Ankidria berührte zärtlich sein Gesicht. Trigon seufzte und schmiegte sich an sie.
„Du müsstest das eigentlich nicht. Alleine nach Liskia gehen“, sagte sie leise.
„Ankidria … Ich würde euch gerne bei mir haben, doch … es ist sicherer, wenn ihr bleibt. Aurena wurde stark getroffen. Wenn der Feind das für Liskia a-auch …! Es ist hier vorerst sicherer für euch.“
„Ich weiss. Aber mir ist wirklich nicht wohl mit dem Gedanken, dich alleine in Gefahr vermuten zu müssen“, murmelte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Schulter.
„Ich bin doch nicht alleine“, entgegnete Trigon. „Die Königin will uns in der Nähe haben. Ich habe auch noch viele Stunden Studien vor mir … Glaub mir, der grösste Teil meiner Arbeit wird darin bestehen, zu lesen und a-ab und zu eine Patrouille zu machen. Es würde euch nur langweilen.“
Er versuchte zu lächeln und sie erwiderte es mit einem Nicken.
„Das wirst du wohl. Komm nur bald wieder zurück. Du musst dabei sein, wenn unser Kleines uns begrüsst.“
„Ich werde auf mich aufpassen, versprochen.“
Noch einmal atmete er ihren Geruch ein, strich über ihren runden Bauch. Er strich auch über die silberne Kette an ihrem Hals. Das nach oben zeigende Dreieck mit den Steinen in den Ecken war ein Symbol, das die Hingabe zu den Göttern zeigte. Der Stein in der Mitte stellte die Verbundenheit zu der allmächtigen Gäa dar, ihren Segen. Die Steine in Ankidrias Kette waren Saphire. Das Zeichen einer liebenden Mutter.
Nur sehr langsam konnte sich Trigon von seiner Ehefrau lösen und anziehen. Es würde dauern, bis er und Jeanne Liskia erreichten und er durfte nicht zu spät sein. Dennoch hing sein Blick weiter an ihr. Seine wunderbare Ankidria. Er wollte sie und die Kinder nicht alleine lassen. Aber es war es besser so. Es waren die Leute in Liskia, um die sie sich sorgen mussten, nicht die eines harmlosen Dorfes wie Lichtrain. Und dennoch hörte man schon seit Tagen von Menschen, die von den Grenzen fort und in die Städte flohen.
Er war kaum zur Tür heraus, da rannte ihm schon Rian entgegen. Sie schlang ihre Arme um seinen Bauch und vergrub ihr Gesicht in seiner Kleidung.
„Vater, bitte! Du kannst nicht gehen! Was ist, wenn die Dämonen herkommen und du nicht da bist?! Was ist, wenn dir in Liskia ernsthaft etwas passiert!?“
„Scht, scht …“
Trigon ging vor seiner ältesten Tochter in die Knie. Er strich ihr die Tränen vom Gesicht, küsste ihre Stirn und strich ihr Haar hinter die Ohren.
„Aber Rian, jetzt weine doch nicht. Du bist schon so ein grosses Mädchen. Es steht noch gar nicht fest, d-dass sie zu uns kommen und bald erst recht nicht. Wir haben den Sirring an unserer Seite. Ira van Niderborgen wird beispielsweise auch am Hof sein und uns helfen. Erinnerst du dich noch an sie? Du hast sie gesehen, als du mit mir in der Stadt warst. Auch die Harpyienkönigin und andere magische Familien haben uns ihre Unterstützung zugesprochen.“
„Und während Vater alle nach Tarvea jagt, beschütze ich euch hier!“, rief Jan.
Er war auf den Wohnzimmertisch geklettert und posierte darauf herum, das Holzschwert in einer, den neu dazu gekommenen Schild in der anderen Hand. Trigon schaute ihn besorgt an, doch Rian musste tatsächlich kurz auflachen.
„Jo, sicher doch. So wie du uns im Sommer vor den Gänsen beschützt hast, oder wie?“
„He … Das gilt nicht. Die Gänse waren in der Überzahl!“
„Die Gänse wollten ihre Eier beschützen“, merkte Daughn an, die am selben Tisch sass und in einem Buch das Lesen übte.
Trigon trat zu den beiden und musterte seinen Sohn. Er war schon so gross. Wie schnell die Zeit vergehen konnte. Sie waren doch erst noch alle so klein gewesen.
„Na komm, runter mit dir, Jan. Du weisst, dass deine Mutter nicht mag, wenn du auf dem Mobiliar herumkletterst. Du willst ihr doch nicht Ärger bereiten?“
„Nein, Vater.“
Jan sprang vom Tisch. Auch er umarmte ihn kurz und Trigon entwich ein Ächzen, als die harten Kanten von Schwert und Schild gegen seinen Rücken drückten. Jan war stark geworden in den letzten Jahren.
„Pass einfach gut auf. Und bring mir etwas mit, jo? Einen Ritterhelm!“
„Ich werde schauen, ob ich etwas finde. Vielleicht nicht gleich einen Helm, aber … vielleicht eine kleine Fanfare? Wie fändest du das?“
„Ja-ah! Das klingt perfekt!“, stimmte Jan grinsend zu.
„Näi, tut es nicht. Meine Ohren tun schon nur weh, wenn ich daran denke“, schnaufte Rian.
„Halt doch den Mund, du Ente.“
„Halt du den Mund!“
„Ach, Kinder …“, seufzte Trigon, wandte sich aber erst einmal seiner Jüngeren am Tisch zu.
„Daughn, was liest du da Schönes?“
Sie blickte auf und hielt ihm den Buchrücken entgegen.
„Märchen. Aber es ist nicht einfach. Ich finde das traurig, dass Yarin nach Hause ist. Er hat mir beim Lesen geholfen.“
„Oh hm … Sicher liest dir nun Jan ab und zu etwas vor und dann lernst du das bald. Wäre das nicht etwas für dich, Jan?“
„Hä?“, machte der Junge und sah ihn verwundert an. Er war so in seine Streiterei mit Rian verwickelt gewesen, dass er nicht mitgehört hatte.
„Lies Daughn und auch Ailée ab und zu etwas vor, solange ich weg bin.“
Er wirkte nicht begeistert, verwarf aber entwaffnend die Hände.
„Na von mir aus. Dann mach ich das.“
„Das habe ich gehört, Jan“, bemerkte Ankidria.
Sie kam gerade zur Tür herein, Ailée an ihrer Seite.
„Ach verflucht“, brummte Jan.
„Nicht fluchen, Jan. Du darfst nicht fluchen!“, japste Ailée bestürzt.
„Sei nicht förig. Ich fluche doch gar nicht.“
„Doooch! Er flucht, Mami! Vati, er flucht!“
Jan verdrehte die Augen und sagte nichts mehr.
Trigon trat zu der Kleinen und hob sie hoch. Er zupfte die Haube zurecht, die ihr dunkles, welliges Haar zurückhielt und trotzdem nicht davor schützte, schon wieder zerzaust zu sein. Sein Haar war auch so gewesen, als er ganz klein gewesen war. Erst später war es glatter geworden. Das Grau fehlte bei ihr jedoch. Trigon legte Ailée sanft einen Finger auf den Mund, als sie ein weiteres Mal verkünden wollte, was sie Furchtbares gehört hatte.
„Scht … Ist schon gut. Das ist jetzt gerade nicht so schlimm. Jan wird es nicht noch einmal tun. Schenkst du mir einen Abschiedskuss, bevor ich gehe?“
Sie nickte und drückte ihm auch gleich einen feuchten Schmatzer auf die Wange.
„Ja, Vati. Tschüss, Vati.“
Er setzte sie ab und Ailée winkte noch einmal. Sie verschwand zwischen den Stühlen und unter dem Tisch, wo sie wohl Daughns Hausschuhe stehlen und ihr in die Zehen beissen wollte. Schlucker spielen nannte sie ihr neues Lieblingsspiel, seit Ver mit ihr und den anderen im Spätherbst eine Schneckenfarm besucht hatte. Daughn machte ein gar nicht begeistertes Gesicht und zog die Füsse hoch auf den Stuhl.
„Ailée, nicht! Näin! Lass das!“
Von unten ertönte ein finsteres Kichern. Ankidria legte eine Hand auf Trigons Schulter. Gemeinsam sahen sie dem bunten Treiben zu. Erst, als einer ihrer Bediensteten mit einem Räuspern am Türrahmen stehen blieb, wandten sie sich ab.
„Herr Slander, das Gepäck und die Pferde stehen bereit und Eure Base wartet.“
„Dann bleibt mir wohl keine andere Wahl mehr“, murmelte Trigon.
Er umarmte seine Liebste noch einmal und küsste sie. Auch alle seine Kinder wurden erneut gedrückt und verabschiedet, ehe er dem Bediensteten folgte. An der Tür kehrte er sich um und nickte ihnen zu.
„Bis bald. Ich liebe euch.“
„Reise gut, Trigon“, wünschte Ankidria.
„Mach alle Bösen fertig!“, rief Rian.
„Ja-ha! Mach sie kaputt!“, ergänzte Jan.
„Tschüssi!“, kam von Ailée.
„Bis bald wieder“, sagte Daughn.
Trigon schloss die Tür und atmete tief durch. Er konnte Jeanne zusammen mit Ver am Eingangstor sehen und ging zu ihnen, sobald Firnin an ihn übergeben wurde.
„Alter Mann meiner Schwester … pass auf dich auf und lass dir nicht die Erdbeeren verregnen da drüben“, sagte Ver und klopfte ihm hart auf die Schulter.
„Pf, langsam glaub ich echt, dass du dir deine Früchte nicht aus weiser Erinnerung, sondern frisch direkt aus dem Arsche ziehst“, feixte Jeanne, ehe Trigon Antwort geben konnte.
„… pass du nur wie abgesprochen auf dich und den Hof auf, Ver“, ergänzte er lediglich etwas müde. „Ich schicke einen Botenvogel, w-wenn sich etwas ändern sollte.“
Jeanne schwang sich auf ihren Falben und ritt bereits los, weswegen Trigon sich beeilen musste, um nicht den Anschluss zu verlieren. Ver winkte knapp, dann schloss er das Tor.