Inspiriert durch den Prompt "Mondscheinserenade" aus der Sixty Minutes-Challenge, Schreibzeit 58 Minuten.
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Es begab sich zu einer Zeit, in der Karmarhyllia noch ein wildes Land war, eine Zeit, an die sich heute niemand mehr zu erinnern vermochte, da niemand mehr lebte, der dabei gewesen war, dass eine Mutter voll der Trauer über den Verlust ihres einzigen Kindes in die dichten Wälder floh, um dem Schmerz zu entrinnen, der ihr folgte, wohin auch immer sie einen Fuß setzte.
Die Wälder und ihre tiefe Stille waren der einzige Ort, der ihrem Kummer etwas Linderung verschaffte und so traf man sie dort an, zu beinahe jeder Stunde.
Doch sie sprach mit niemandem. Bald schon verloren die Bewohner ihres Dorfes das Interesse an ihr und ihr Mitgefühl wandelte sich zu Teilnahmslosigkeit.
Nicht fähig, ihre Trauer zu überwinden, verbrachte sie ihre Tage in Dunkelheit und die Nächte im Wald auf einer Lichtung, umgeben von funkelnden Glühwürmchen und dem silbernen Licht des Mondes über ihr. Ihr Gemahl, der ihr einst die Treue schwor, hatte sich abgewandt nach dem Verlust, sie im Stich gelassen, um sein Glück woanders zu suchen. Sie war allein und ausgestoßen, doch all das berührte sie nicht.
Jahre schienen zu vergehen, die sie nicht bemerkte. Alles, was geblieben war, war der Schmerz, der nur Trost fand, sobald die Dunkelheit hereingebrochen war.
»Ach, Mond. Wärst du doch nur fähig, meine Sehnsucht zu stillen und mir ein Kind zu geben. Alles würde ich tun dafür.«
Sie kniete auf der Lichtung, jede Nacht, die Hände gefaltet, das Antlitz gen Himmel gerichtet, flehentlich bittend. Ihre Tränen, rein wie das Innerste ihres Herzens, benetzten das Gras um sie und die Glühwürmchen, nach der langen Zeit gewöhnt an die Anwesenheit der Frau, umschwirrten sie wie ihre Königin. Sie gab sicher für jeden, der sie zu Gesicht bekam, ein sonderbares Bild ab, doch sie selbst bemerkte davon nichts noch kümmerte es sie. Sie hatte mit ihrem Leben im Dorf und den alten Freunden längst abgeschlossen, hatte doch niemand verstanden, wie tief ihre Trauer saß und wie voll des Kummers sie war. Alle hatten sich abgewandt, sie vertrieben, als Verrückte ausgestoßen und in den tiefen Wald verbannt. Dort nun war ihr Zuhause und die Lichtung der Ort ihrer Andacht.
»Bitte, Mond, erfülle mir meinen Wunsch und ich will tun, was du verlangst.«
Viele viele Nächte vergingen so, die Jahre zogen ins Land und die Frau, einst jung und zweifellos schön, verblasste. Doch ihr Wille und ihr Wunsch waren stark und so begab es sich in einer Neumondnacht, dass ein Lichtstrahl, gleißend und funkelnd, auf die kniende Frau niederging und sie erfasste. Geblendet von der Herrlichkeit des Lichts hob sie das Haupt und erblickte ihn, den Mond in seiner Menschengestalt, hochgewachsen und schön wie der Himmel selbst, silbern das Haar und leuchtend grün wie der Wald die Augen.
»Frau!«, sprach er mit einer Stimme, melodisch wie Glockengeläut, »lange schon bittest du mich. Dein unerschütterlicher Wille berührte mein Herz und ich will dir geben, was du so ersehntest.«
»Doch nun bin ich alt geworden«, entgegnete sie bekümmert.
»Erhebe dich«, antwortete der Mond und reichte ihr die Hand. Gutmütig lagen seine Augen auf ihr. »Dir übergebe ich dies. Du sollst meine Gefährtin sein und wachen über meine Kinder. Sie sollen deine Kinder sein und du ihre Mutter.« Er küsste ihre Wangen und im Funkeln seines Lichts und der unzähligen Glühwürmchen sah sie, wie ihre Hände sich verjüngten, ihr Leib an Kraft gewann und die Mühen des nahenden Alters von ihr abfielen.
»Nimm dies und wache darüber. Schon bald wird sich dein Wunsch erfüllen«, sprach der Mond weiter und griff in die Falten seines fließenden Gewandes, um ein gläsernes Gefäß hervorzuholen, das dunkle Erde und den Spross eines Baumes enthielt. »Pflanze es hier, an dieser Stelle, wo mein Licht es wärmen kann. Hege es und bald schon wirst du unsere Kinder an deinem Busen tragen können. Willst du das tun?«
Die Frau hob das Antlitz zu dem schönen Mann und nickte ehrfürchtig. »Nichts in der Welt würde ich lieber tun als das.«
»So sei es denn.« Er überreichte ihr das Glas und verneigte sich mit einem Lächeln vor ihr, bevor das Licht und mit ihm der Mann in der mondlosen Nacht verschwanden.
Wie es sein Wille gewesen war, pflanzte die Frau nun den Schössling in die kühle und feuchte Erde der Waldlichtung und wie der Mond ihr versprochen hatte, wuchs das Pflänzchen binnen weniger Tage zu einem mannshohen Stamm heran, reckte die Blätter gen Himmel und bald schon konnte sie sehen, was gemeint gewesen war damit, dass es sich um die Kinder des Mondes handelte.
Denn je mehr der Baum an Höhe und Umfang zunahm, umso mehr trug er Früchte, die die Frau an Tropfen aus Silberlicht erinnerten. Doch diese gewannen an Größe und ihre Freude hätte kaum unverfälschter sein können, als das erste dieser Gewächse aufplatzte und einen Knaben preisgab, kaum mehr als ein Säugling, doch ebenso wunderschön wie der Mann, der ihr den Schössling gegeben hatte.
Viele Jahre vergingen, der Baum wuchs zu einem gewaltigen Stamm heran und die zahlreichen Mondkinder scharrten sich glückselig um die Frau, in der sie alle ihre Mutter sahen. Doch schließlich, nach einem Jahrhundert, war die Zeit für diese gekommen, die Welt der Lebenden zu verlassen.
Als sie starb, begründete das Mondlichtvolk rund um den Baum sein eigenes Land und zu Ehren der Frau, deren unerschütterlicher Wille und Herzenswunsch ihnen allen das Leben geschenkt hatte, gaben sie diesem Reich ihren Namen. Ebelyn.