»Jordan, beweg deinen Arsch!«
»Ich dich auch, Steff«, rief ich mehrere Schritte hinter ihr, »ich dich auch!«
Sie jagte mich jetzt schon zwei Stunden durch diesen blöden Wald. Ich hatte keinen Bock mehr. Weder auf sie noch auf diese bekloppte Schnitzeljagd, zu der die gesamte Klasse gezwungen war. Hätte ich bloß das Los mit Bernds Namen drauf gezogen, dann würde ich mit ihm jetzt in einer Ecke oder hinter einem Baum genüsslich eine rauchen. Das Schicksal hatte mich aber Steff zugewiesen. Die Einzige, im Jahrgang, die um jeden Preis gewinnen musste. Egal, bei was, Hauptsache sie war die Erste. Und wenn sie ihre Partner dafür an die Leine nehmen musste, tat sie das.
Bei mir war sie da an der falschen Adresse. Ich trottete hinter ihr hinterher, egal wie schlimm sie mich auch beleidigte. Ich dankte es ihr, indem ich noch langsamer wurde. Amüsierte mich über ihren Stinkefinger, den sie bestimmt schon zum fünften Mal in meine Richtung zeigte.
Ein richtiges Abenteuer mit ihr oder mit mir, je nachdem wie man es betrachtete.
»Gott, Jordan, ich schwöre ...!«
»Bla bla bla«, trällerte ich und setzte mich erst einmal auf einen umgestürzten Baumstamm. Es war Zeit für eine ausgedehnte Pause.
»Dein Ernst, Jordan!«
Ich zuckte nur mit den Schultern, gluckste vor mich hin, als Steff mit ihren Boots im Geäst auf dem Boden hängen blieb. Sie kippte vornüber direkt ins feuchte Moos und fluchte. Ich sollte eine Strichliste machen, wie oft sie das heute noch tat. Bernd würde sich einen ablachen, wenn er sie sähe.
»Na, alles klar? Süße.«
»Nenn mich gefälligst nicht so«, herrschte sie mich an, »hilf mir lieber wieder hoch!«
»Ach nö, keine Lust. Du kannst nicht mal Bitte sagen.«
Von allen Mädels ärgerte ich sie am liebsten. Da flogen auch mal die Blöcke durchs Klassenzimmer, wenn ich sie mal wieder zu sehr triezte. Steff ließ sich leicht reizen. Ein Kinderspiel, wenn man den Bogen raus hatte.
Sie schlug mir gegen das Knie, aber ich lachte nur, bevor ich die Beine anzog.
»Jetzt vergiss doch mal die Schnitzeljagd. Sind bestimmt schon alle fertig damit, sofern sie sich überhaupt dazu aufgerafft haben. Du musst nicht bei allem Erste sein, weißte?«
»Halt den Schnabel! Was weißt du schon davon? Du rührst keinen Finger für irgendwas, egal, wie wichtig es anderen ist.«
Weil ich keinen blassen Schimmer hatte, was man mit einer Medaille anfangen sollte oder einer Urkunde. Würde ich eine daheim anschleppen, gäbe es nur komische Blicke. Auf ein Hast-du-gut-gemacht kann ich verzichten, wenn es von meinem Stiefvater kam. Der sollte lieber ins Loch zurückkriechen, wo er herkam.
»Nur zu deiner Info«, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Trauerkloß, nein, ein Wutkloß vor mir, »hätte ich mir Mühe gegeben, wärst du auch nicht die Erste geworden. Außerdem habe ich die beiden Weibsen von Klassensprecherinnen vor ihrem Auftritt sagen hören, dass es nicht mal einen Schatz gibt. Also komm runter, Steff.«
Wie ich sie kannte, war das genaue Gegenteil der Fall. Sie kam zwar wieder auf die Füße und hatte rote Flecken im Gesicht, bebte aber von Kopf bis Fuß. Da hatte ich mir jetzt was Schönes eingebrockt.
»Wie bitte? Veräppelst du mich, Jordan? Sag, dass das nicht wahr ist!«
Ich hielt lieber die Klappe. Unschuldig sah ich sie an, biss mir auf die Zunge, um keinen Kommentar über den Dreckstreifen auf ihrer Wange zu machen. Ich traute Steff zu, dass sie mich hier an Ort und Stelle verdrosch.
»Diese blöden Hühner! Na warte, das gibt Ärger!«
Sie schnappte sich meine Hand und zog mich mit einem unnachgiebigen Griff hinter sich her. Das Mädel konnte aber auch zupacken, aber ihre Wurfkraft war ja ebenfalls nicht ohne.
Bei einer Sache wäre sie wohl doch die Erste: Die Klassensprecherinnen hatte noch niemand bisher aufgemischt.