Prompt : "Beichte"
Teil 1
„Guten Morgen, Amelie.“
„Grüß Gott, Luzifer“, antworte ich mit einem Grinsen, was ihn aber nur zu einem Nicken veranlasst. Über solche profanen Dinge ist der Herr der Finsternis naturgemäß erhaben.
Mittlerweile arbeite ich bereits seit vier Monaten als Sekretärin für ihn. Bereits am dritten Arbeitstag hatte er mir das ‚Du‘ angeboten und wir frotzeln regelmäßig miteinander. Luzifer ist in Wahrheit alles andere als ein gefallener Engel – er mag es in der Vorstellung der Menschen sein, ich jedoch sehe es anders.
Die Aufsicht über die Hölle ist ein Knochenjob und verlangt ihm viel ab. Was würden sie auf der Erde sagen, wenn sie wüssten, dass der Höllenfürst ein weiches Herz hat und jedes Mal selbst leidet, wenn sich die armen Seelen quälen? Das Fegefeuer ist so anders als ich es mir immer früher vorgestellt hatte. Nicht Gott oder jemand anders verbannt sie hierher – sie sind es selbst. Seelen, die sich quälen angesichts ihrer Taten auf Erden. Denn im Jenseits liegt es ungeschminkt vor ihnen – die guten und die schlechten Dinge. Und es fühlt sich noch einmal ganz anders an, wenn man sich ohne Ausreden der Wahrheit stellen muss – manche vermeintliche Fürsorge entpuppt sich dann als der Wunsch, sich wichtig und unersetzlich zu machen. Oder das eigene Selbstbewusstsein aufzupolieren.
Luzifers – und damit auch mein Job ist alles andere als leicht. Und jede Seele, die endlich zur Einsicht gelangt, genug gelitten zu haben und sich selbst vergeben kann, ist gerettet. Im Einzelfall mag das Fegefeuer auch läuternd wirken, aber Jahwe verstoßt keinen, sondern liebt sie alle.
Leider gibt es auch welche, die sich womöglich nie selbst vergeben können und denen daher das Paradies für immer verwehrt werden wird.
Missmutig schüttle ich diese trüben Gedanken zur Seite und konzentriere mich lieber auf meinen Arbeitgeber. Gut sieht er heute wieder aus, wie aus dem Ei gepellt. Seine Erscheinung wechselt bisweilen ein wenig – aber sein Gesicht und die Haarfarbe blieben stets gleich. Heute hat er sich mal wieder für längere Haare entschieden, die er zu einem Dutt hochgesteckt hat. Ansonsten mag ich das bei Männern nicht – ihm aber steht es ausgezeichnet.
Zugegeben – Luzifer steht alles. Schließlich ist er ein Engel.
Seine Flügel hat er bisher noch nie erscheinen lassen. Ob diese tatsächlich schwarz sind, wie man sich erzählt? Oder ist das nur eine Legende der Menschen?
Ich sollte bei Gelegenheit mal fragen.
Heute jedoch komme ich nicht dazu, da sich plötzlich eine strahlende weiße Gestalt manifestiert.
„Gabriel! Du schon wieder!“, seufzt mein Boss.
„Wie man sieht!“, antwortet der Erzengel ungerührt und kommt auf uns zu. Ohne Hemmungen umarmt er erst mich und dann seinen Bruder. Trotz seines scheinbaren Unwillens erwidert Luzifer diese kurze Zärtlichkeit ohne Zögern. Man kann es drehen, wie man möchte – der Teufel ist gefühlvoller, als er es zeigen möchte.
„Mittlerweile bist du so was wie ein Stammgast hier. Soll ich dir vorsorglich dauerhaft ein Zimmer reservieren?“, scherzt mein Boss.
„Es tut mir leid. Aber es hat natürlich einen bestimmten Grund, weshalb ich da bin.“
„Und der wäre?“
„Warte es ab!“
Luzifer schüttelt verwirrt den Kopf. „Möchtest du etwas essen oder trinken?“
„Nein, danke. Vielleicht später.“
Die beiden werden unterbrochen, als eine Art Butler die Türe öffnet und etwas steif hereinspaziert.
Noch immer wundere ich mich bisweilen, wie weltlich es sich hier alle eingerichtet haben.
Kerberos springt sofort auf und bellt den Neuankömmling an. Meist hat er, wie gerade, nur einen Kopf. Trotzdem ist sein Kläffen laut und unangenehm.
„Schlecht erzogen, sagte ich das schon?“, bemerkt Gabriel mit einem Lächeln.
„Kerberos, AUS!“, ruft der Teufel und wie immer reicht dieser kurze Befehl aus, dass der Hund im wahrsten Sinne den Schwanz einzieht und sich in ein entferntes Eck verzieht.
„Verzeihung! Was gibt es, Homer?“
Wie kann man einen Butler so nennen? Das kann doch nur in einer Katastrophe enden.
Der Diener räuspert sich. „Es tut mir leid. Einer der Dämonen wartet draußen und bittet um eine Audienz.“
Dämonen? Ich habe von ihnen schon gehört, allerdings bisher noch nie einen zu Gesicht bekommen.
Auf jeden Fall scheint dieses Verhalten ungewöhnlich zu sein, denn mein Chef runzelt die Stirn. „Seit wann bitten meine Dämonen um eine Audienz? Sie sollen einfach ihre Befehle ausführen. Ich lasse ihnen schließlich außerhalb ihrer Aufträge genug Freiräume und Freizeit. Wer ist es und was will er?“
„Sein Anliegen ist mir leider unbekannt. Aber es handelt sich um Devil.“
Ein Dämon, der sich Devil nennt? Ist das ein Scherz? Oder vielleicht gar Blasphemie?“
Das Wesen draußen scheint auf jeden Fall bekannt zu sein – Gabriel kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus, während Luzifer aufseufzt. „Natürlich. Wer auch sonst. Hol ihn rein.“
„Sehr wohl.“
Ehe ich falsche Rückschlüsse ziehen kann, tritt der Erzengel auf mich zu und raunt: „Devil ist ein noch relativ junger Dämon und hat ein großes Herz. Luzifer ist sein großes Vorbild, deshalb dieser ungewöhnliche Name. Unser Teufel würde es nie zugeben, aber er mag ihn sehr und fühlt sich auch geschmeichelt, dass der Dämon seinen…“
„Ruhe, Gabriel! Das ist Unsinn! Devil ist einfach noch zu sehr grün hinter den Ohren, das ist alles!“, unterbricht der Höllenfürst ungehalten.
Angesichts der ungewöhnlich heftigen Reaktion neige ich dazu, Gabriel recht zu geben und suche den Blick des Erzengels. Dieser zuckt jedoch nur mit den Schultern und zeigt mir mit einer Geste an, dass ich besser nicht weiter nachfragen sollte.
Also schön! Warten wir also ab, was passiert.
Lange warten müssen wir nicht. Schon kommt der Dämon in Begleitung des Angestellten zu uns.
Gut, dass ich so dicht neben dem Teufel stehe, sonst würde mich Devils Anblick wohl überfordern. Eine Hitze geht von dem roten Körper aus, der von einem scharlachroten Fell überzogen ist. Schwarze dunkle Augen blicken uns an, die seltsam glitzern und deren Ausdruck ich unmöglich deuten kann. Sehnige lange Arme mit übergroßen weißen Händen. An den Fingerenden entdecke ich, wie auch an seinen großen Füßen – ebenfalls weiß übrigens- lange schwarze Krallen. Auf seinem länglichen Kopf thronen silberfarbene Hörner, die sehr gefährlich wirken. Ein breiter Mund in dem roten Gesicht mit einem unnatürlich breiten Mund, der mir ein perfektes Raubtiergebiss zeigt. Nicht zu vergessen der zuckende Schwanz, der unruhig hin- und her pendelt. Sehr imposant sind auch die zwei burgunderroten Flügel, die an die eines Drachen erinnern und sich sanft hin- und herbewegen.
Dieser Dämon ist nur wenig größer als ich, aber perfekt durchtrainiert und wirkt fast wie ein Schrank. Muskelstränge durchziehen sichtbar den ganzen Körper und dies allein schon hätte mir Respekt eingeflößt. Dieses Höllenwesen strahlt eine große Hitze aus und zeitweise meint man, kleine Flammen wahrzunehmen, die sich über seinen Körper schlängeln. Vielleicht ist es auch nur eine Einbildung. Nicht zu ignorieren ist aber der penetrante Geruch von Schwefel und Rauch, der ihn umgibt.
Ich riskiere einen Seitenblick auf die zwei Engel neben mir und bemerke erstaunt, dass auch sie die Nase rümpfen.
„Devil!“ Ist das etwa eine leichte Panik in Luzifers Stimme? „Wandle dich sofort in den Menschen, dessen Gestalt dir zugeteilt wurde. Dieser Gestank ist ja nicht auszuhalten. Das letzte Mal hat du mir hier alles abgefackelt, das Risiko gehe ich nicht noch einmal ein.“
„Oh.“ Die Stimme Devils ist rau und dunkel. „Das hatte ich ganz vergessen. Natürlich, Boss.“
Das Monster schließt die Augen und scheint sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Nicht lange, und sein Körper erscheint weniger muskulös. Seine Flügel werden zu zwei Stoffbahnen, die sich in ein Cape verwandeln und gleich einem Superhelden von den Schultern flattern. Sein Körper ist Kleidung bedeckt und das Gesicht wird zu einer eigentümlichen Maske, welches ein menschliches Antlitz verdeckt.
Wenige Atemzüge später verändert sich auch diese Erscheinung weiter und bald steht mir ein schmaler, schmächtiger Mann mit grünen Augen gegenüber. Nichts erinnert mehr an Devil, er ist eher das Gegenteil – einzig sein Blick ist ungewöhnlich fest und bei genauem Beobachten kann man vereinzelt das Feuer aufblitzen sehen, welches im Dämon inne lebt.
„Warum nicht gleich.“ Luzifer wirkt erleichtert. „Also was willst du, Devil?!“
Das schmächtige Männchen nimmt Haltung an. Ich habe eine dünne und piepsige Stimme erwartet – doch obwohl lange nicht so dunkel und mächtig wie die seiner anderen Gestalt, wirkt sie fest und entschlossen, ohne besonders laut sein zu müssen.
„Boss. Ich habe etwas zu beichten!“