Wütend ging Lucius Malfoy im Kaminzimmer auf und ab. Er musste verrückt gewesen sein, dass er sich auch nur für einen Moment eingebildet hatte, dass Hermine Granger ihn mochte. Und noch wahnsinniger war die Tatsache, dass es ihn überhaupt wütend machte. Was interessierte ihn schon, ob ein Schlammblut, noch dazu seine Sklavin, ihn mochte oder nicht? Wie war es nur dazu gekommen, dass er sich ernsthaft in sie verliebt hatte?
Er blieb vor seinem Kamin stehen. Der Gedanke, dass er tatsächlich verliebt sein könnte, war erst in dem Moment, da er ihn gedacht hatte, in sein Bewusstsein getreten. Rasch blickte er zu seiner Frau hinüber, die mit unbewegter Miene aus dem Fenster schaute und auf die Ankunft von Severus wartete. Sie war einst seine Vorstellung von Perfektion gewesen: schön, reich, gebildet, reinblütig, demütig. Er hatte sie auf ein Podest gestellt, das sie freudig erklommen hatte, und viele lange Jahre lang ist sie dort stehen geblieben, egal, wie unbequem die Position geworden war – weil sie sich ihm untergeordnet hatte, ihn rechtmäßig als ihr überlegen anerkannt hatte. Mit der Rückkehr des Dunklen Lords hatte sich das Stück für Stück geändert und heute erinnerte nichts mehr an die Frau, die er einst geliebt hatte. Trotzdem, damals war sie perfekt gewesen. Eine Frau hatte demütig zu sein, dem Auge gefällig, fähig, eine Konversation zu betreiben, ohne im Mittelpunkt zu stehen, und immer eine Zierde am Arm des Mannes.
Hermine war nichts davon. Es war unmöglich, dass er irgendetwas, was auch nur entfernt mit Liebe zu tun hatte, für sie verspürte. Sie war sein Besitz, sie gab ihm das Gefühl, ein Mann zu sein, und sie half ihm mit ihrem ehrlichen Wesen, die Dunkelheit der Welt um ihn herum zu vergessen. Mehr war es nicht. Sie hatte Recht. Für sie würde er immer nur der Todesser sein, ihre Gedanken würden niemals nur bei ihm sein können, sondern immer wieder zu ihren Freunden und allen anderen, die litten, zurück kehren. Sie war zu brav und im wahrsten Sinne des Wortes zu gut, als dass sie ihn jemals akzeptieren konnte. Er war ein Narr gewesen.
„Narzissa“, sagte er leise, während er auf seine Frau zu schritt und ihr dann sachte die Hände auf ihre Oberarme legte, um sie an sich zu ziehen: „Du bist immer noch so schön wie früher.“
Er spürte, wie sie unter seiner Berührung und seinen unerwarteten Worten erstarrte, doch als er ihr einen sanften Kuss auf den Nacken gab, fiel alle Anspannung von ihr ab: „Es ist lange her, dass du mir ein aufrichtiges Kompliment gemacht hast, ohne direkt eine Beleidigung anzuschließen.“
„Ich kann mir selbst nicht erklären, warum ich dich so verabscheuungswürdig behandelt habe“, stimmte er ihr zu: „Ein echter Mann würde seine Frau niemals so behandeln, wie ich es getan habe.“
Als Narzissa sich zu ihm umdrehte, konnte er ein nachsichtiges Lächeln auf ihren Lippen sehen: „Sei nicht so streng zu dir, mein Lieber. Ungewöhnliche Umstände haben schon ganz andere Menschen in den Wahnsinn getrieben. Wichtig ist nur, dass du jetzt endlich aufgewacht und wieder bei mir bist.“
Statt einer Antwort zog Lucius sie in einen Kuss. Das Gefühl von Lippen, die ihm entgegen kamen, die sich ihm freiwillig hingaben, ihn sogar noch ermunterten versetzte ihn in Hochstimmung. Lange hielt er die Augen geschlossen, gab sich ganz diesem warmen Gefühl, das wenig mit der Leidenschaft eines Vorspiels gemein hatte, sondern einfach nur von Intimität und Zuneigung zeugte, hin. Als er schließlich einen Schritt zurück trat, um der Frau vor sich in die Augen zu sehen, erstarrte er. Unbewusst hatte sich das Bild von Hermine in seinen Geist geschlichen und er hatte tatsächlich für einen Moment vergessen, dass er nicht sie, sondern seine Ehefrau in den Armen hielt.
Das Geräusch von Severus, der sich auf einen der Sessel sinken ließ, befreite Lucius aus seiner entsetzten Starre und bewahrte ihn davor, seiner Frau ob seines merkwürdigen Ausdrucks Rede und Antwort stehen zu müssen.
„Wie immer bist du leise wie eine Katze, Severus“, begrüßte er seinen Gast, während er gegenüber von ihm Platz nahm. Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass auch Hermine inzwischen den Raum betreten hatte und in einer Ecke bereit stand, den Wünschen ihres Herrn nachzukommen. Irgendwann in den letzten Minuten hatte sich Draco ebenfalls in den Raum geschlichen und auf einem der Sessel Platz genommen, ohne dass er es bemerkt hatte.
„Es ist weniger meiner Fähigkeit, mich leise zu bewegen, sondern vielmehr deiner Frau und ihren Ablenkungsküsten zuzuschreiben, dass du mich nicht schon zuvor gehört hast, würde ich sagen!“, entgegnete Snape trocken. Lucius sah, wie Narzissa diesem einen verschwörerischen Blick zuwarf, ehe sie sich zu ihm auf das Sofa gesellte.
„Nun, Severus, bist du in unserem Garten fündig geworden?“, erkundigte sie sich, während sie mit geschickten Händen den Tee verteilte und jedem Gebäck und Kuchen anbot. Sie war wirklich eine gute Gastgeberin, die ihre Pflichten gewissenhaft ausführte, ohne dass man ihr die geringste Mühe anmerkte, stellte Lucius zum wiederholten Male fest. Die perfekte Ehefrau.
„In der Tat“, kam die Antwort von Snape: „Allerdings werde ich wohl nächste Woche noch einmal vorbei kommen müssen. Einer deiner Spätblüher ist dieses Jahr arg spät dran und ich konnte ihm heute keine Blätter abnehmen, die für Tränke geeignet sind. Nächste Woche sieht es eventuell anders aus, falls das kalte Wetter bis dahin nicht auch die Pflanzen im Gewächshaus in ihren Winterschlaf getrieben hat.“
„Du bist uns jederzeit willkommen“, flötete Narzissa, während Lucius nur grimmig drein schaute. Es waren die Besuche von Severus gewesen, die Hermine immer wieder aufs Neue aus der Bahn geworfen hatten. Nicht, dass dies nun noch irgendeine Rolle spielte, trotzdem blieb das Gefühl, dass der Tränkemeister ihm nicht so willkommen war. Er war dankbar, dass Narzissa sich in der Rolle der Gastgeberin so wohlfühlte, dass die Konversation nie zum Stillstand kam. So fiel es nicht weiter auf, dass er ungewohnt schweigsam und in sich gekehrt war.
Hermine hingegen bemerkte die Laune ihres Herrn sofort. Ebenso wenig war ihr der Moment der Zärtlichkeit entgangen, den Lucius und Narzissa vor ihrem Eintreten geteilt hatten. Wenn der alte Mann nicht alleine sein konnte, war es vermutlich besser, dass er seine Aufmerksamkeit auf seine Ehefrau richtete. Sie selbst hatte inzwischen sowieso ganz andere Sorgen. Und dennoch. Ihr Gefühl der Einsamkeit verstärkte sich, selbst der kurze, besorgte Blick von Draco hatte sie nicht aufmuntern können. Sicher, in ihm hatte sie noch immer so etwas wie einen Freund, doch es war nicht dieselbe Verbindung, die sie zu seinem Vater gehabt hatte. Es war Lucius gewesen, der ihr geholfen hatte, die Erfahrung mit Snape zu verarbeiten und eine gänzlich unbekannte Seite an sich zu entdecken. Es war Lucius gewesen, der ihr das Gefühl der Geborgenheit gegeben hatte. Draco konnte das nicht, dazu war er zu jung und selbst zu verängstigt und schwach. Und Snape konnte es auch nicht, denn er würde sehr bald das Haus wieder verlassen.
Wie eine aufgezogene Spielzeugpuppe erledigte sie ihre Aufgaben an der Kuchentafel und ehe sie sich versah, war es bereits dunkel geworden und Snape machte sich zum Aufbruch bereit.
„Du musst mich nicht zum Tür begleiten, Narzissa“, sagte Snape, als diese zur Tür trat, um ihn vom Grundstück zu geleiten: „Es reicht völlig, wenn eure Sklavin das tut, dafür habt ihr sie schließlich.“
Ein warmes Lächeln lag auf Narzissas Lippen, als sie erwiderte: „Ich danke dir für deinen Besuch, Severus. Wirklich. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber ich glaube, Lucius ist endlich … zu mir zurückgekommen. Wenn du jemals bei irgendetwas meine Hilfe benötigst, sage nur Bescheid. Ich werde auf immer in deiner Schuld stehen für all die Dinge, die du für mich und meine Familie getan hast.“
Ein Schauer lief Hermine den Rücken runter, als sie sah, wie Snape ausdruckslos die herzliche Umarmung zuließ. Sie wusste, dass er eine Rolle spielte und dass er gut darin war, dennoch war es schwer für sie, ihn so vertraut mit einem Menschen zu sehen, der sie noch vor wenigen Wochen zu töten versucht hatte – und sie vermutlich trotz allem immer noch los werden wollte. Rasch legte sie sich ihren Mantel um die Schultern, um ihren ehemaligen Lehrer bis zum Tor zu begleiten.
„Nun, Miss Granger“, fing Snape an, kaum dass sie außer Hörreichweite waren: „Wie es aussieht, hatte unser kleines Manöver vorhin gleich doppelten Erfolg. Nicht nur, dass Lucius nach wie vor nicht an der gewalttätigen Natur unserer Beziehung zweifelt, offensichtlich hat ihn diese Beobachtung auch zurück in die Arme seiner Frau getrieben. Das kann Ihnen ja nur Recht sein, nicht wahr?“
Hermine schluckte. Wieso hatte sie das Gefühl, dass hinter Snapes Worten mehr steckte, als offen ausgesprochen wurde? So gleichgültig wie möglich erwiderte sie: „Natürlich. Narzissa Malfoy ist niemand, dessen Zorn ich gerne auf mich ziehe.“
Er musterte sie von der Seite, doch sagte nichts weiter. Hermine musste sich zwingen, nicht dem Drang, nochmal auf ihren Plan zu sprechen zu kommen, nachzugeben, denn er hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie nur darüber sprechen würden, wenn er es für richtig befand. Nach einigen weiteren Schritten, die ihr jedoch wie eine endlose Zeitspanne erschienen, waren sie am Tor angekommen.
„Wie Sie sicher mitbekommen haben, werde ich nächste Woche noch einmal hierher kommen“, sagte Snape, nachdem er sich zu ihr umgedreht hatte: „Bis dahin werde ich mir Gedanken darüber machen, wie wir für Sie einen Zauberstab besorgen können. Ich gehe davon aus, dass Sie schweigen können, doch ich möchte noch einmal betonen: Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass niemand, wirklich niemand irgendetwas von diesem Plan erfährt. Egal, wie vertrauenswürdig Ihnen jemand erscheinen mag, schweigen Sie. Es mag Ihnen abwegig erscheinen, aber es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich Ihnen jemand als Verbündeter präsentiert, der es nicht ist. Menschen neigen dazu, in Anwesenheit von Sklaven nach einiger Zeit nachlässig zu werden“, erklärte er mit ernster Stimme: „Entsprechend ist es in der Geschichte der Menschheit schon oft vorgekommen, dass Sklaven das Ziel von jenen waren, die die Loyalität des Herrn herausfinden wollten. Denken Sie nicht, dass nicht auch Sie beobachtet und betrogen werden können. Als Sklavin eines so umstrittenen Mannes wie Lucius Malfoy ist die Wahrscheinlichkeit sogar recht hoch, dass früher oder später jemand mit weniger guten Absichten an Sie heran tritt. Vielleicht ist das sogar schon geschehen und Sie haben es nur nicht bemerkt.“
Hermine hatte das Bedürfnis, mit den Augen zu rollen. Nichts von dem, was er sagte, war ihr neu. Entsprechend hob sie nur eine Augenbraue und entgegnete: „So wie Sie zum Beispiel? Sie könnten sehr gut ein übel meinender Spion sein, der sich mir als Verbündeter präsentiert, um mehr über die Familie Malfoy zu erfahren.“
„Exakt das wollte ich damit sagen“, gab Snape zurück, doch seine Worte klangen nicht länger ernst, sondern beinahe stolz. Plötzlich ergriff Hermine wieder dieses merkwürdige Hochgefühl, diese unerklärlich gute Laune. Wollte sie ihn stolz machen? Verwirrt blickte sie zu Boden. Die Zeiten, in denen sie nach dem Lob ihrer Lehrer gelechzt hatte, in denen all ihr Selbstbewusstsein davon abhing, ihre Lehrer und Eltern stolz zu machen, waren längst vorbei. Woher kam dieser plötzliche Drang, breit zu lächeln, nur weil Snape vielleicht stolz auf sie war? Snape, der ihr Grausames angetan hatte.
„Ich habe keine Ahnung, was in Ihnen vorgeht“, riss seine Stimme sie aus ihren Gedanken: „Aber ich kann jede Gefühlsregung lesen. Es ist mir egal, warum Sie in einem Moment grinsen, als hätten Sie Ihren Verstand im Haus gelassen, und im nächsten drein schauen, als verstünden Sie die Welt nicht mehr. Fakt ist, ich kann es in ihrem Gesicht sehen und das ist nicht gut.“
Hermines Hochstimmung, die durch ihre Verwirrung sowieso schon einen Dämpfer bekommen hatte, verflog vollends. Da hatte sie für einen Moment so etwas wie Respekt und Stolz von diesem Mann bekommen, nur um sich im nächsten wieder als Idiotin zu präsentieren. Natürlich, er hatte Recht. Selbst wenn sie einen Legilimens nicht verhindern konnte, sie musste es den Feinden ja nicht so leicht machen. Sie musste lernen, ihre Gefühle stärker zu kontrollieren. Eigentlich hatte sie immer gedacht, dass sie schon sehr gut darin war, aber offensichtlich noch nicht gut genug.
„Was meinen Sie, was geschieht, wenn Sie vor dem Lord stehen und Ihr Gesicht förmlich vor freudiger Erwartung glüht?“, fragte Snape mit beißendem Tonfall: „Jede noch so kleine falsche Regung kann Sie verraten, kann uns verraten. Lernen Sie, sich zu kontrollieren. Verstand alleine reicht nicht.“
„Ja, verdammt!“, brach es wütend aus ihr heraus: „Sie müssen mir das alles nicht extra sagen, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß das!“
„Offensichtlich nicht.“
Mit blitzenden Augen stemmte Hermine ihre Hände in die Hüften. Sie wollte, dass Snape begriff, dass sie nicht dumm war, dass sie wusste, was sie zu tun hatte, dass sie wusste, wo ihre Schwächen lagen. Sie war nicht so ignorant, wie er von ihr dachte. Dass er ihr diese Dinge überhaupt sagte, tat ihr weh. Sie war besser als das: „Ich weiß das alles. Ich kann das vielleicht noch nicht so gut umsetzen, aber ich weiß das. Ich gebe mein Bestes, Selbstbeherrschung zu lernen. Sie müssen mir das nicht dauernd unter die Nase reiben.“
„Sein Bestes zu geben, reicht leider nicht aus“, gab er unbeeindruckt zurück: „Ich habe Sie ins Vertrauen gezogen, weil ich den Plan nicht alleine durchziehen kann, und weil ich Sie für fähig halte. Sorgen Sie dafür, dass Sie bereit sind.“
Mit diesen Worten drehte er sich um, öffnete das Tor und verschwand. Erstarrte blickte Hermine durch das offene Tor. Sie wünschte, sie hätte einfach weglaufen können, einfach diesen Schritt durch das Tor setzen und vom Anwesen verschwinden können. Aber selbst wenn die magische Barriere, die das verhinderte, nicht gewesen wäre, sie hätte es nicht tun können. Sie musste im Haus bleiben, damit ihr Plan funktionieren konnte. Mit hängenden Schultern schloss sie das Tor und machte sich langsam auf den Weg zurück zum Haus. Sie hätte sich freuen sollen, dass Snape ihr gesagt hatte, dass er sie für fähig hielt. Das war das stärkste Kompliment, das er ihr jemals gemacht hatte. Aber er hatte so unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er erwartete, dass sie ihn nicht enttäuschte, dass sie einfach nur die unendliche Last der Erwartung spüren konnte. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Nicht nur, weil vom Gelingen des Plans die Zukunft der Zaubererwelt abhing.