„Lass uns ein Spiel spielen!“
„Ein Spiel? Sei nicht albern, ich bin doch kein kleines Kind mehr!“
Manuela warf ihrem Freund einen genervten Blick zu. Manchmal war er wirklich albern.
„Mir ist noch nach ein wenig Grusel, dir nicht?“ Thomas ließ nicht locker.
„Nein. Der Film hat mir gereicht!“
„Der war doch gut, oder?“
Die junge Frau verdrehte die Augen. Am Anfang ja, aber dann war es nur noch ein Schocker gewesen, mit vielen Leichen, Äxten und Blut. Inklusive der obligatorischen Kettensäge.
„Mir hat er nicht gefallen.“, verriet sie schließlich, da der Mann sie erwartungsvoll ansah.
„Lass uns trotzdem noch über den alten Friedhof gehen!“
„Was!“ Das war also dieses Spiel, von dem er gesprochen hatte?
Manuela war gewiss nicht ängstlich, aber nachts über verwilderte Gräber zu steigen – das nun bestimmt nicht.
„Nein! Ich geh nach Hause!“
„Sicher? Das wäre doch der passende Abschluss. Gerade, wenn dir der Film nicht gefallen hat.“
„Ich sagte schon – nein! Nie und nimmer!“, widersprach die Frau mit fester Stimme.
„Mensch, Manu. Du bist eine unverbesserliche Spielverderberin.“
„Mir egal. So ‚ne Scheiße mache ich nicht.“
Es schien so, als wollte Thomas noch etwas sagen, zuckte dann aber mit den Schultern. „Wie du meinst. Schade!“ Also bis morgen nach der Vorlesung?“
Sie nickte. „Ja, klar.“
Zufrieden beobachtete sie, wie er in sein Auto stieg und davonfuhr.
Zeit, sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Nach kurzem Kramen fand sie auch schon ihren Autoschlüssel und öffnete die Türe zu ihrem alten VW Golf.
So weit so gut.
Nun starten und auf nach Hause.
Wenn die alte Kiste denn anspringen würde.
Nichts!
Ein Klacken – und das war‘s. Kein Geräusch des Anlassers, kein Anspringen des Motors.
Verdammter Mist!
Wütend schlug sie gegen das Lenkrad. Was nun?
Verdammt, verdammt, verdammt!
Während sie noch ratlos gegen die Frontscheibe starrte, klopfte es mit einem Mal an der Fahrertüre. Ihren Kopf drehend, entdeckte sie einen Mann, dessen Gesicht durch das Glas der Fahrerscheibe gut zu erkennen war. Erneut klopft er. „Springt die alte Karre nicht an?“, hörte sie seine gedämpfte Stimme.
Vorsichtig drehte sie die Scheibe ein wenig hinunter. „Ja, leider.“
„Ich war auch in dem Kinofilm, wie Sie“, war seine unpassende Antwort. „Ein schlechter Film, nicht wahr?“
Ein komischer Typ war das. Weshalb fing nun auch er mit dem Horrorstreifen an?
Sie sollte vorsichtig sein.
Auch wirkte der Mann irgendwie seltsam. Seine Haare waren ungepflegt und hingen strähnig nach unten – fast so, als hätte er zu viel Gel verwendet. Die Augen wirkten in ihrem hellen blau stechend und wirkten unnatürlich kalt. Dazu kam noch seine Gesichtsfarbe, die unnatürlich blass würde – hatte sie nicht sogar einen leichten Gelbstich?
Sie sollte vorsichtig sein – vielleicht war der Fremde ja krank.
Trotzdem war sie zu höflich, um nicht zu antworten. „Ich habe schon bessere gesehen“, meinte sie diplomatisch.
Der Unbekannte kicherte. „So kann man es auch ausdrücken. Ich fand ihn sehr schlecht – viel zu viel Blut und lauter Schockmomente. Das war kein Grusel.“
So genau wusste sie selbst nicht, warum sie auf dieses Geschwätz einging. Hatte sie doch gerade ganz andere Sorgen. Trotzdem fühlte sie sich seltsam bestätigt. „Ich gebe Ihnen recht.“
Warum machte sie das hier?
Der Mann kicherte belustigt. „Ich wusste, Sie verstehen. Es tut mir leid, dass Sie sich nicht ‚gut‘ gruseln konnten.“
Sie konnte ihren Blick einfach nicht vom ihm abwenden. Lag es daran, dass er selbst abstoßend und daher leicht gruselig wirkte? Diese Augen, die sie fixierten? Oder war es dieser seltsame Geruch, der nun von ihm auszugehen schien? Irgendwie – leicht süßlich?
„Ihr altes Auto wird nicht anspringen. Das bringt nichts“
„Das bringt nichts!“, wiederholte sie, wie ihn Trance. Gedankenlos ließ sie den Schlüssel und das Lenkrad los und öffnete die Türe.
Als hätten ihre Beine, ja ihr ganzer Körper einen eigenen Willen, stieg sie gleich einer Marionette aus dem Fahrzeug. Dabei hatte sie nicht den Eindruck, dies wirklich zu wollen – es schien ihr mehr, als folge sie seinem unausgesprochenen Befehl.
Der Fremde lächelte breit, als sie sich nun gegenüberstanden. Eigentlich war es nur ein groteskes Grinsen angesichts der vereinzelten verkohlten Zähne, die noch vorhanden waren.
Und sein Gestank war wirklich bestialisch.
„Komm – lass uns ein Spiel spielen“, flüsterte er und streckte ihr seine Hand entgegen.
Statt etwas darauf zu erwidern, legte sie seine hinein. Sie traf auf eiskalte Haut, die sich aber zugleich irgendwie schwammig anfühlte – fast so wie Gelee oder Wackelpudding.
Trotzdem war sein Griff fest wie die eines Schraubstocks.
Und so liefen beide, Hand im Hand, bis die Dunkelheit sie verschluckte.