Die Zeit blieb stillzustehen. Für einen Moment fühlte sie sich zurückversetzt in ihre Jugend. "Spirit" stand noch immer in großen, schwarzen Lettern über der Eingangstür. Früher standen sie hier Schlange, nun war der Platz menschenleer und aus dem Asphalt wuchsen Grashalme und Löwenzahn.
Sie warf ihre Jacke über den Stracheldraht und kletterte vorsichtig über die Absperrung.
Wage erinnerte sie sich an einen Seiteneingang und fand ihn hinter einem Bretterverschlag. Fauliger Geruch drang in ihre Nasenlöcher und sie schob angewidert alte Milchtüten, verschimmelte Burgerreste und vergammelte Pappschachteln mit ihrem Fuß zur Seite.
Endlich war der Weg frei und sie glaubte die lauten Baßbeats von damals in ihren Ohren zu hören, als sie sich durch die Tür zwängte.
Kaum hatte sie das Innere betreten, war die Außenwelt wie abgeschlossen. Sie wurde regelrecht vom Gebäude verschluckt.
Kein Lärm drang nach Drinnen und ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Die Luft roch nach einer Mischung aus modrigen Steinen, abgestandenem Bier, Fäkalresten und Nässe.
Vereinzelte Staubflocken kitzelten ihre Nase, als sich langsam vorwärts tastet.
Der Flur war leer, soweit sie es erkennen konnte. Nichts deutete mehr auf die wilden Diskozeiten hin.
Vor ihr lag nun die große, eiserne Tür, durch die sie als Jugendliche ein- und ausgegangen war. Jedes Wochenende war das Spirit angesagt gewesen.
Sie lächelte und öffnete die Tür, fast schon, als würden gleich die Bassklänge an ihre Ohren dringen und die tanzende Masse im Rhythmus hin und her wogen.
Es empfing sie aber nur ein leerer, großer Raum, der nicht mehr an die glanzvollen Diskozeiten erinnerte.
Als sie sich gerade umdrehen wollte, blitzte etwas in ihren Augen...tatsächlich, da hing sie noch, einsam und verlassen, die riesige Diskokugel.
Sofort ging wieder ihr Kopfkino an und sie sah sich mit ihrem damaligen Schwarm in den Armen wiegen. Eine leichte Melancholie nahm von ihr Besitz und als sie sich unter diese alte Glitzerkugel, sanft im Takt der Melodie bewegte, die nur sie hören konnte, liefen ihr die Tränen über ihre Wangen. Sie schloss die Augen und für einen kleinen Moment war sie wieder da, hier, in diesem Raum, an diesen Platz, in seinen Armen und schaute in seine braunen Augen.