Beitrag zu writeinktober
Sie spürte die kalten Flocken, die als kleine Eiskristalle ihre heißen Wangen kühlten.
Sie verschmolzen mit den schwarzen Tränen und wuschen sie in ein helles Grau, das in dünnen Fäden auf den Boden rann.
Sehnsüchtig schaute sie zum Himmel empor…
“Mehr! Mehr!”, schrie sie innerlich, mehr von diesem kühlen, reinen Weiß, das mit seiner Reinheit die Schuld abwusch und die tiefen Wunden und Narben verdeckte.
Trotz der Kälte blieb sie sitzen und lehnte den Kopf an den Mauervorsprung.
Sie schloss die Augen und für einen kurzen Moment erlaubte sie sich zu träumen:
Vom Meer, vom warmen Sand unter ihren Füßen. Renato, der am Horizont auftauchte...er war schon 16 und ihr großer Schwarm. Seine braunen Augen funkelten immer, wenn er sie ansah und seine Zähne blitzten so weiß wie Perlen, wenn er lächelte. Die Sonne hatte seiner dunklen Haut einen goldenen Schimmer verliehen. Würde er ihr erstes Date sein? Ihr erster Kuss? Vielleicht schmeckten seine Lippen nach Honig oder Feigen...
Sie seufzte auf. Ihre Großmutter nannte solche Erinnerungen und Träumereien 'goldene Momente', die sie sich immer in ihrem Herzen bewahren sollte. Damals hatte sie noch nicht verstanden, was Großmutter damit meinte, aber hier und jetzt, in dieser schrecklichen Situation, bescherten ihr diese 'goldenen Momente' einen Funken Hoffnung und Freude.
Tief, ganz tief schloss sie sie in ihrem Herzen ein.
Wehmütig schlug sie die Augen wieder auf.
“Samira, komm wieder rein. Nur hinter diesen Mauern finden wir etwas Schutz.”
Die Worte ihrer Mutter holten sie schlagartige in die Realität des Krieges zurück.
Eine letzte weiße Flocke fiel in den staubigen, grauen Sand.