„Du elender du…“ Wieder flog eine Tasse knapp an seinem Kopf vorbei.
„Monika, warte“, rief André verzweifelt. „Cherie…“
„Es hat sich aus-cheriert. Im Übrigen bin ich keine Praline.“
Zack! Erneut flog eine Tasse.
„Du hast doch nicht so viel Geschirr! Und was sollen deine Nachbarn…“
„Nachbarn, Nachbarn! Die können mich alle mal. DU hast mir das eingebrockt. DU…!“
Ob Monika wohl auch so geschrien hätte, wären die Nachbarn tatsächlich da gewesen? Die nächsten waren in Urlaub, und die anderen waren glücklicherweise zu weit entfernt, um viel von den Disput mitzubekommen.
Der Vampir seufzte. „Nun werde doch vernünftig. Wir bereden das in Ruhe, ja?“, fragte er bittend.
„Was gibt es da zu bereden?“, schrie sie zurück. „Du hast mich zu einem Vampir gemacht. Ich wiederhole – VAM- PIR. Oder Blutsauger, Untoter, Brut der Hölle…“
„Vampirin, Schatz, Du bist eine Vampirin. Dazu noch eine wunderschöne und…“
„Klugscheißer“, unterbrach sie ihn wütend. „Und ein Süßholzraspler dazu. Du hast mich reingelegt!“
Kurz überlegte André, ob das ein gutes Zeichen war, dass sie ihn nicht als Lügner bezeichnet hatte. Aber sein Gedankengang wurde schon unterbrochen, denn die Schimpftetrade ging weiter:
„Du und deine Brut! Das hast du dir so vorgestellt! Erst mich wandeln und dich dann stolz deiner Blutsbande vorstellen.“
Ja, sie war sehr zufrieden mit ihrer Wortwahl. Blutsbande war die perfekte Bezeichnung für diese, seine Familie.
Und er, nur er war daran schuld.
Ja, sie durfte das nicht vergessen. Er war ein Schuft und hatte es verdient, ihre Wut abzubekommen.
„Monika, nun hör doch endlich zu. Du lagst im Sterben. Was hätte ich denn tun sollen? Dich sterben lassen? Hättest du das gewollt, ja?“
Die Frau zögerte kurz. Zwar schwang sie drohend ihre Bratpfanne zögerte aber doch, sie zu werfen. Was war, wenn sie damit wirklich was Wichtiges traf? Mit kleinem Geschirr war einfach zum Zielen, aber die Pfanne würde nur herumeiern und wohlmöglich ihren großen Fernseher treffen.
Davon abgesehen, hatte sie diese erst bei WMF vor einem halben Jahr für teures Geld gekauft. Und sie war noch so gut wie neu.
Nein, dieser Bastard hatte es nicht verdient, dass sie diese Pfanne nach ihm warf.
Davon abgesehen, irritierte seine Frage ihn auch etwas.
Nicht, dass sie das jemals zugegeben hätte. Nie, nie würde er das erfahren
Aber wollte sie lieber tot sein? Also richtig tot?
Jetzt war sie das ja auch, aber irgendwie auch nicht. Nun ja, so halb. Irgendwie.
Untot war zwar tot, aber mit einem „Un“ davor. Also nicht richtig. Nur ein wenig.
Und, neugierig war sie leider auch, wollte sie nun mal auch wissen, was er für eine Familie hatte.
Das war er ihr schuldig, dieser lächerliche Bluttrinker. Wer weiß, ob er überhaupt ein echter Franzose war.
Wenn André schon seit Napoleon – der seit den Steinzeitmenschen, das würde viel besser zu ihm passen! – auf Erden wandelte, hatte er ja genug Zeit, um Französisch zu lernen.
Und dann unschuldige dumme Frauen mit seinem Amore um die Finger zu wickeln.
Frauen liebten ja das, Franzosen mit Französisch und Akzent.
Was war sie nur für eine dumme Kuh gewesen.
„Erzähle“, knurrte sie ihn an.
„Was denn, Liebes?“
„Über deine Familie. Diese Blutsverbrecherschaft.“
Der Mann seufzte hörbar. „Nenn sie doch einfach Familie. Schließlich gehörst du ja jetzt auch dazu.“
„Zu deinen blutsaugenden morbiden Verwandten? Nie im Leben. Ich habe keine Lust auf alte Männer und Frauen mit Spinnweben und Särgen. Ich will das einfach jetzt wissen. Damit ich Bescheid weiß.“
„Also schön. Aber solltest du dich nicht vorher beruhigen?!“
„Nein!“ Sie wollte sich nicht beruhigen, wie er es ausdrückte, dass hätte ihr gerade noch gefehlt. So hob sie weiter drohend die Bratpfanne in der Hand – etwas tiefer mittlerweile, denn so langsam tat der rechte Arm nun doch etwas weh – er sollte sich auf keinen Fall zu wohl fühlen. „Du erzählst mir einfach alles. Ich muss das jetzt wissen.“
„Also schön. Meine liebe Familie…“
„Elende Blutsbande“, unterbrach sie sofort.
„Na schön. Meine – Blutsbande – kommt tatsächlich aus Frankreich. Allerdings ist sie nicht so groß, wie du dir das vielleicht vorstellst. Mein Onkel hat mir das Haus vermittelt, wo ich jetzt wohne. Da gibt es natürlich meine Eltern, Claudette und Roger, die wohnen in einem Vorort von Paris. Mein Bruder Leon in Lyon. Das war es dann auch schon.“
„Das soll alles sein? Erzähle mir nichts. Du bist ein Vampir. Und Vampire sind unsterblich, dass weiß doch jedes Kind. Also?“
„Das sind alle, die noch leben“, antworte er mit ungehaltener Stimme. „Wie du vielleicht schon gehört hat, sterben Vampire normalerweise nicht, trotzdem können sie getötet werden. Davon abgesehen, kommt es immer mal wieder vor, dass unsere Art einfach genug hat und sich umbringt.“
Sein nun verschlossenes Gesicht wirkte wie eine kalte Dusche. Ja, sie wollte ihre Wut über die Situation an ihm auslassen, aber leiden sollte er nicht. „Was ist geschehen?“
„Ein Teil ist verbrannt, und meine Großmutter mütterlicherseits war einfach des Lebens müde. Sie hat einfach nichts mehr getrunken.“
„Das geht?“, fragte sie perplex.
„Ja. Wenn es auch einen starken Willen erfordert. Wenn wir längere Zeit kein Blut zu uns nehmen, vertrocknen wir einfach. Wie welkes Laub.“
Monika schüttelte energisch den Kopf. Wer konnte so etwas tun? Freiwillig verdursten?
Oder war es dann eher verhungern? Konnten Vampire verhungern, da sie ja nichts Festes zu sich nahmen?
Das war alles so kompliziert.
„Muss ich da jetzt offiziell antreten? Bei deiner Blutsbande?“
„Sie kommen eh nächsten Samstag vorbei. Wie jeden ersten Samstag im Monat. Das ist quasi immer unser Familientreffen.“
„Deshalb kannst du dich da nie mit mir treffen?“, schlussfolgerte sie überrascht.
André hatte einige Male samstags abgesagt, und das war wohl immer der erste im Monat gewesen. Gedanken hatte sie sich darüber nie gemacht – schließlich war das nur alle paar Wochen und sie hatten sich sonst ja oft genug gesehen.
„Aus diesem Grund. Aber jetzt gehörst du ja dazu. Also bist du dabei.“
Mit gemischten Gefühlen starrte sie ihn an.
Sie war froh, nichts davon gewusst zu haben. Von ominösen Verwandtentreffen, und davon waren dann alle noch Vampire! Brrr….
Andererseits…
Er hatte sie gewandelt und verdiente daher ihren Zorn. Und dass er sie von diesen Treffen ausgeschlossen hatte, war Grund genug, ihn weiter mit Geschirr zu bewerfen. Nicht mit der Pfanne, die legte sie lieber beiseite.
Aber sie hatte im Keller noch das alte Geschirr. Von ihrer Oma. Dass sie aus alter Sentimentalität aufgehoben hatte. Nicht, dass es ihr besonders gefallen hätte. Wer stand schon auf so olle Blumenmuster mit Goldrand?
Aber sie hatte es für ihre Polterabend aufgehoben. Omas Teller und Tassen, die konnte man nicht einfach wegwerfen, so altbacken sie auch waren. Aber als Glücksbringer für ihre zukünftige Ehe hätte es aber in ihren Augen Sinn gemacht. Schließlich brachten Scherben Glück.
Apropos – war sie jetzt mit André verheiratet? Oder verlobt? Durch diesen Biss- Mist? Man kannte das ja von Dracula – ewig gebunden und so.
Die Frauen, die gebissen wurden, waren ja oft Zombies. Das wusste sie von Filmen. Liefen wie dumme Kühe dem Typen hinterher, der sie gewandelt hatte.
Zugegeben, schön sahen sie ja immer aus, die Vampire in den Filmen, richtig sexy. Kein Gramm zu viel, und tanzen konnten die Blutsauger auch. Immer! Das wusste sie auch – von den Filmen.
Wurde sie dann vielleicht auch noch zu so einer gehyptonisierten dummen Pute, die ihrem Schöpfer hinterherlief? Vielleicht gab es da ja eine Inkubationszeit?
Und würde dann wie so eine blinde Kuh hinter André herlaufen und mit einem dümmlichen Grinsen jedem Vampir die Hand schütteln, sei er noch so eklig?
Und André liebte ja Handküsse. Klar, er war ja alt. Aber vielleicht gab es da ja auch Untote, die auch alt aussahen? Also nicht nur waren?
Und dann würde wohlmöglich so ein alter Tattergreis ihre Hand küssen? So kühle faltige Lippen auf ihrer Haut?
Iiiihhh, dieser Gedanke war eklig.
„Werde ich jetzt zur blöden Kuh?“, fragte sie ihn deshalb direkt und hatte immer noch diesen alten Opa vor dem geistigen Auge.
„Was meinst du?“ Andrés Blick zeigte nur Verwirrung.
Im Moment sah eher er aus wie eine blöde Kuh … blöder Ochse, Verzeihung.
Sie musste kichern.
Warum war sie eigentlich so aufgedreht?
„Werde ich dir dann sabbernd hinterherlaufen?“, half sie ihm auf die Sprünge.
„Weshalb solltest du? Nicht, dass ich das so schlimm finden würde, aber das ist nicht deine Art, Monika?“
„Du hast mich gewandelt, Blödmann. Werde ich jetzt zu einer gehirnamputierten Zombine und wackle dir hinterher?“
„Was?“ Der Franzose starrte sie fassungslos an, dann schüttelte er den Kopf. „Natürlich nicht. Du bist im Moment etwas durcheinander und aufgedreht, aber das gibt es öfters bei Neuvampiren. Das pendelt sich eigentlich schnell ein. Du wirst dich bald daran gewöhnen und dann ist eigentlich alles ganz wie vorher – bis auf ein paar Kleinigkeiten, natürlich.“
Kleinigkeiten! Wahrscheinlich wie die Peanuts damals bei der Bankenrettung!
Als ob das nur Erdnüsse wären.
Nun ja, die könnte sie wenigstens essen.
Aber dass sie ihren Verstand nicht verlor, war ja schon wenigstens etwas.
Wobei – so sicher war sie sich nicht, dass sie gerade dabei war, genau das zu tun! Ihren Verstand zu verlieren!!
Wie konnte man auch anders, bei alle diesem Blutmist.
„Wo ist das Treffen mit deiner Blutsbande?“, bohrte sie weiter.
André antworte nicht sofort. „In meinem Haus“, antwortete er zögernd.
„Und warum hast du mir das nie gezeigt?“ Ja, warum eigentlich?
Und warum hatte sie nie gefragt?
Es war zu befürchten, dass sie schon zu lebhaften etwas von dieser dummen Pute an sich gehabt hatte.
Aber damit war jetzt Schluss.
Sie würde rumzicken! Rumheulen! Toben und…
Die Bratpfanne fiel scheppernd auf den Boden.
„André?“, flüsterte sie mit plötzlich weinerlicher Stimme.
„Ja, mein Liebes?“ antwortete er sofort und wagte sie das erste Mal seit Beginn ihres Streits, näher zu kommen.
„Bitte halte mich.“
„Bien sur. Keine Angst, das wird schon.“
Schon war er bei ihr, drückte sich nahe an ihren Körper.
Erleichtert schmiegte sie sich seine vertraute Brust.
Für heute war genug. Morgen konnte sie wieder toben. Nun war sie nur noch müde.
Sie brach das Versprechen als sie erfuhr, wo genau André wohnte.