„Du hast mich in vielen Hinsichten gedemütigt, Leather! Aber stelle nicht meine Absichten in Frage!“, zischte Ira und auf einmal war ein Feuer in ihr. Genauso wie die vorherige Kälte sprang es auf Less über. Dieses grässliche Feuer, das schon so lange immer wieder von innen an seinen Gedärmen frass.
„Ich bin der hauptsächliche Grund, weswegen der Heerführer noch nicht mitten vor dir steht und eure geliebte Burg verschlungen hat! Ich stärke eure Schutzzauber, obwohl ich mich zurücklehnen und zuschauen könnte, während ihr eure kurzen, sterblichen Leben aushaucht!“
„D-Dann … dann solltest du jetzt gehen und dich auch t-tatsächlich um diese Schutzzauber kümmern“, ächzte Less und das Feuer brachte seinen Körper zum Beben. Er konnte weder fliehen noch kämpfen, nicht wenn sie da war.
Ira fing sich bereits wieder und fand zu ihrer kühlen Maske zurück.
„Ist es nicht ironisch? Ihr zittert alle vor einem dunklen Gott, aber euer grösster Schutz gegen ihn ist eine dunkle Hexe und ihr eigener noch viel düsterer Gott, von dessen Anwesenheit die meisten nicht einmal Kenntnis nehmen können.“
Less sagte nichts, starrte auf den Rhodonit, Zeichen der Liebesgöttin.
„Du wirst von diesem Schutz natürlich nichts merken, mein Lieber. Geh also, bereite dich auf die kommende Schlacht vor und finde dich damit ab zu sterben. Wir werden uns das nächste Mal an deinem Grab treffen. Ich werde es mit Efeu bepflanzen und alle kleinen Schemen darauf tanzen lassen, bis jeder Funke deiner Seele, jede Erinnerung und jedes Andenken an dich verschwunden ist.“
Eigentlich war Less beinahe über sie hinweg. So hatte er zumindest gedacht. Aber jedes Wort schmerzte. Less ballte seine Fäuste, krampfte alles zusammen, aber er schaffte nicht, sich gegen sie zu wehren. Nur seine Ohren zuckten so verräterisch und sein Koboldschweif wischte über die matschigen Reste des Schnees auf dem Weg. Ihre Hand streifte seine Wange, so zart und schön, und schien die Boshaftigkeit ihrer Worte und den Schmerz der Ohrfeige fast wett zu machen. Less hasste sich dafür, dass er vor ihr auf die Knie gehen und um ihre Gnade betteln wollte. Er hasste sich dafür, dass er ihr nicht gehorchen, nicht genug sein konnte.
„W-Wenn das –! Sollte d-das hier mein letzter Tag sein, Ira … dann nimm b-bitte diesen Fluch von mir. Es ist vorbei. Was bringt es dir noch?“
Sie schien es tatsächlich in Erwägung zu ziehen. Lehnte sich so weit vor, dass ihre Gesichter sich beinahe berührten. Ihre Augen glühten und Less brannte. Wie konnte Feuer so kalt sein?
„Es wird niemals vorbei sein, Less. Nicht für dich. Nicht nachdem, was du mir angetan hast. Bete für Yarrs Gnade und darauf, dass dein Tod und der all deiner ach so lieben Freunde nicht ganz so qualvoll und langsam sein wird.“
Ira drehte sich um und ging. Sie schaute kein einziges Mal zurück. Less aber konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden.
Zwei, drei oder vielleicht auch nur eine Stunde später war es so weit. Sie hatten schon seit Gundras Fall Vorbereitungen für einen Ernstfall getroffen, aber Vorbereitungen waren keine Garantie. Vielleicht würden weniger sterben, wenn die Königin sich ergeben und die Tore der Stadt weit und mit hellen Fahnen öffnen würde. Vielleicht würden die gierigen Schemen des Heerführers dann nur einige verschlingen. Aber Less konnte der Königin und den anderen Oberen nicht einmal übel nehmen, dass sie stattdessen ihr kleines Heer in den Kampf schickten. Hätte er sich an ihrer Stelle ergeben? Hätte er sterben wollen? Wenn er der Situation nicht entwischen konnte, musste er kämpfen. Ira würde diesmal nicht recht behalten.
Ob Alexander ihn beim Torbogen bemerkt hatte, war unklar. Doch er hatte Less mitten im sogenannten Schlachtfutter positioniert. Er trug zwar eine aufwändige Plattenrüstung wie die anderen Ritter, aber er besass weder ein Reittier noch einen Helm. Er würde irgendwann einen kriegen, unter den auch seine neuen, grossen Ohren passen würden, hatten sie gesagt. Man würde schon noch eine Lösung finden für den Fluch, hatten sie behauptet. Wann brauchten sie schon jemals mehr als die leichte Rüstungen, ausser zur Parade?
„Less! Less!!“
Erst als er seinen Namen hörte, konnte Less den Blick vom Südtor losreissen, durch das seine Truppe bald als erste schreiten durfte. Auch Poul war in voller Rüstung, in seinem Fall inklusive Helm, aber seine Stimme hätte er überall erkannt. Less war nicht noch einmal zu ihm zurück, nicht nach dem Gespräch mit Ira. Nun aber war er froh, ihn zu sehen. So froh wie man sein konnte, wenn eine Schlacht bevorstand.
Bald hatte Poul ihn erreicht. Er stoppte nicht, sondern breitete seine Arme aus. Less hingegen hob die Hände und legte sie Poul auf die Schulterplatten, schob ihn so auf Distanz.
„Du bist tatsächlich hier geblieben und hast mir nichts gesagt, du Mistsack!“, rief Poul, aber er klang nicht böse dabei, sondern ehrlich erleichtert.
„Ha. Ja. Hast mich wohl doch überzeugt, du Milchbubi“, antwortete Less mit einem sehr gequälten Lächeln. Poul bemerkte es natürlich nicht, stattdessen lachte er kurz.
„Ja, ich bin halt im Fall schon eine krasse Gurke.“
Less liess dies unkommentiert und selbst Poul wurde ernst.
„Ich … ich hab immer noch Angst, Less. Jetzt noch mehr als zuvor“, wisperte er letztendlich und schob sein Visier hoch.
„Du kriegst das hin, Poul“, versicherte Less ihm und durch die Rüstung hindurch konnte sein Schulterklopfen nur wenig aufbauend für Poul sein, aber Less tat die Bewegung gut. „Wenn nicht für dich selbst, dann für Rena. Und wer dir auch sonst wichtig sein mag.“
Poul lächelte und Less hatte immer behauptet, dass die Darken zu viel Mimik besassen, ihre hellen Augen nichts verbergen konnten. Aber gerade war es irgendwie schön, so viele Emotionen in Pouls Gesicht zu sehen. Vielleicht waren sie trotz allem noch Freunde.
„Ich würde gern an deiner Seite stehen, aber“, sagte Poul und reflexartig zog Less seine Hände fort, „Jeanne will mich mit einigen Neulingen am Ostturm haben.“
Less versuchte nichts Übles zu denken. Sie waren Freunde. Ira konnte sein Innern zum Brodeln bringen, aber sie wusste nichts über seine Beziehungen. Sie wusste gar nichts über ihn und die anderen, sie kannte nur jeden seiner Schritte, verfolgte ihn.
„H-Hasst Jeanne mich immer noch?“
„Trug und Unfug! Niemand hasst dich!“, sagte Poul sofort, aber auch er konnte nicht verleugnen, dass sie seit dem Herbst nichts mehr gemeinsam unternommen hatten. Less hatte ihm damals gesagt, er habe keine Lust mehr, Energie für eine selbsteingenommene und rechthaberische Person wie Jeanne aufzuwenden. Aber in Wahrheit war sie die gewesen, die den Kontakt abgebrochen hatte. Und Poul war natürlich auf ihrer Seite.
„Sag ihr … Ach, sag ihr gar nichts.“
Less senkte seine Arme und schloss für einen Moment die Augen. Poul nutzte das sofort aus, um ihn doch noch zu umarmen. In Less sträubte sich alles, aber es tat auch gut, so gut wie das ging in einer so kalten, engen Rüstung. Er erwiderte die Geste kurz, ehe er Poul wieder auf Distanz stiess. Ira war nicht hier. Ira hatte bessere Dinge zu tun, als ihn zu beobachten. Ira hatte keinen getötet.
„Bis später, Less. Lass dich nicht umbringen.“
„… pass auf dich auf, Poul“, hauchte Less, dann drehte er sich eilig um und schaute wieder das Tor an. Er wollte und konnte nicht weiter darüber nachdenken. Er musste nachher kämpfen, brennen und gewinnen, nicht fühlen. Nur Zorn konnte das Feuer stärken.