"Aishtaqat lak", flüsterte Sherin leise und ihre Hand streichelte sanft seine vernarbte, gebräunte Haut.
Nun war sie ganz allein, in einem ihr fremden Land, in einem rießigen Camp, mit tausenden, ihr unbekannten Menschen.
So viele Strapazen lagen hinter ihr, die sie ohne ihren großen Bruder Mustafa bestimmt nicht geschafft hätte.
Er war immer ihr Fels in der Brandung, ihr Ermutiger. Wenn er lächelte, ging die Sonne auf und alle Ängste waren vergessen.
Warum nur musste er sterben, hier in diesem schmutzigen Lager?
Erneut liefen Sherin heiße Tränen über ihre Wangen.
Da fiel ihr Blick auf die silberne Taschenuhr, die Mustafa immer um seinen Hals trug. Sie war ein Geschenk von ihrem Vater, der sie schon von seinem Vater bekommen hatte und der wieder von seinem.
Sherin erinnert sich an die Zeremonie vor neun Jahren, als Mustafa die Uhr überreicht wurde. Damals durfte sie auf dem Schoß ihrer Mutter zuschauen, verstand aber noch nicht die tiefe Bedeutung.
Mit einem kleinen, scharfen Messer ritzte ihr Vater eine schmalen Schnitt oberhalb Mustafas Herzen in seine Haut. Jeder Mann in ihrer Familie hatte diesen Schnitt, der später zu einer kleinen, sichtbaren Narbe verheilte. Ihr Bruder biss tapfer auf die Zähne und sie lief zu ihm und hielt seine Hand. Danach bestaunten beide die kostbare Uhr, die Mustafa um den Hals gelegt bekam.
Auf der Rückseite waren in arabisch die fast kaum noch erkennbaren Worte ’Du bist geliebt’ eingraviert.
Sherin schluchzte laut auf, als sie die Worte nun wieder las.
Diese Worte hatte ihr Bruder immer wiederholt, wenn sie mutlos wurde, zweifelte, oder etwas nicht zu gelingen schien.
Ein leichtes Lächeln huschte über Sherins Gesicht.
Vorsichtig nahm sie die Kette ab und hängte sie um ihren Hals. Sachte berührte sie seine kleine Narbe.
"Wadaeaan, mein geliebter Bruder. Ich werde nicht aufgeben. Dein Blut fließt auch in mir", flüsterte sie ihm kaum hörbar zu.
Dann richtete sie sich auf und ging zurück in ihr Zelt.
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*Ich vermisse dich
**Auf Wiedersehen