„Ich sollte Rena zum Turnier einladen. Sie würde sicher gerne zuschauen und mich anfeuern“, überlegte Poul laut.
Less war versucht, ihm seinen Becher anzuwerfen, aber eigentlich war ihm selbst der kleinste Rest Vetseg zu kostbar dafür.
„Melde sie doch als Teilnehmerin an, wenn du sie so toll findest!“
„Und mit euch teilen? Niemals!“
„He, he! Was das angeht“, redete Jeanne dazwischen, „kommt mir gerade ein sehr lustiger Gedanke! Was wäre, so ganz theoretisch, wenn ich meinen lieben Vetter anmelden würde?“
„Aber ich bin im Fall doch schon angemeldet“, quakte Poul.
„Andere Seite! Ich habe Trigon gemeint! Im Fall!!“
„Pfs“, machte Less bitter. „Der wirkte nicht so, als würden ihn so Sachen interessieren. Ist doch zu beschäftigt, ein perfekter Magier zu sein.“
„Ach, er ist nur schüchtern“, winkte Jeanne ab. „Ich bin mir sicher, dass er bei diesem Turnier so richtig aufblühen wird!“
Sie verschüttete vor Euphorie beinahe ihren Vetseg. Poul gab ein komisches, aber nicht abgeneigtes Geräusch von sich. Less schluckte seinen Ärger hinunter und räusperte sich: „Also ich werde im Frühling woanders sein.“
Das wirkte. Sofort waren beide still und schauten ihn deutlich schockiert an.
„Ehrlich, den meisten ist es doch lieber, wenn ich dem Turnier fern bleibe“, erläuterte Less. „Und auch wenn ich denen noch so gerne die Mittelfinger in die eitlen Gesichter drücke … Schaut mich an! Die sind sich noch nicht mal sicher, ob sie meine Rüstung anpassen können!“
Er wedelte anklagend mit seinem Schweif vor ihnen herum. Er wusste natürlich, dass sie keine Schuld daran traf. Und dennoch war er auf einmal so wütend.
„Hmpf! Du bist betrunken, Less!“, rief Jeanne und packte ihn am Kragen. Less knurrte und Jeanne knurrte zurück. Sie war so nahe, er hätte ihr eine Kopfnuss verpassen können. Aber sie nahm rechtzeitig wieder Abstand.
„Du bist doch sonst nicht so … armselig!“
Less konnte sich nicht weiter zusammenreissen. Er sprang auf. Sein Becher rutschte ihm dabei aus den Fingern und zerbrach. Poul gurgelte angewidert.
„Sonst bin ich auch nicht mit einem starken Wandelfluch dauerhaft gedemütigt, du Dämmerbirne! Hast du mich überhaupt angesehen?!“, fauchte er.
„Wir werden schon noch eine Lösung finden!“
„Ira hat nicht auf die Botschaft reagiert! Ich hab nicht einmal eine Erklärung!“
„So stark wird der Fluch nicht sein, dass du Ira brauchst! Ich hab dir gesagt, dass du bei ihr aufpassen musst, aber es gibt durchaus mächtigere Leute als sie!“
„Ha! HA!“
Less fand das sehr amüsant, aber nicht auf die lustige Art und Weise. Er machte einen Schritt auf Jeanne zu und bleckte die Zähne.
„Wenn es so leicht ist, einen Fluch aus dem hohen Hause van Niderborgen zu lösen, wieso ist dann deine Mutter immer noch so schweigsam, ha?“
Jeanne lief rot an und haspelte kurz. Sie wedelte mit ihrer Faust, senkte sie und leerte erst einmal ihre Portion Vetseg.
„Ich weiss nicht, ob es wirklich ein Fluch ist. Ich vermutete es nur, weil … Egal. Ich wollte dich nicht reizen. Wir haben doch alle schlechte Erfahrungen mit dieser Familie gemacht.“
„Ich habe nichts gegen die van Niderborgen“, quäkte Poul. „Ich mag meinen Vater und Henri und Marie sind auch sehr –“
„Gut, hat dich niemand gefragt, Milander“, unterbrach Jeanne.
„Genau! Geh sterben, Milander!“, fügte Less an.
„Entschuldigung“, ächzte Poul und raffte sich als letzter ebenfalls auf die Beine. „Sterben klingt eigentlich ganz gut. Oh ja. Uff …“
Less wischte die ungewollten Tränen weg, die sich in seinen Augenwinkeln angesammelt hatten. Er versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht war taub und seine Muskeln waren schwer. Verdammtes Gesöff. Verdammter Fluch.
„Ich hab das nicht wörtlich gemeint, du Prinz“, sagte er kleinlaut.
„Du nicht, Less. Du nicht“, schnaufte Poul und Less fiel auf einmal auf, wie jämmerlich sein Freund aussah. Noch blasser als sonst. „Aber der Vetseg.“
„Oh ne! Nein! Nicht hier, Junge! Nicht hier!!“
Sofort war Jeanne bei ihm und zerrte ihn zur Tür. Less eilte ihnen nach. Beinahe strauchelte er über seine eigenen Füsse, aber er konnte sich halten und die beiden gerade noch einholen, ehe Poul vornüberkippte. Gemeinsam schleppten sie ihn hinaus aus dem edlen Besprechungsraum. Der Oberbefehlshaber hatte Jeanne im Vertrauen einen Schlüssel für das Zimmer übergeben. Wenn sie diesen Raum versauten, hätten sie sich auf ewig einen neuen Ort für ihre privaten Runden suchen müssen.
Bis zum Abort war es zu weit, also beförderten sie Poul in die Kasernenküche. Es waren noch ein paar andere auf und irritierte, vielleicht auch wissende Blicke folgten ihnen, als sie Poul zum Abfalltrog zerrten und gerade noch rechtzeitig darüber hängten.
„Lasst das nur nicht Frau Margarete wissen“, merkte eine Less unbekannte Stimme an.
„Lasst ihr Frau Margarete nur nicht wissen, dass ihr Lehrlinge noch wach seid und die Tische verunstaltet!“, blaffte Jeanne auf dem Weg zu den Zimmern zurück.
Die Bande wusste, dass sie vor ihren Vorgesetzten Respekt haben sollten, zumindest vor Jeanne, und sagten nichts weiter. Einige verzogen sich auf ihre Räume. Ob der Warnung wegen oder Pouls Anblick, wusste Less nicht. Er nahm ebenfalls Abstand und gönnte sich einen Schluck Wasser, um den ekligen Nachgeschmack des Tages wegzuspülen.
„Kommst du klar?“, fragte Less Poul nach einer Weile.
Pouls Antwort war ein klägliches Winseln. Less füllte das Glas noch einmal und brachte es Poul mit möglichst flachem Atem.
„Dh … Danke“, schniefte Poul.
„Ach pfs. Ich geh ins Bett, ehe mir der Vetseg auch hochkommt. Stirb nicht.“
Less verliess die Küche und taumelte direkt zu seiner Kammer. Es war nicht wirklich seine. Ausgebildete Ritter durften zwar Einzel- oder wenigstens Zweierzimmer beziehen – eine enorme Verbesserung gegenüber den Massenschlägen der unteren Ränge. Aber sie übergaben für die Zeit eines längeren Ausseneinsatzes die Zimmer denjenigen, die gerade aus solchen Einsätzen zurückkehrten. Es war in Ordnung. Zumindest solange nicht zu viele Ritter auf einmal in der Hauptstadt waren und sich die Betten teilen mussten. War das ein unerwarteter Vorteil des Fluches? Jetzt da sie ihn den Koboldhintern nannten, würde bestimmt keiner auf seine Bettnähe scharf sein. Ha!
Less hatte sich gerade bettbereit gemacht, als jemand an seine Tür klopfte. Kurz spürte er ein Prickeln in seinem Körper, eine kleine Hoffnung. Aber es war nur Jeanne.
„Ich wollte sichergehen, dass du nicht Pouls Schicksal teilst. Ich hätte euch wohl vorwarnen sollen“, informierte Jeanne mit einem schiefen Lächeln.
„Pfs! Von wegen. Mir geht es toll“, log Less.
Jeanne gluckste, obwohl nichts lustig war. Sie schob sich an ihm vorbei ins Zimmer.
„Ich wollte mit dir noch mal über den Wandelfluch reden“, sagte Jeanne und der letzte Rest gute Laune in Less verschwand, eilte dem vergangenen Sommer nach.
„Ja, ja. Ich habe auch darüber nachgedacht. Weinen bringt mir nichts“, gestand Less.
„Das sehe ich genauso!“, wisperte Jeanne und klopfte ihm auf die Schulter.
„Ich gehe gleich morgen los und rede mit Ira. Angesicht zu Angesicht!“, entschied Less und er wollte überzeugt klingen, aber eigentlich wollte er immer noch weinen. Es tat weh. War es tatsächlich Absicht gewesen? Wieso hatte sie ihn verflucht?
„Hm?“, schien Jeanne nicht zu verstehen.
„Ira ist mir eine Erklärung schuldig! Sie kann temperamentvoll sein. Aber sie ist auch stolz, Jeanne! Sie wird nicht von sich aus den ersten Schritt machen. Aber wenn ich sie sehe –!“
„Du musst mich nicht gleich anschreien“, zischte Jeanne.
„Oh, ich … bin wohl wirklich etwas betrunken“, entschuldigte sich Less.
„Nein. Du bist einfach ein Narr.“
Jeanne wollte das Zimmer verlassen, aber Less versperrte ihr den Weg. Was bildete sich diese hochnäsige Kleinadelige ein?!
„Ein Narr?! Bei Vasteas Brüsten, Hauptsache Jeanne Slander ist perfekt!“
„Ich bin nicht perfekt, Less“, erwiderte Jeanne und schien dabei erst recht zu strahlen. „Ich verstecke meine Probleme im Gegensatz zu dir nur gut hinter einem positiven Auftreten.“
„Positives Auftreten, aha?“, echote Less ungläubig. „Tja, ich könnte auch viel positiver sein, wenn du mir mit deinem bleichen, mittländischen Hintern nicht immer im Weg wärst! Also … geh einfach.“
„Das werde ich, sobald du deinen Arm wegnimmst“, sagte Jeanne.
Less schnaubte und zog seine Hand vom Türrahmen weg. Jeanne wünschte ihm trotz allem viel Glück für das Treffen und Less schlug die Tür zu, denn er wollte es nicht hören. Er wollte gar nichts mehr hören. Er brauchte ihr Mitleid nicht. Morgen. Er würde mit Ira reden und dann wäre wenigstens ein kleiner Teil der Welt wieder gut. Ganz bestimmt.