Erinnerung – schön wie ein Traum
Ratlos saß Alexander vor seinem Monitor. Was sollte er nur schreiben? Es wollte ihm einfach nichts einfallen.
Hans Gruber, sein Verleger, wartete ungeduldig auf den neuen Roman. Roman Sudlowsky, so der Künstlername von Alexander, war der neue Beststellerautor in der Krimibranche. Kein neuer Band mit dem charismatischen Kommissar Pierre Blanc, der nicht wie eine Bombe einschlug.
Kein Wunder, dass Hans ungeduldig wurde. Schließlich musste man den Hype nutzen, solange er anhielt. Das war das Gesetz des Marktes. Und da erwartete er von seinem Lieblingsautor schon, dass er regelmäßig lieferte. Schließlich war der letzte Roman bereits über ein Jahr her und die Leser wollten natürlich wissen, wie es mit „ihrem“ Pierre weiterging.
Alexander brütete nun schon über eine Stunde und starrte auf den leeren Bildschirm. Nicht ganz – immerhin stand bereits die Kapitelnummer in der Kopfzeile. Aber das war schon alles.
Seit einigen Wochen schon hatte er eine Schreibblockade. Oder vielleicht auch nicht wirklich. Denn der Schriftsteller wusste genau, warum er keine Zeilen auf das Papier brachte.
Peter – das reale Vorbild für seinen Kommissar – war nun schon seit drei Monaten weg. Seine Inspiration. Die männliche Muse, die jeden Abend nach Feierabend zu ihm gekommen war.
Er seufzte. Die Wohnung war ohne seinen Freund einfach kahl und leer. Sie schien ihn zu erdrücken. Wie sollte er da auf gute Ideen kommen, über Pierre schreiben, wenn die Sehnsucht ihn fast erdrückte.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Augen schloss und sich erinnerte. An ihre erste Begegnung, damals, vor zwei Jahren….
„Guten Morgen, ich bin Peter. Und du bist der Neue, oder?“
Alexander nickte etwas unsicher. „Ja, das stimmt. Alexander Schmidt. Sehr erfreut!“
Möglichst unauffällig musterte er den jungen Mann, der ihn so ungeniert angesprochen hatte. Peter hatte kurze blonde Haare und dürfte schätzungsweise in seinem Alter sein. Kleine Lachfalten zierten sein Gesicht, das fröhlich und offen wirkte. Imposante grüne Augen, die mit ihren langen schwarzen Wimpern und buschigen Augenbrauen – seltsam bei den blonden Haaren – besonders eindrucksvoll wirkten. Gut 1.80 groß, war der andere nur wenig kleiner als er selbst. Obwohl In lässiger Jeans und T-Shirt gekleidet, wirkte er souverän – eine Person, die durch ihr Auftreten wirkte, nicht durch die Kleidung.
Alexander fühlte sich in seinem Jackett und Hemd ein wenig overdressed. Aber am ersten Tag hatte es ihm angemessen erschienen, auch wenn es wohl keinen offiziellen Dresscode gab. Schließlich waren sie überwiegend für die Mitarbeiter dar und der Kontakt nach außen beschränkte sich wohl überwiegend auf Telefon und E-Mail.
„Wir duzen uns hier alle. Das ist doch hoffentlich in Ordnung für dich?“, fragte Peter nach. Was er von dem Neuen hielt, war seiner Mimik nicht wirklich zu entnehmen. Er war einfach nur freundlich – aber das konnte natürlich auch aufgesetzt sein, wenn es auch ehrlich wirkte.
„Natürlich. Verzeihe bitte, wenn ich hier etwas steif im Anzug daherkomme.“
Peter lachte und zwinkerte ihn verschwörerisch zu. „Das war bei mir damals genauso. Mach dir keinen Kopf. Wir werden uns sicher gut verstehen. Ich zeige dir gleich unser Büro.“
„Unser Büro?“
„Ja. Ich hoffe, du bist damit einverstanden. Es ist groß genug und gerade am Anfang ist es sicher hilfreich, wenn dir jemand erklären kann, wie bei uns die Arbeitsabläufe sind.“
„Natürlich. Ich freue mich darauf.“ Verdammt, Peter war attraktiv. Er wirkte viel zu nett auf ihn.
Wie sollte er sich da konzentrieren?
„Wo sind eigentlich die anderen? Ich dachte, wir wären hier zur sechst.“, fragte Alexander rasch, um sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Lieber fixierte er einen imaginären Punkt auf Peters Schulter. Das war vielleicht unhöflich, aber immer noch besser, als den Drang nachzugehen, ständig auf dessen Lippen zu starren.
„Die sind alle auf Schulung“, erklärte der junge Mann gelassen. „Du wirst also gleich ins kalte Wasser geschmissen. Aber keine Angst, mit mir lernst du schwimmen.“
Was war das denn jetzt für eine Anspielung?
„Wie darf ich dich nennen? Alexander, oder nennst du dich anders? Alex zum Beispiel? Ich kenne viele, die ihren langen Vornamen abkürzen. Natürlich nur, wenn es dir recht ist?“
Er schluckte. Alex nannten ihn nur seine engsten Freunde. Oder Boris. Auch er hatte diesen Namen benutzt.
Andererseits wollte er nicht gleich am ersten Tag einen schlechten Eindruck machen. Er musste mit diesem Peter auskommen. Da schadete es nicht, etwas zugänglich zu sein. Und was war schon ein Spitzname?
„Ja, Alex ist in Ordnung“, presste er daher zögernd hervor.
„Fein. Aber nun komm. Ich möchte dir unser gemeinsames Heim zeigen.“, lachte Peter und drehte sich um. Alexander blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Dieser neue Kollege hat wirklich einen seltsamen Humor. An sich störte es ihn nicht, aber wenn Peter wüsste, wie er auf ihn wirkte, ob er dann wohl auch solche Sprüche gerissen hätte? So konnte Alexander nichts anderes tun, als brav hinter dem Mann herzugehen und seine wunderbaren muskulösen Rücken zu bewundern, der sich unter dem engen T- Shirt deutlich abzeichnete? Und dieses herrliche Gesäß?
Verdammt, er sollte sich wirklich zusammennehmen. Wenn Peter das merken würde, wäre das nur noch eines – peinlich.
„Natürlich habe ich sofort gemerkt, was los war“, gestand Peter einige Wochen später. Sie saßen gemeinsam zu Tisch und aßen zu Abend. Alexander hatte Lasagne gekocht. Beide liebten Italienisch. Eines ihrer vielen Gemeinsamkeiten.
„Ja, das sagst du mir nicht das erste Mal. Du hast es sofort kapiert, im Gegensatz zu mir“, seufzte sein Freund etwas resigniert.
„Nun ja, allzu lange ging es ja nicht“, kicherte Peter. „Ich erinnere mich noch genau daran, also du gemerkt hast, das auch ich auf Männer stehe und dich sehr attraktiv finde. Und als ich dann noch herausgefunden hatte, dass du so gut kochen kannst, war es um mich geschehen.“
„Du weißt schon, dass ich dich so lange mäste, bist du kugelrund bist?“, scherzte Alex nun.
„Das ist mir klar“, antwortete Peter und legte sein Besteck zur Seite. Vorsichtig rückte er den Stuhl zurück, stand auf und näherte sich seinem Partner, der ihn aufgeregt beobachtete.
„Ich liebe dich, Alex“. Peter war hinter ihn getreten und strich sanft über das kurze schwarze Haar. In Zeitlupe fuhr er die einzelnen Strähnen nach, ehe er einen zärtlichen Kuss auf den Kopf hauchte. „Ohne dich wäre ich nicht komplett.“
Sein Freund, der während des Streichelns die Augen geschlossen gehalten hatte, öffnete sie langsam wieder. „Wir beide gehören zusammen, Peter.“
Nun blickten sie sich an. Mit seinem Zeigefinger berührte Peter das Gesicht seines Freundes und streichelte es zart. „Für immer, mein Liebster. Für immer.“
Das Vibrieren seines Smartphones weckte ihn.
Wunderbar. Statt zu schreiben, gab er sich erst seinen Tagträumen hin, dann schlief er doch tatsächlich ein.
Hans würde ihn vierköpfen.
Als der Schriftsteller jedoch auf das Display blickte, erbleichte er.
Rasch wischte er darüber und nahm so den Anruf an. „Ja?“, fragte er heiser.
„Hallo Schatz. Ich bin’s. Du wunderst dich sicher, dass ich anrufe, wegen der Zeitverschiebung und so. Aber gute Nachrichten – es gibt sie nicht mehr“
„Wie?“ Peter würde es wohl nie lassen, sich manchmal etwas seltsam auszudrücken.
„Ich bin im Flieger. Wir landen gleich in Frankfurt. Die Arbeit in Washington ging nun doch um einige Wochen schneller als erwartet. Ich erkläre es dir später. Holst du mich ab?“
Alex war bereits aufgestanden und eilte zu seinen Schuhen. „Ich bin schon unterwegs. Warte auf mich!“
Ein erleichtertes Lachen war zu hören. „Natürlich tue ich das. Ach ja,…“
„Wie?“
„Ich hoffe, du hast dein Schlafzimmer aufgeräumt…“