Es klackte laut. Ruckartig setzte Elisa sich in ihrem Bett auf und orientierte sich. Wieder prallte etwas ab. War das…? Sie sprang auf und schob die dunkelblauen Vorhänge von ihrem Fenster weg. Mondlicht fiel ins Zimmer und zeigte ihr noch einmal mehr, dass sie den gestrigen Tag definitiv nicht zum Aufräumen genutzt hatte, wie ihre Mutter es ihr gesagt hatte. Egal. Elisa öffnete das Fenster und blickte hinaus. Tatsächlich unten in der Hauseinfahrt hoben sich einige Gestalten gegen die Dunkelheit ab.
„Wer ist da?“, rief sie leise in die Dunkelheit hinaus, um ihre Familie nicht zu wecken.
„Komm runter, Elisa. Wir sind’s“, schallte die Stimme von Charlie, ihrer besten Freundin, deutlich schamloser durch die Nacht.
„Moment“, rief sie zurück und fragte sich, was ihre Freunde da unten zu suchen hatten. Dennoch freute sie sich, schlüpfte schnell in Hose und einen Pullover, der bei diesem lauen Wetter ausreichen würde. Vorsichtig schob sie ihre Zimmertür auf, huschte an der angelehnten Tür ihres Bruders vorbei und die Treppe hinunter, wobei sie die knarrende neunte und die vierzehnte Stufe wohlweislich übersprang. Wie immer war die Haustür nicht abgeschlossen, was gut war, denn ihr Schlüssel lag oben in ihrer Schreibtischschublade.
„Hey!“ Charlie kam ihr schon entgegen und schloss sie in eine Umarmung.
„Mögt ihr mir verraten, was ihr vorhabt?“, fragte Elisa mit einem Grinsen.
„Nö“, entgegnete Charlie und hakte sich bei ihr ein.
„Dafür haben wir dir jemanden mitgebracht.“
Natürlich waren es Leon und Jakob, die unter der alten Eiche warteten und natürlich hatten sie die Pferde mitgebracht.
„Wunder!“ Elisa nahm die Zügel ihrer Stute entgegen, die zufrieden schoberte, als sie ihr ein Stück Karotte zusteckte, das sich in ihrer Hosentasche befunden hatte.
„Sag bloß, du hast deiner Mutter die Schlüssel geklaut.“ Sie blickte zu Leon hinab, der sich ihr mit einem Grinsen zuwandte.
„Na klar. So schwer war das nicht. Sie bewahrt die Schlüssel der Ställe noch nicht einmal in ihrem Zimmer auf.“ Immerhin war er ein ehrlicher Draufgänger.
„Hier.“ Jakob reichte ihr ihren Helm. Zu ihrem Glück hatte sie eben festes Schuhwerk angezogen, das sich auch zum Reiten eignen würde.
„Na, Lust auf einen Mitternachtsritt?“, fragte Charlie, die sich schon in den Sattel ihres Falben geschwungen hatte.
„Klar.“ Elisa folgte dem Beispiel der Freundin und saß ebenfalls auf. Sie nahm die Zügel auf und trieb Wunder mit einem sanften Schenkeldruck an. Ihre Schimmelstute reagierte sofort. Der Kies knirschte unter ihren Hufen, als sie vorwärts schritt. Charlies Pflegepferd Aladdin war deutlich größer als ihre kleine Stute und setzte sich schon bald an die Spitze. Ihr folgte Jakob auf Hillary, dann kam Elisa und den Abschluss machte Leon auf seinem Wallach mit dem absolut bescheuerten Namen Held.
Elisa fragte nicht viel, während sie dem Sandweg folgten, der in Richtung Dorf führte. Stattdessen genoss sie das Geräusch des Klapperns der Pferdehufe, das zufriedene Schnauben Wunders und die leisen Rufe der Eule, die irgendwo links von ihnen im Wald sein musste. Bevor der Sandweg auf die Landstraße mündete, bogen sie in den Wald ab. Die hohen Tannen umgaben sie schon bald und warfen beunruhigende Schatten auf den Waldboden. Eigentlich hatte Elisa ja keine Angst im Dunkeln, aber als im Unterholz neben ihnen etwas knackte, zuckte sie doch zusammen. Zu ihrem Glück war Wunder nicht so schreckhaft wie sie selbst, sondern versuchte nur immer wieder von dem schmackhaften Gras am Wegesrand zu kosten.
Als der Wald auf die große Wiese mündete, an deren Rand sie einst ein großes Baumhaus errichtet hatten, drehte Charlie sich zu den anderen um und fragte: „Bereit für ein Wettreiten bis zur anderen Seite?“
„Jo“, erwiderte Leon begeistert und sie konnte sein freudiges Grinsen beinahe hinter sich spüren.
Bei dem Gedanken an mögliche Kaninchenlöcher war Elisa nicht ganz wohl zumute, aber sie waren schon so oft über diese Wiese geritten, ohne dass etwas passiert wäre, dass sie schließlich auch zustimmte.
Am Rande der Wiese stellten sie sich auf.
Elisa tätschelte ihre kleine Welshponystute, die auf keinem Fall mit Leons Holsteiner oder Charlies Hannoveranermix mithalten konnte.
„Komm, meine Süße!“, flüsterte sie ihr ins Ohr, als Charlie soeben das Startzeichen rief.
Wunder streckte sich und wurde immer schneller, je weiter sie kamen. Leon war schon lange vor ihr in der Dunkelheit verschwunden und von Charlie konnte sie kaum mehr als einen Schatten am Rande der Wiese sehen, aber Jakob war noch in Reichweite.
„Komm, Schatz!“ Die Hufe der Pferde trommelten über den Grasboden, die schönste Musik in Elisas Ohren. Ihr Herz pochte, als sie sich hinter Wunders Ohren beugte, um möglich wenig Windwiderstand zu geben. Jakob spornte seine Stute vor ihr an, doch Wunder schob sich immer weiter vor und lief schließlich neben Hillary. Seite an Seite rannten die Pferde über das Gras und am Ende war nicht ersichtlich, wer von ihnen als Erster am anderen Ende angelangt war.
Zufrieden ließ Elisa ihre Stute auslaufen und tätschelte ihr den Hals, als sie stehen blieb. Lächelnd wandte sie sich zu Jakob, der seine Stute langsam zu ihm trotten ließ.
„Alles in Ordnung?“, fragte er und strich sich eine vorwitzige Strähne weg, die ihm nass an der Stirn klebte.
„Ja“, entgegnete sie mit einem Lächeln und blickte nachdenklich zum Mond hinauf.
„Auch wenn ich immer noch nicht ganz weiß, was das hier soll, hat mir der Wettritt echt Spaß gemacht.“
„Das ist das Wichtigste“, freute sich Jakob. „Na, dann wollen wir mal die anderen suchen.“
„Was die wohl jetzt schon wieder angestellt haben?“, fragte sich Elisa und trieb Wunder zwischen die Bäume.
„Wer weiß“, vermutete ihr Kindheitsfreund, „Vielleicht eine Knutscherei um Mitternacht?“
„Jakob!“, rief sie empört aus, auch wenn die Vorstellung gar nicht so abwegig war.
„Na komm, umso wir nachsehen, desto schlauer werden wir sein.“
Sie wartete an einer breiten Stelle, bis Jakob und Hillary sie überholt hatten, dann folgte sie ihnen.
Um sie herum war nichts zu hören. Manchmal knackten Äste und Tiere huschten durch die Dunkelheit. Über ihnen schrie erneut eine Eule, vielleicht die gleiche wie vorhin. Sie beide schwiegen, während sie ritten, genossen die Stille und das Leben um sich herum.
„Sieh mal!“, murmelte der Freund auf einmal und wenig später entdeckte Elisa das Schimmern zwischen den Bäumen auch.
„Na los“, rief sie und ließ Wunder ein wenig schneller gehen. Schon bald kam die Lichtung in Sicht, wo ihre Freunde warteten. Ein breites Lächeln schmückte ihr Gesicht, als sie erkannte, weshalb ihre Freunde sie auf diesen nächtlichen Mitternachtsritt eingeladen hatte.
„Danke!“ Gerührt sah sie von einem zum Anderen. Charlie, die ihr mit einem fröhlichen Lachen den mit Smarties besetzten Schokoladenkuchen präsentierte, Leon, der seine Gitarre in den Händen hielt und laut Happy Birthday sang. Jakob, immer noch auf Hillary, schoss ein Foto nach dem Anderen, auch wenn sicherlich nicht viel auf ihnen zu erkennen sein würde.
Elisa glitt aus dem Sattel und ließ Wunders Zügel los, die sogleich begann zu grasen.
„Wir wollten dir auf Wiedersehen sagen“, meinte Jakob und überrascht bemerkte sie, dass in seinen Augen Tränen glitzerten. „Jetzt, wo du ab morgen für ein Jahr in Frankreich sein wirst.“
„Wir werden dich und Wunder vermissen“, fügte Leon hinzu und auch sein ewiges Grinsen schien auf einmal so viel schwächer zu sein.
Zuletzt Charlie. „Deshalb dachten wir, dass wir dich einmal richtig feiern werden. Dich und unser Freundschaftsjubiläum.“
Elisa wischte sich die Tränen fort, die auch ihr jetzt über die Wangen liefen. Deshalb also war ihr der Abschied in der heutigen Reitstunde so kurz vorgekommen, deshalb hatten ihre Freunde in letzter Zeit so beschäftigt gewirkt. Sie konnte nicht sagen, wie glücklich und traurig zugleich sie in diesem Moment war.
„Danke“, wiederholte sie und umarmte zuerst Charlie, dann Leon und zuletzt Jakob, der nun ebenfalls abgestiegen war.
„Komm, die Kerzen“, forderte ihre Freundin sie auf.
Die Lichter flackerten auf und erloschen kurz darauf.
Aber im nächsten Jahr, das wusste Elisa, würden sie wieder erstrahlen.
So wie ihre Freundschaft. Hau