»Hey, Kobold! Gehst du heute wieder in den Wald, ein paar Steinchen auf unschuldige Tiere schleudern?«, rief eine vertraute Stimme hinter Blake Jaron Swan her. Marvin, der sich stets für den Größten hielt, aber ein Hirn von der Größe einer Erbse hatte - wenn überhaupt. Wieder einmal musste Black innerlich den Kopf schütteln, weil so viel Unwissenheit aus diesem einzigen Satz herausquoll. Äußerlich ließ er sich allerdings nichts anmerken, während er weiterhin den richtigen Code an seinem Fahrradschloss eingab.
Kobold, so wurde Blake mittlerweile von einigen Kommilitonen an der Uni genannt. Für die adneren war er wohl so etwas wie der mysteriöse Einzelgänger. Kein Wunder, er sprach so gut wie nie mit jemandem und suchte auch zu niemandem Kontakt. Freunde brauchte er nicht. Er war der Meinung, dass es wahre Freundschaft sowieso nicht gab, sondern engere Kontakte, die außerhalb der eigenen Familie entstanden, eh nur mit Enttäuschungen einhergingen. Zumindest war das seine bisherige Erfahrung von früher, als sein Leben noch ganz anders aussah. Doch das war gefühlt ewig her. Seitdem störte ihn das Alleinsein wenig. Ganz im Gegenteil: Sehr oft suchte er genau diese Einsamkeit. Dafür ging er meist in den Wald. Aber nicht etwa auf den üblichen Wanderwegen entlang, sondern querfeldein durch oft sehr dichtes Unterholz. Dort fühlte er sich frei und der Natur verbunden.
Genau da war er erst vor Kurzem Marvin begegnet, besser gesagt zu nächst seinem Hund.
Gerade in dem Moment, als Blake seine Schleuder anssetzte, um einen Tannenzapfen zu treffen, kamen Hund und Herrchen bei ihm an. Marvin glaube natürlich sofort, Blake wollte mit seiner Schleuder einen Vogel oder gar ein Eichhörnchen vo Baum holen. Doch so etwas würde er nie tun. Blake liebte Tiere und würde deshalb keinem jemals Schaden zufügen wollen. Aber weil er auf Marvins Anschuldigung nichts erwidert hatte, sondern einfach gegangen war, glaubte Marvin nun natürlich, dass er mit seiner Äußerung Recht hatte.
Mittlerweile saß Blake auf seinem Fahrrad und verließ den Campus der University of Leeds. Er musste sich beeilen, wenn er noch rechtzeitig zu seiner Schicht im Café ankommen wollte.
Er jobbte dort seit einiger Zeit neben der Uni. Es war kein wirklich erfüllender Job, wie Blake fand, aber erbrachte zumindest ein wenig Geld in die Kasse. Wenn auch nicht ausschließlich in seine eigene. Denn das meiste Geld, das er verdiente, gab er seinen Eltern.
Tina Brown hatte das kleine Café vor etwas über einem Jahr von ihren Eltern übernommen und ein wenig an die heutige Zeit angepasst. Statt ausschließlich einfachen Filterkaffee gab es nun auch viele verschiedene Kaffeevarianten, die geschmacklich durchaus mit den großen Coffeeshopketten mithalten konnten.
Ursprünglich hatte Blake nach einem Job als Keller Ausschau gehalten. Aber in ganz Leeds schienen alle Stellen bereits von anderen Studenten besetzt zu sein. Also arbeitete er im Brown's Green Café an der Theke als sogenannter Barista. Es war gar nicht so leicht, all die Kaffeesorten auseinanderzuhalten und zu wissen, was wo wie viel hinzugefügt werden musste. Aber in den drei Monaten, in denen er nun hier arbeitete, hatte er sich ganz gut eingearbeitet und brauchte nicht mehr so oft auf die Zubereitungslisten zu schauen.
»Hallo Tina, ganz schön was los hier heute.«
Kein einziger Tisch war mehr frei - was bei dem wirklich kleinen Café kein allzu großes Kunststück war, aber dennoch recht selten vorkam.
Blake ging nach hinten durch die winzige Küche in den noch kleineren Aufenthaltsraum, um sich dort umzuziehen: schwarzes Shirt, schwarze Schürze.
Nur wenig später war er wieder vorn und konnte Tina tatkräftig zur Seite stehen. Das war auch nötig, denn es standen erneut Kunden an, die sich Coffee to go bestellten.
Blake war froh darüber, dass Tina es ihm nicht übel nahm, dass er nicht allzu gesprächig und oftmals mit seinen Gedanken komplett woanders war. Das machte das Arbeiten hier umso angenehmer.
Nach drei Stunden hatte Blake Feierabend und verließ mit einem knappen Gruß - »Bis morgen.« - das Café.
Bis zu seinem Zuhause brauchte er nur weitere zehn Minuenten mit dem Fahrrad.
Seine jüngeren Geschwister waren natürlich längst zu Hause.
~~~ Fortsetung folgt ~~~