchter.
Sofort schauten die zwei zu ihm hoch. Ailée kreischte noch einmal, dann sprang sie auf und streckte ihre Arme nach ihm aus. Daughn blinzelte beinahe verwirrt, aber dann trat auch sie ans Fenster und griff nach Trigons Arm, als er Ailée hochzog und aufs Fensterbrett setzte.
„Vati! Hallo Vati! Wir spielen Versteckis, ich habe mich versteckt, Vati!“, gluckste Ailée.
„Hallo Vater, willkommen zurück! Und hm, nein? Ailée hat sich nicht versteckt. Weisst du? Sie hat es versucht. Aber sie ist richtig schlecht“, kommentierte Daughn.
„Näin! Vati, sie lügt! Sie hat lange gebraucht!“, verteidigte Ailée sich laut.
Daughn schüttelte den Kopf mit den beiden Zöpfchen und schaute ernst und beleidigt zu ihnen hoch. Sie schien mit den richtigen Worten zu ringen, denn für einige Sekunden kniff sie die Lippen zusammen und bewegte sie lautlos, während ihre kleinen Nägel sich in Trigons Arm bohrten.
„… ich habe nur lange gebraucht, weil ich überall gesucht habe! Ailée versteckt sich immer am gleichen Ort, aber so funktioniert Versteckis nicht! Wenn sie immer am gleichen Ort ist, dann ist das gar nicht lustig!“, stiess sie letztendlich hervor.
„Doooch!“, behauptete Ailée.
„Scht, scht“, ermahnte Trigon und drückte beiden erstmal einen Kuss auf die Stirn. „Das können wir doch sicher auch klären, ohne zu schreien. Ihr erschreckt sonst die Pferde.“
„Entschuldigung, Vater. Ich komme jetzt raus“, brummelte Daughn und eilte zur Stalltür. Ankidria wartete dort schon auf sie. Trigon half unterdessen seiner jüngsten Tochter vom Fensterbrett herunter.
„Solltet ihr beiden nicht schon im Bett sein?“, fragte Ankidria und sofort war die Streiterei um das Versteckspiel vergessen. Daughn seufzte übertrieben stark und Ailée versteckte sich hinter Trigons Bein, als würde sie der Frage so ausweichen können.
„Wir wollten nur kurz spielen“, erklärte Daughn.
„Jo und Hanna habt ihr unterdessen alleine beim Teich gelassen, oder wie soll ich mir das vorstellen?“, merkte Ankidria an.
Daughn schaukelte von einem Fuss auf den anderen, als sie erklärte: „Ich hm … Wir haben ihr gesagt, dass wir nur noch kurz den anderen von dem Frosch erzählen, aber das war nicht mehr am Teich!“
„Frosch! Ein grosser Frosch, Vati! Mutti, quak-quak!“, rief Ailée dazwischen.
„Versteckis spielen ist aber nicht das Gleiche wie kurz jemandem etwas erzählen, Daughn. Du musst immer die Wahrheit sagen und eigentlich hätte euch Hanna auch schon ins Bett bringen müssen“, tadelte Ankidria nicht böse, aber durchaus angebracht streng.
„Eure Mutter hat recht. Hanna wird euch jetzt ins Bett bringen“, wiederholte Trigon.
Ailée fühlte sich nicht gross angesprochen, aber Daughn gefiel das alles ganz und gar nicht. Ihr Gesicht war auf einmal beinahe so rot wie der Stoff ihres Lieblingskleides.
„Ich will nicht, dass Hanna mich ins Bett bringt! Ich will von Vater ins Bett gebracht werden! Ich bin schon sechs! Jan und Rian dürfen immer lang wach sein und ich muss mit Ailée ins Bett, aber sie ist viel jünger!“
Ankidria seufzte und ging vor ihr in die Knie, um ihr das alles nochmal zu erklären.
„Ich bin fünf!“, hauchte Ailée verstohlen.
„Schatz. Du bist drei“, korrigierte Trigon.
Ailée dachte angestrengt nach.
„Drei und wie noch?“
„Drei und fünf Monate. Noch drei mehr und du bist vier Jahre alt.“
„… also fünf!“, rief sie und lachte so übertrieben, dass auch Trigon etwas lachen musste.
„Vater! Bringst du mich ins Bett? Bitte?“
Daughn stand auf einmal vor ihm. Trigon konnte trotz ihrer kleinen Lüge der Zofe gegenüber nicht nein sagen. Sie schaute doch so traurig und Ailée machte es ihr gleich nach.
„Na kommt, ihr beiden“, bot Trigon an und hielt seine Hände hin. Er schaute noch vergewissernd zu Ankidria, die kritisch wirkte, dann aber nickte.
„Aber danach will ich keinen Ton mehr hören von euch!“, sagte Ankidria.
„Nein, Mutter“, versprach Daughn.
„Näin, Mutti“, wiederholte Ailée.
Trigon führte beide ins Haus und zu dem Zimmer, das die Mädchen sich teilten. Hanna war gerade nicht da, aber die Betten waren bereit. Eine einzelne Kerze stand auf einem Tisch zusammen mit zwei Gläsern Wasser. Daughn eilte sofort zu ihrem Bett und zog die Schuhe aus. Sie stellte sie äusserst exakt hin, hatte aber Schwierigkeiten, aus ihrer Kleidung zu kommen. Trigon wollte ihr helfen, doch sie schüttelte den Kopf. Also steckte Trigon erst die kleine Ailée in ihr Nachtkleid und wischte ihr einen letzten Strohhalm aus dem Haar. Als er sich wieder umdrehte, hatte es Daughn tatsächlich alleine in ihr Nachtkleid geschafft.
„Das ging aber schnell“, stellte Trigon fest.
„Am Abend geht es immer schnell. Nur am Morgen nicht“, belehrte sie ihn.
„Jetzt müsst ihr euch aber noch die Zähne putzen und Gesichter waschen“, erinnerte Trigon.
Die Mädchen zogen Grimassen, liefen aber ohne Widerspruch ins Bad. Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrten sie zurück. Trigon winkte sie zu sich und liess sich von ihnen die Zähne zeigen und einmal ins Gesicht hauchen. Zumindest riechen taten sie beide nach der Kräuterpaste und Ailée hatte einen grossen Fleck auf ihrem Hemd. Also wollte er ihnen glauben. Sie waren brave Mädchen und noch nicht so alt wie die Zwillinge, die oft versuchten, nur mit einem kurzen Gurgeln der Prozedur zu entkommen.
„Sehr gut. Dann unter die Decken mit euch.“
Inzwischen war es gänzlich dunkel. Die Kerze flackerte und knisterte, während Daughn und Ailée mehr oder weniger zügig in ihre Betten stiegen.
„Darf ich die Zöpfchen behalten, Vater?“, bat Daughn.
„Solange du dir dein Haar am Morgen bürsten lässt, von mir aus“, erlaubte Trigon.
„Zöpfchen? Darf ich auch, Vati?“, quietschte Ailée.
„Auch morgen dann, Schatz. Jetzt ist Zeit zu schlafen.“
„Gibt es keine Geschichte mehr? Bitte Vater! Über Magier!“, kam wieder von Daughn.
Trigon seufzte, setzte sich dann aber auf einen Schemel zwischen die Betten und begann zu erzählen, von fröhlichen Dingen ohne Schemen.