Der schwarze Engel
Meine Schritte hallen laut über den gefliesten Marmorboden.
Auf was habe ich mich da nur eingelassen?
Aber schick ist es hier, das muss man sagen. Alles ist wesentlich edler, als ich es mir vorgestellt habe.
Und dann ist es soweit.
Meine Begleitung – ist das ein Diener oder so etwas? – öffnet die schwere Türe und deutet mit einer Geste an, dass ich eintreten soll.
Ich zögere kurz, folge dann aber doch der stummen Aufforderung.
Auch dieser Raum ist prachtvoll eingerichtet, wie auch all die anderen Räume davor. Gar nicht düster oder unheimlich. Freundliche warme Farmen, große Fenster, die draußen strahlenden Sonnenschein, grüne Wiesen und Felder zeigen.
Aber dies nehme ich nur am Rande war. Meine Aufmerksamkeit ist auf den jungen Mann gerichtet, der genüsslich auf einer weißen Ledercouch lümmelt und mich freundlich anlächelt.
Neben ihm liegt sein berühmter Hund und lässt sich genüsslich von ihm streicheln.
Zwar liegt eine Decke darunter, aber ist eine solche Farbe nicht trotzdem viel zu empfindlich?
Als ich immer näher komme, richtet er sich auf und winkt mich zu sich her.
„Kommen Sie doch her und setzen Sie sich neben mich.“
Seine Stimme ist dunkel und seltsam rau. Trotzdem beeile ich mich, ihm Folge zu leisten.
Ein wenig seltsam ist es schon, direkt neben IHM zu setzen. Schließlich ist er eine Berühmtheit.
Er ist ganz in Schwarz gekleidet, allerdings trägt er nicht irgendein feinen Nadelstreifen, was ich eigentlich erwartet hätte, sondern einen gemütlichen Jogginganzug. Natürlich keiner von der Stange, aber trotzdem…
Scheu komme ich auf ihn zu und nehme Platz. Natürlich in angemessener Entfernung.
Er quittiert es mit einem belustigten Lachen. Selbstredend hat er mich sofort durchschaut.
Seine Augen sind dunkelbraun, fast schwarz. Das kurze Haar liegt wellig und ein wenig verstrubbelt auf seinem Kopf.
Wie er hier so sitzt, das passt nun wirklich gar nicht zu seinem Image.
„Sie heißen Amelie Wachter, hat man mir gesagt?“, fragt er mich neugierig.
Ich nicke zögerlich. „Ja, das ist richtig.“
„Und ER hat Sie geschickt, damit Sie mir ein wenig bei der Verwaltung helfen? Haben Sie denn schon Erfahrung?“
„Ich habe IHM geholfen.“ Wir beide haben offensichtlich eine natürliche Scheu, seinen Namen laut auszusprechen. „Er meinte, es sei hier recht ähnlich.“
Er nickt. „Das ist richtig. ER thront zwar da oben, aber im Prinzip ist es hier sehr gleich. Allerdings sind viele meiner Gäste voraussichtlich nur eine begrenzte Zeit hier.“
Ich verschlucke mich fast anlässlich seiner Wortwahl.
„Was wird meine Aufgabe sein?“
Er grinst mich frech ein. Er hat wirklich perfekte Zähne.
„Einer meiner Leute wird es Ihnen zeigen. Das Register ist leider nicht mehr ganz auf dem aktuellen Stand. Wir hatten in den letzten Wochen ziemlichen Zulauf. Ich habe zwar vieles im Kopf, aber so langsam droht auch mir der Überblick verloren zu gehen.“
Erleichtert atme ich aus. Das kenne ich schon von meiner vorherigen Tätigkeit. Die Neuankömmlinge erfassen und die entsprechende Abteilung zuweisen.
„Wir haben etwas mehr Arbeit als die da oben, da dieses Haus nicht auf den langen Aufenthalt vorgesehen ist“, erläutert er weiter, während er diesen seltsamen Hund weiter streichelt und krault. Eine Zärtlichkeit, die mich seltsam berührt. Mein Gesprächspartner ist so anders als ich ihn mir vorgestellt hatte. „Ich hoffe, das ist Ihnen bewusst und kein Problem? Der Verwaltungsaufwand ist dadurch natürlich etwas höher.“
„Das ist mir natürlich klar.“
„Sehr gut.“ Seine Augen blitzen freundlich. „Ich habe einige Zimmer hier oben noch frei, da finden Sie sicher ein passendes Zimmer. Mein Freund“, er schaut in die Richtung des Mannes, der mich hineingeführt hat, „wird Ihnen alles zeigen. Mit den Räumlichkeiten unserer Gäste werden Sie gar nicht in Berührung kommen.“
„Sehr freundlich von Ihnen.“ Seine Umschreibungen sind seltsam.
Er ist so anders, als ich es erwartet hatte. Sicher, man hatte mir gesagt, dass die Erzählungen über meinen Chef nicht stimmen, aber so… Er ist geradezu charmant.
Dieser besagte Boss wendet seine Aufmerksamkeit nun aber plötzlich von mir ab. Sein Kopf dreht sich zur Türe und er springt von seiner Couch hoch.
Überrascht folge ich seinem Beispiel. „Was ist los?“
Er antwortet jedoch nicht, sondern starrt gespannt in die eine Richtung.
Was soll das jetzt?
Bevor ich eine weitere Frage stellen oder mir weitere Gedanken machen kann, erscheint wie aus dem Nichts eine Gestalt.
Ein junger Mann, optisch etwa in einem ähnlichen Alter wie mein Boss. Allerdings trägt er nicht dunkle Freizeitkleidung, sondern ist ganz in weiß gekleidet. Enganliegende Jeans, weiße Sportschuhe und ein cremefarbenes T- Shirt. Auch sein Gesicht ist wesentlich heller und wird von langem Haar umrahmt.
Ein wenig erinnert er mich an einen Elben bei „Herr der Ringe“, wenn dieser Vergleich natürlich absolut lächerlich ist.
Bei Tolkien sind wir hier gewiss nicht.
„Gabriel!“ Mein Gastgeber springt auf den Neuankömmling zu und umarmt ihn freundschaftlich. Zu meiner Überraschung erwidert dieser diese in aller Herzlichkeit.
Das ist hier alles so anders, als ich gedacht hatte.
Moment mal!
Neugierig betrachte ich den Besucher. Ist das DER berühmte Gabriel?
Nachdem sich die beiden jungen Männer ausführlich begrüßt haben, erklärt mein Chef:
„Gabriel, darf ich vorstellen? Das ist Amelie Wachter. Meine neue Sekretärin. Sie wird unsere Gästeverwaltung auf Vordermann bringen.“
„Bei deinem vollen Haus? Na, dann viel Glück.“ Gabriels Stimme ist leise und melodisch. Wunderschön.
Er tritt auf mich zu und reicht mir die Hand. Hell und strahlend – alles wie in einem unwirklichen Traum.
„Sie werden sich hier sicher wohlfühlen“, erklärt Gabriel weiter. „Mein Bruder hat keinen guten Ruf, aber das ist völlig falsch. Er hat den schwersten Job von uns allen. Er wird nur oft missverstanden.“
„Ich mache nur die Aufgabe, die ER mir aufgetragen hat. Du weißt, dass ich ihn über alles liebe.“ Täusche ich mich, oder liegt eine leichte Traurigkeit in dem Blick meines Chefs?
Gabriel seufzt vernehmlich. „Du trägst ein schweres Opfer. Ich habe immer wieder einmal ein schlechtes Gewissen.“ Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Du weißt ja, dass du bei uns auch einmal Urlaub nehmen kannst? Ein paar Wochen Auszeit würden dir sicher guttun.“
„Ich überlege es mir.“
„Ja, tue das. Vielleicht darfst du ja sogar deinen Köter mitnehmen.“ Gabriel blickt auf das Tier, der immer noch auf der Couch liegt, aber beide Männer genau beobachtet. „Sofern er nicht alles durcheinanderbringt und vollsabbert.“
„Er hat eben seinen eigenen Kopf“, grinst der Dunkle ironisch.
„Mit Sicherheit. Gut erzogen hast du ihn nicht.“ Der Helle schüttelt leicht tadelnd den Kopf, ehe er sich wieder mir zuwendet. „Mein Angebot gilt auch für Sie, sollte es Ihnen hier unten zu viel werden.“
Fragend blicke ich zu meinem Chef, der allerdings nicht reagiert. Ich vermute mal, dass dies als allgemeines ‚Ja‘ zu werten ist.
„Weshalb bist du eigentlich hergekommen?“, fragt der Gastgeber nun. „Nur zum Reden oder willst du mein Gästehaus besichtigen?“
„Nein, bewahre. Sei mir nicht böse, Bruder, aber das ist nicht meine Welt.“ Er lächelt entschuldigend. „In erster Linie zum quatschen und lästern. Ich brauche das ab und zu. Michal geht mir zurzeit ein wenig auf die Nerven und ich brauche hier dringend deinen Rat.“
Ich kann ihn nur perplex anstarren. Michael!
„Du weißt, ich helfe euch gerne. Schließlich gehört ihr zusammen,“, kommt die weiche und mitfühlende Antwort. „Wenn die Menschen wüssten, dass ihr…“
„Nein, nur bloß nicht. Da wären sicher einige geschockt“, widerspricht Gabriel erschrocken. „Wir dürfen den Leuten nicht den Glauben nehmen.“
„Wie du meinst. Aber willst du nicht erst einmal etwas trinken? Ich habe einen guten Jahrgang hier.“
„Ja, dazu sage ich gewiss nicht nein, Bruder.“ Der Engel pausiert kurz, dann fügt er noch hinzu: „Danke, Luzifer.“