Die Kuppe des einsamen Berges neben dem Krea-Tief-Tal lag wie ausgestorben da. Die vielen teilweise verwinkelten Gebäude waren wie ausgestorben. Nirgendwo rührte sich etwas – bis auf einen spinnwebengrauen, recht zerzausten Grauwolf, der aus der Richtung des Luftschiffdocks auf den Marktplatz getrottet kam.
„Hu? Wo sind denn alle?“ Marvin blieb verwundert stehen. Von all den Figuren, die den Berg für gewöhnlich mit ihrem chaotischen Treiben belebten, war niemand zu sehen.
Der Wolf drehte sich suchend im Kreis. Dann zuckte eines der Ohren – er hatte etwas vernommen. In flottem Trott hielt der Wolf auf die Quelle des Geräusches zu. Er wurde langsamer, als er vor dem Gebäude ankam, aus dem das Scheppern und Rumoren nun deutlich hörbar drang.
Nervös hielt der Wolf an und versuchte, einen Blick durch eines der Fenster zu erhaschen. Von innen grinste ihm jedoch nur ein Totenschädel aus Plastik entgegen. Marvin trat ein paar Schritte zurück und musterte das Haus. Es hatte drei Stockwerke, die in regelmäßige Rechtecke verschiedener Farben unterteilt waren, was dem Gebäude ein wenig den Anschein gab, aus mehreren bunt gemusterten Legosteinen erbaut zu sein. In jedem „Stein“ gab es ein Fenster, das nach außen ging. Die unteren beiden Stockwerke hatten dreizehn Abschnitte, das oberste Stockwerk sieben, wobei hier jeder Stein größer war, sodass das Haus insgesamt immer noch einen einzigen Block ohne Lücken bildete.
„Hell-Hopping“, erkannte der Wolf und richtete den Blick fragend über die Schulter direkt auf den Erzähler. „Wieso muss es ausgerechnet eine Horrorgeschichte sein, in der irgendein unbekanntes Wesen seltsame Geräusche verursacht?“
Ich tausche einen kurzen Blick mit Lyssa, meiner Fantasie, die als blaues Licht neben mir schwebt. Obwohl sie keine humanoide Form angenommen hat, erhalte ich einen Eindruck davon, wie sie mit den Achseln zuckt – „Wo sonst, wenn nicht beim Horror?“, soll das wohl heißen.
Ich sehe den grauen Wolf wieder an. „Jetzt geh schon rein. Dir passiert nichts!“
„Das sagst du so einfach“, knurrt Marvin und will sich dem Gebäude zuwenden.
„Irgendein unbekanntes Wesen?“, fragt da eine neue Stimme mit beleidigtem Unterton. Im Eingang zum Hell-Hopping-Gebäude steht eine schlanke, bleiche, rothaarige Frau mit verschränkten Armen. „Bin ich echt nur ‚irgendein unbekanntes Wesen‘ für dich?“
„Iffy!“, ruft der Wolf aus. „Dann hast du den Lärm gemacht?“
„Ja, ich … naja, was ich getan habe, ist ja nicht so wichtig.“ Ifrit van Nox macht eine wegwerfende Handbewegung. „Weißt du, wo alle hin sind?“
„Nein“, antwortet der Wolf.
„Echt jetzt?“, frage ich, der körperlose Erzähler, verwundert.
„Echt“, sagt Ifrit van Nox bissig. „Ist heute nicht dein vielgeliebter Schreibtag? Warum ist hier nichts los?“
Na gut, das Argument sitzt. „Es ist Valentinstag!“, verkünde ich deswegen etwas weniger dramatisch, als ich geplant hatte.
Ifrit und Marvin sind auch nicht wirklich beeindruckt. „Ach, der alte Konsumfeiertag schon wieder?“, fragt Ifrit gedehnt.
„Valentinstag? Du bist asexuell! Was interessiert dich der Valentinstag?“, fragt der Wolf. „Darum haben wir uns doch noch nie gekümmert!“
„Ja, aber alle anderen kümmern sich gerade darum“, erkläre ich. Als Ifrit und Marvin mich verständnislos anstarren, winke ich sie an den Rand der Bergkuppe, von wo aus man bei gutem Wetter eine wahrlich magische Aussicht auf Belletristica hat (magisch, weil es eigentlich unmöglich sein sollte, so weit sehen zu können).
Heute ist die Aussicht zwar nicht perfekt, aber immer noch toll, und so bietet sich meinen beiden Figuren, Lyssa und mir ein Blick auf die grünen Wiesen. In der Ferne sind noch das Biotopenreservat von Felix und Xandras Märchenwald zu erahnen – hinter unzähligen weißen und roten Himmelslaternen, die zwischen den Wolken sanft auf und ab schweben. Der Himmel ist von einem zarten Rosa, weil die Dämmerung einsetzt.
„Eigentlich geht es beim Valentinstag übrigens nicht um Konsum und auch nicht um die Liebe. Vielmehr feierte man einen christlichen Märtyrer, Valentin von Rom oder Valentin von Terni – die Quellen sind da nicht eindeutig – der im Jahre 200 nach Christus-“
„Laaaaangweilig!“, unterbricht mich Ifrit. „Das will jetzt echt keiner wissen!“
Ich rolle mit den Augen und sehe dann Marvin an. „Dürfte ich?“
Der Wolf nickt und ich begebe mich in seinen Körper, wo unsere Bewusstseine verschmelzen. Ich öffne die Augen und sehe auf meine Pfoten, legte die Ohren an und bewege den Kopf hin und her, um mich in den Wolfsleib einzufühlen. Für manche Dinge ist so ein Körper schon sehr praktisch. Ich laufe zu der Stelle der Bergkuppe, wo die von meinen Figuren besiedelte Fläche jäh in steilen Klippen endet. Hier stehen einige noch nicht angezündete Himmelslaternen auf dem Rand der Klippe, deren Fuß bereits in Schatten und Abendnebel versinkt.
„Was wird das denn?“, fragt Ifrit und mustert die siebzehn Laternen irritiert.
„Hilfst du mir, die Laternen anzuzünden?“, bitte ich, worauf der eiskalte Feuerdämon gnädig nickt. Sie nimmt die erste Laterne in die Hand und stellt fest, dass der Schirm in winziger Schrift mit einer Geschichte beschrieben ist.
„Moment mal, sind die alle beschrieben?!“, entfährt es ihr.
Ich nickte stolz. „Das sind die Texte vom Valentinswichteln. Komm. Lass uns die Geschichten aufsteigen lassen!“
„Und dann?“, fragt Ifrit zweifelnd.
„Dann kriegt jeder der Teilnehmer einen magischen Pfeil, mit dem er auf seine Laterne schießen muss – glücklicherweise treffen magische Pfeile immer ihr Ziel – und erhält daraufhin eine Kopie des Textes als Geschenk. Die Lichter bleiben natürlich am Himmel.“
„Logisch.“ Ifrit rollt mit den Augen und nimmt die Himmelslaterne in eine Hand. Mit der anderen schnippst sie und kleine Flammen züngeln sofort über ihren Daumen. Sie entzündet die Kerze im ersten Himmelslicht.
Und schon erheben sich siebzehn Geschichten wie Sterne in den Himmel:
„Maskerade“ von Clayra für Emma
Themenvorschläge: Dach, Theater
Vorlieben: LGBT+, Historik
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/maskerade-30966
„Valentinserinnerungen” von Luan für Sharimaya
Themenvorschläge: Straßenbahn, Pralinen, Liebe des Lebens
Vorlieben: Fantasy, Slice of Life
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/valentinserinnerungen-29693
„/donnerstag/” von Dauphin für Lila Jacks
Themenvorschläge: Nudelauflauf, Erdbeermarzipanschokolade
Vorlieben: Romantik, LGBTQ+
max. Rating: egal (auch asexuell möglich)
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/donnerstag-31450
„Liebe ist keine Kissenschlacht” von Felix für Alex Frost
Themenvorschläge: Kissenschlacht, Horrorfilm
Vorlieben: Demisexualität, eine kleine Prise Horror
max. Rating: 16+, romantische, aber keine erotische Liebe
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/von-felix-f%C3%BCr-frost-31438
„Ein erstes Date“ von Lila Jacks für WeWereBornSick
Themenvorschläge: Café, Sternenhimmel
Vorlieben: Romanze, Drama
max. Rating: 16+ (auch LGBT+ möglich)
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/ein-erstes-date-31462
„Ranja und Silemon“ von Sharimaya für Xandra
Themenvorschläge: Schönheit der Welt
Vorlieben: Fantasy, Spirituelles
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/ranja-und-silemon-31431
„Im Schein der Flammen” von Miriam für lenn.inc
Themenvorschläge: Taschenuhr, Bibliothek
Vorlieben: Historisch, Erotik
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/im-schein-der-flammen-30882
Sowie eine längere, im Moment unfertige Geschichte, mit identischen Vorgaben: „Der Turm des Drachen“
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/erl%C3%A4uterungen-31457
„It seems I’ve heard that Song before” von Ougonbeatrice für Clayra
Themenvorschläge: Versöhnung, Tanz
Vorlieben: LGBTQ+, Fantasy o. Slice of Life
max. Rating: egal
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/it-seems-i-ve-heard-that-song-before-31460
„Blind Date” von WeWereBornSick für Ougonbeatrice
Themenvorschläge: Blind Date, ü40
Vorlieben: keine
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/blind-date-29555
„Vaters Worte” von Ben Notworld für Luan T. Nexi
Themenvorschläge: schwarze Rose, Vollmond
Vorlieben: gerne LGBT+, Fantasy
max. Rating: 16+ (möglichst keine sexuelle Liebe, eher platonisch oder romantisch)
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/worte-vom-vater-29691
„Ein aussergewöhnlicher Valentinstag-Patric und Josh” von Xandra für Jay
Themenvorschläge: Picknick, Sternenhimmel
Vorlieben: LGBTQ+
max. Rating: egal
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/ein-aussergew%C3%B6hnlicher-valentinstag-patric-und-josh-30061
„Opfer” von Jay für Dark-in-the-night
Themenvorschläge: Fremde(r), Halloweenparty auf einer Burgruine
Vorlieben: Dark Fantasy, Mystery
max. Rating: egal, Hetero
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/opfer-29849
„Licht der Hoffnung” von Emma für Ben Notworld
Themenvorschläge: sozialkritisch
Vorlieben: Märchen oder Gedicht
max. Rating: nur platonische Liebe
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/untitled-31444
„Schattenseiten” von hedgi für Miriam
Themenvorschläge: Nebel, Glocke
Vorlieben: Fantasy, Historisch
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/schattenseiten-29534
„Arella und Cedrik“ von Dark-in-the-Night für Felix
Themenvorschläge: Erste Lieben, Küssen
Vorlieben: Fantasy, Natur
max. Rating: egal, möglichst nicht explizit
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/einleitung-29954
„Afterworld“ von Frost für hedgi
Themenvorschläge: offen
Vorlieben: Science-Fiktion, offenes Ende
max. Rating: keine Sexszenen
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/kapitel-1-31382
„Der Ring lügt“ von lenn.inc für Dauphin
Themenvorschläge: Freundschaft, Liebeskummer, Unsicherheit, ungeplantes "Date"
Vorlieben: offen
max. Rating: 16+
Zum Text: https://belletristica.com/de/text/valentinswichteln-29530
„So, das war die letzte!“ Ifrit klopft sich die Hände ab. Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen und die siebzehn Lampen hängen wie flackernde Sterne am Himmel. Die letzte stupse ich gerade mit der Schnauze ermutigend an, bis die kleine Flamme im Inneren lenns leuchtendem Text genug Auftrieb gibt.
Plötzlich erklingt eine neue Stimme so ziemlich direkt über meinen Schulterblättern. „Na, Fellnase?“
Ich stoße einen heldenhaften Schreckensschrei aus und wirbele herum. Von der in weiße Roben gekleideten, menschlichen Gestalt, die ich nun vor mir sehe, ist dank der spitz zulaufenden Kapuze nur das breite Grinsen zu sehen. Trotzdem habe ich meinen Schock sofort überwunden.
„Loki!“ Ich drücke mich an das Bein meines Bros und lasse mich kraulen. „Was tust du denn hier?“
„Du warst nicht in der Taverne, da bin ich dich suchen gegangen“, erklärt der Mensch mir.
Ich deute mit der Schnauze auf die aufsteigenden Laternen. „Ich hatte noch etwas zu erledigen.“
Luan bestaunt die schwebenden Laternen über Belletristica, die siebzehn Lichter vom Valentinswichteln genauso wie alle anderen Himmelslaternen. „Wunderschön!“
„Ich dachte mir, dass dir das gefällt. Fröhlichen Valentinstag, Bro!“, sage ich. Dabei entwinde ich mich Luans geschickten Kraulfingern und laufe zu einem kleinen Gebäude, das auf einem vorragenden Teil der Klippen steht. Luan folgt mir zu dem kleinen Pavillon mit geschnitzten Holzsäulen. Es gibt insgesamt acht Säulen, die regelmäßige Bögen einschließen. An zwei Seiten – hinten und vorne – sind diese Bögen zu Eingängen geöffnet, an fünf Seiten durch einen handgeschnitzten Zaun versperrt. Die achte Seite wird von einem hohen Bücherregal eingenommen, in dem ich die ganzen Geschichten meiner prall gefüllten Leseliste untergebracht habe.
Während Lyssa aufgeregt um Luan herum saust, um Calcy und Luans Erzähler zu begrüßen, schmeißt sich Luan auf die große, rote Chaiselongue, die mitten im Pavillon steht. Nach vorne und, dank der großen Glasfenster im Dach, auch nach oben hat man einen atemberaubenden Blick auf den mit Himmellaternen durchtränkten Nachthimmel.
„Ich habe dir ein Sofa versprochen, und hier ist es.“ Ich springe zu Luan und kuschele mich in bester Wolfskopfkissenmanier an ihn.
„Danke, Bro!“
Letztendlich senkt sich, vom Zirpen der Grillen begleitet, die Nacht über den Grauen Berg. Gemeinsam sehen wir den Lichtern bei ihrem Weg in die Höhe zu, bis ich spüre, wie der kalte Nachtwind unangenehm in mein Fell eindringt.
„Lass uns in die Taverne gehen“, schlage ich also vor, nicht nur Loki, sondern auch Ifrit, Lyssa, Calcy und den düsteren Schatten des Erzählers ansehend. „Gehen wir zu den anderen. Heute feiern wir die Liebe – also sollten wir auch bei unseren Freunden sein, bei denen, die wir lieben.“
„Stimmt!“ Loki springt wie von der Hornisse gestochen auf. „Ich muss ja noch Sharis Geschenk holen.“
Ich will gerade anbieten, mitzukommen, als ich Ifrit hämisch grinsend mit etwas winken sehe.
Oh nein. Bitte nicht.
Ifrit nickt und grinst noch breiter.
„Ich habe auch noch was zu erledigen“, murmele ich geknickt. „Wir sehen uns gleich in der Taverne, aye?“
„Bis gleich, Fellnase“, sagt Loki, strubbelt mir nochmals durchs Fell und wirft dann einen Teleportationstrank auf den Boden, in dem mein Bro auch gleich verschwindet.
Mit gesenktem Kopf trotte ich zu Ifrit. „Bringen wir es hinter uns.“
Sie hält einen großen Ausdruck einer ihrer Zeichnungen in den Händen. Nun tippt sie mir damit auf die Stirn und ich spüre sofort, wie mein Körper sich verändert. Ich schrumpfe, meine Pfoten werden aber verhältnismäßig größer, und der Kopf ebenfalls. Mit leisem Klappern landen ein Bogen und mehrere Pfeile mit Spitzen in Form roter Herzen vor mir. Seufzend hebe ich die Gerätschaften auf und legte den Kopf weeeiiit in den Nacken, um Ifrit anzusehen.
„So niedlich!“, schwärmt sie.
Ich lege die Ohren leicht an. Es ist ja nur für einen Tag, tröste ich mich, in der Zeit wird schon nichts Großes kommen und mich fressen. Oder etwas Mittelgroßes. Oder eine Katze, selbst die könnten mich im Moment wohl fressen.
Ich vertreibe die Gedanken, bevor sie mich endgültig nervös machen. Auf in die Taverne! Es gibt ein paar Geschichten zu verteilen!
Und an dieser Stelle: Vielen lieben Dank an alle Wichtel, die fleißig Geschenke geschrieben haben! Ich bedanke mich herzlich fürs Mitmachen und hoffe, ihr habt alle einen schönen Text und ein dickes Danke von eurem Bewichtelten bekommen.
Ich danke Ifrit van Nox für die sehr spontane Zeichnung: https://www.deviantart.com/ifritnox/art/Valentinswolf-785563951
Hiermit verleihe ich Alex Frost die Kurzgeschichtenkrone (mit dem Schriftzug „In der Kürze liegt die Würze“). Identische Kronen erhalten Felix, Dark und hedgi. Die „Warum-zur-Hölle-gibt-es-da-eine-Landkarte-zu?!“-Krone geht an Miriam. Die rot-weiße Herzchenkrone für einen wunderschönen Valentinstext geht an Clayra, hedgi, Dark, Frost, Felix, Jay, Dauphin, Miriam, Shari, Emma, Lila, Xandra, Ougonbeatrice, WeWereBornSick, Ben Notworld, Luan und lenn! Vielen Dank für’s Mitmachen!
(Außerdem: Falls ich euren Titel falsch geschrieben habe oder ihr den geändert habt, oder wenn sonst etwas ist, gebt mir gerne Bescheid!)
~ Der Valentinswolf