Mit zitternden Händen goss er sich ein Glas Whiskey ein. Er leerte es in einem Zug, spürte der Wärme nach, die der hochprozentige Alkohol in seiner Kehle hinterließ, und ließ sich in die Polsterung seines Sessels zurücksinken, Glas und Flasche immer noch in der Hand. Er würde mehr davon brauchen.
Wie hatte das bloß passieren können?
Er arbeitete seit Jahren hier in Marburg im S4-Labor, dem Labor mit der höchsten biologischen Sicherheitsstufe überhaupt. Die tägliche Routine des An- und Ablegens des Ganzkörperschutzanzugs war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er beherrschte jeden Handgriff im Schlaf.
Auch den des korrekten Verschließens der Handschuhdichtungen.
Vor seinem geistigen Auge sah er überdeutlich den Spalt, der sich zwischen Handschuh und Ärmel gebildet hatte. Oder war er schon den ganzen Tag über dagewesen? Hatte er seine Experimente und Analysen mit einem undichten Schutzanzug durchgeführt?
Der Virus, den er untersuchte, war ausgesprochen gefährlich.
Allein der Gedanke an die Symptome der Krankheit ... Rasch goss er sich ein neues Glas Whiskey ein. Er brauchte den Alkohol jetzt, um seine Nerven zu beruhigen! Seine Hände zitterten jedoch so sehr, dass er einen Teil des Getränks auf seine Hose schüttete.
Es wäre seine Pflicht gewesen, den Vorfall zu melden. Er wusste das, predigte es fast täglich seinen Studenten.
Doch als es ihn betraf, hatte er plötzlich zu viel Angst vor den Konsequenzen gehabt.
Wenn er es zugab, wurde es Realität.
Sicher, es war bestimmt nichts geschehen. Im Anzug herrschte Überdruck – durch jeden noch so kleinen Riss drang Luft nach außen und verhinderte, dass sich etwas den Weg zum Experimentator hinein bahnte.
Das System war idiotensicher.
Es konnte einfach nichts passiert sein.
Er fühlte sich flau im Magen. Waren das die ersten Anzeichen der Infektion?
So ein Quatsch. Es konnte nichts passiert sein!
Oder doch?