Die Lederschnauze fauchte etwas in ihre Richtung und trommelte mit den Krallen besetzten Zehen über den Steinboden.
„Los. Los! Nichtschen. Los!“
Einmal mehr wurde Less in eine andere Ecke der Kammer gezerrt. Diesmal versuchte er sich zu wehren, nach den Feinden zu treten. Ein heftiger Schlag ins Gesicht war alles, was er sich damit erbeuten konnte. Er wurde auf einen Schemel gesetzt und einer der Dämonen setzte sich ihm gegenüber. War es tatsächlich ein Dämon, oder war es ein Mensch? Er sah aus wie ein Mensch mit dem blonden Haar, den blauen Augen, den runden Ohren und der durchschnittlichen Körpergrösse. Die ebenfalls blauen, feinen Zeichnungen auf seinen gebräunten Armen aber waren Less fremd.
„Zeig mal her“, verlangte er im, trotz der scharf betonten R, sanftesten Westen, das Less je gehört hatte. Er griff nach Less’ verletzter Hand und schaute sie mit einer Mischung aus Argwohn und Verachtung an. Seine Finger waren unerwartet kühl. Beinahe etwas feucht.
„Ah, na. Das kann so keiner brauchen.“
Less musterte jede Aktion seines Gegenübers ganz genau. Wie er nach einem Tongefäss und einem Lappen griff, von dem ein scharfer Kräutergeruch ausging. Wie er ihm damit über die Hand, dann auch sein Ohr und die anderen offenen Verletzungen strich. Wie er die Hand zusätzlich mit einer Paste einschmierte, verband und dann ein letztes Mal seine Finger drauf legte. Wasser sammelte sich wie aus der Luft gezogen auf diesen Fingern, drang in den Verband ein und Less war, als würde es kurz magisch schimmern. Der Schmerz liess etwas nach.
„Ts, ts. Sei beim nächsten Mal vorsichtiger.“
Der Heiler reichte ihm einen Becher, dessen Inhalt ebenfalls streng roch. Streng, aber nicht nach Schweiss. Nicht nach Blut und Seuche. Less leerte das Getränk in einem Zug. Spürte auf einmal, wie sein ausgetrockneter Körper nach mehr verlangte. Seine Lippen waren kaum benetzt, nur noch durstiger. Der Heiler schaute Less’ Körper kritisch an, sein Blick blieb an seinen Füssen hängen.
„Kann man nicht mehr viel machen“, nuschelte er.
Less antwortete nichts. Er sammelte die wenige Spucke, die sein Mund als Reaktion auf das Getränk hatte bilden können. Als der Feind so verächtlich, so angewidert und mitleidig grinste, setzte er die Spucke ein. Das Grinsen wich sofort. Der Feind sprang auf. Mit einem Handwink hatte er die Spucke entfernt und dicke Wassertropfen bildeten sich zwischen seinen Fingern, schwebten drohend dazwischen. Sie hinterliessen eine scharfe Kerbe im Tisch, als sie an Less vorbei auf das Holz geschleudert wurden. Doch kein Heiler.
Für einen Moment konnte Less lächeln, aber sein Erfolg zerfiel bald. Bereits wurde er wieder von einem anderen Feind gepackt. Ihm wurde Blut abgenommen, dann wurden ihm seine Hose und sein Unterhemd wieder hingeworfen und gemeinsam mit den zwei Darken wurde er in den nächsten Gang geführt, vielleicht auch den vorherigen, vielleicht war es nur ein Traum.
Der Weg endete für sie in einem düsteren Zellenblock. Anders konnte Less das nicht nennen. Selbst mit dem goldroten Abendlicht, das wie Feuer durch die dünnen Fensterschlitze fiel, war die Stimmung düster. Die Eisenstangen zu beiden Seiten waren dick, die Schlösser an den Türen dicker. Ferne Erinnerungen drängten sich aus Less’ Unterbewusstsein hoch und seine Nackenhaare sträubten sich.
„Heim, heim. Heim, heim“, summte die Lederschnauze sehr zufrieden, als sie die erste Tür öffnete und Miller unsanft in die Zelle gestossen wurde.
Anna sträubte sich und winselte, als sie in die zweite Zelle gedrängt wurde.
Less fühlte sich vollkommen leer, als er ihnen gegenüber in einer dritten Zelle landete.
Irgendwann. Irgendwann waren die Feinde weg. Nur die Gefangenen blieben zurück. Less war ein Gefangener. Der Feind hatte ihn erwischt, aber er hatte ihn nicht getötet. Er lebte, aber was brachte ihm das? Er musste hier weg. Er musste verschwinden.
In Annas Zelle befand sich eine Frau. Sie kniete neben Anna und redete leise auf sie ein, strich ihr über das kurze Haar und die geröteten Schultern. Less merkte erst jetzt, dass sie nicht alleine waren.
„Ihr müsst die Darken sein. Man hat bereits über euch geredet. Ihr sprecht Mittländisch, genau? Ich beherrsche leider kein Wort Mittländisch, aber wir kriegen das schon hin“, erzählte sie und ihr Dialekt kündete von einem Ort, den Less hatte vergessen wollen. So vieles hatte er vergessen wollen. Nun aber war er ein Gefangener. Er konnte nicht weiter davon.
„Näi … Jo. Ja. E-Ein bisschen Westen kann ich“, murmelte Anna.
Less lehnte sich an die Gitterstäbe. Sie rauschten leise, machten ihn müde. Sein Körper pochte nicht mehr ganz so stark. Sein Kopf dröhnte etwas weniger. Hatte die Behandlung der Dämonen tatsächlich geholfen? Oder hatte er sich bereits mit seinem Schicksal abgefunden? Er durfte nicht stehen bleiben.
„Ich kann beide Sprachen“, informierte er die fremde Frau, die doch gar nicht wirklich fremd war. Seine Stimme rutschte so schnell und einfach zurück in die Muster, die sie als Kind gelernt hatte.
„Ha. Das höre ich. Und sehe ich auch“, sagte die Frau und musterte ihn aufmerksam. „Wie heisst du?“
Sie musterte ihn und Less starrte zurück. Ihre Haut war etwas dunkler als seine und ihr dickes, ungekämmtes Haar war es sowieso. Ihre Haut war von Verletzungen gekennzeichnet, die garantiert nicht alle von diesem Ort kamen, durchaus aber von der Heimat. Sie trug einen orangenen Jaspis am Hals. Ihre Nase und ihr Kinn waren markant. Ihre Augen waren braun, wie seine. Eins war etwas kleiner, auch ohne Verletzung zusammengekniffen, und der Schatten unter ihren Augen war tief. Sie war eine Gefangene, wie er. Trotzdem wirkte sie stolz, wirkte ungebrochen. Er durfte sich nicht noch mehr brechen lassen.
„Less. Less Err Leather“, antwortete er letztendlich.
Unerwartet rasch senkte die Frau ihren Blick.
„Hmja. Ich seh schon.“
Less verstand nicht. Aber er war zu erschöpft, da nachzufragen.
„Wie ist … Euer Name? Und w-wo sind wir hier?“, fragte Anna, die immer noch im Arm der Frau hing. Nur deswegen nicht neue Kratzer auf den eigenen Armen verursachte, weil die Frau ihre Hand hielt. Sie hatte so wenig noch gemein mit der Person auf dem Trainingsplatz, mit der Less so oft so anstrengende Diskussionen geführt hatte.
„Lisa. Mein Name ist Lisa Belle Clay“, entgegnete die Frau und lächelte bitter. „Es fällt mir schwer, euch Darken das sagen zu müssen, aber … Willkommen in Tefhel.“
Less rührte sich nicht und doch schossen die Erinnerungen wie ein Blitz durch ihn hindurch. Blieben innen an ihm kleben wie Schleim. Tefhel. Das raue Ödland … Cragvim. Die Vimmer hatten viele Geschichten über Tefhel zu erzählen gehabt. Alte Geschichten. Düstere Geschichten. Es war ein Käfig, von dem einen nur der Tod erlösen konnte.